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Musik aus dem Kerker

Die irische Band "Rubashov" hat sich von dem Stalinismus-Roman "Sonnenfinsternis" von Arthur Koestler inspirieren lassen. Der tragische Held "Rubashov" landet darin im Gefängnis und wird gefoltert, weil er angeblich die Ideale des Regimes verraten hat. Da ist es nur konsequent, dass die Musik in einem verlassenen Kellerraum produziert wurde.

Von Jürgen Stratmann | 30.12.2011
    Sicher nicht ungewöhnlich, dass Musiker sich von literarischen Vorlagen inspirieren lassen, aber im Fall des Albums "Are you here for the conference as well" verhält sich die Angelegenheit doch ein bisschen rätselhafter, als sonst.

    Denn John Michael Whelan und Keef Winter vom irischen Ton-Künstler-Duett "Rubashov" haben versucht, sich zur Produktion ihres gerade erschienenen Konzeptalbums in die gleiche Situation zu versetzen wie ihr literarisches Vorbild.

    "Nicolas Salmanowitsch Rubashov ..."

    ... besagter Rubashov - Protagonist des Romans "Darkness at Noon" – auf Deutsch: Sonnenfinsternis - von Arthur Koestler, einem Ex-Kommunisten, der in seinen späten Jahren als glühender Renegat in diesem Roman das Scheitern der Sowjet-Utopie beschrieb!-

    Kurz zum Inhalt: Die Geschichte spielt zur Zeit der stalinistischen Säuberungen und handelt vom alternden Revolutionär Rubashov, der - eigentlich Teil des totalitären Apparats - plötzlich selbst verhaftet und eingesperrt wird. Und dieser Rubashov ist - naja - nicht unbedingt eine klassische Identifikationsfigur - eher jemand mit jeder Menge Leichen im Keller, aber Michael John Whelan und Keef Winter von "Rubashov" interessieren sich weniger für ideologische Irrgänge zu Unrecht liquidierter Sowjet-Heroen, als vielmehr für die mentalen Prozesse eines Menschen während der Inhaftierung - denn: der Romanheld erfährt seine Lage nicht nur als Unglück - so heißt es an einer Stelle:

    "Rubashov streckte sich auf der Pritsche aus, nahm den Zwicker ab, legte ihn auf die Steinfliesen, lächelte und schloß die Augen. Er fühlte sich geborgen!"

    Und er stellt in dieser Extremsituation nach und nach sein ganzes Leben, seine Überzeugungen und Gewissheiten in Frage! Das ist es, was die Musiker an der Kerker-Isolation interessiert:

    Michael John Whelan:

    "Für mich ist das ein inspirierender und interessanter Ort, wo Ideen entstehen! Es ist auf eine Art sicher ein Endpunkt, ein Moment des Todes, aber auch ein Moment der Geburt."

    Und vielleicht sogar ein Ort der Befreiung? Befreiung aus ...

    "mentalen Kellern und mentalen Gefängnissen."

    Eigentlich arbeiten Michael John Whelan und Keef Winter als visuelle Künstler. Aber als sie ihre gemeinsame Begeisterung für dystopische Literatur im Allgemeinen und den Koestler-Roman im Speziellen entdeckten, da wollten sie zusammen etwas daraus machen - nur: eben nicht im eigenen Metier - warum?

    "Ich denke, als bildende Künstler kommen wir aus sehr unterschiedlichen Richtungen, haben sehr unterschiedliche Vorstellungen."

    "Und wir wollten mal was anderes ausprobieren."

    Also haben sie ein neues Arbeitsfeld gefunden: experimentelle elektronische Musik - erzeugt in selbst gewählter Ausnahme-Atmosphäre:

    Keef Winter:

    "Wir haben in Berlin herumgesucht, dann diesen Keller gefunden und uns Zugang verschafft, zu diesem, sagen wir mal: zu diesem halb-öffentlichen Raum - dann haben wir da ein mobiles Studio reingeschleppt, und sind da unten vier Nächte, fünf Tage geblieben."

    Alles sollte möglichst sein wir in der Geschichte. Obwohl: die Häftlinge im Roman ernähren sich vorwiegend von Wasser und Brot.

    "Da haben wir möglicherweise geschummelt - aber darüber möchten wir hier nicht sprechen."

    Zur Geräuscherzeugung wurde benutzt, was zu finden war - das Stück "Cell" beispielsweise besteht ausschließlich aus solchen "Found Sounds" ...

    "Wir haben zum Beispiel aufgenommen, wie wir Rubishows Name in die Steinwand gekratzt haben, mit Eisenstäben auf Kohlenkästen schlagen und so weiter."

    Und die Lied-Texte sind teilweise zitiert aus als Schmökern, die dort herumflogen.

    Und das Ganze klingt :

    "Nicht zu zeitgemäß! Wir haben dafür allerdings alles an neuester Software benutzt, was wir in die Finger kriegen konnten."

    "Ja, wir wollten so ´ne Art Berlin-Sound oder diesen - Minimal-Techno-Sound, der ja in Deutschland so dominant ist, dazu dieses Retro-Feeling in der Krautrock-Tradition, im Stil von Kraftwerk, Neu oder Tangerine Dream."

    Und sie selbst charakterisieren ihren Sound als ...

    "Dystopian-Minimal-fractured-Reconstruction"

    "Yeah, Dystopian-Minimal-fractured-Reconstruction"

    Und ich meine: wird schon stimmen!


    Link:

    Die Bandmitglieder haben Ihre Erfahrungen zu den Aufnahmen für diesen Beitrag in dem Künstler-Blog schönschrift.orgbeschrieben.

    Homepage Rubashov