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Musik für das Cembalo
Aufsehenerregende Schallplattendebüts

Zwei Gewinner des Alte-Musik-Wettbewerbs "Concours Musica Antiqua" in Brügge sorgen mit ihren Neuerscheinungen für Furore. Die beiden Franzosen Justin Taylor und Jean Rondeau haben ihre Debüt-CDs vorgestellt und überzeugen mit ebenso virtuosem wie kantablem Spiel. Das Cembalo als Soloinstrument gewinnt derzeit wieder an Aufmerksamkeit.

Von Rainer Baumgärtner | 28.08.2016
    Ein Cembalo, aufgenommen am 12.12.2014 bei J.C. Neupert Manufaktur fuer historische Tasteninstrumente in Hallstadt bei Bamberg (Bayern).
    Beim "Concours Musica Antiqua" im flämischen Brügge wurde am Cembalo um Preise gestritten. (picture alliance / dpa / David Ebener)
    Der 'Concours Musica Antiqua' im flämischen Brügge ist der weltweit bedeutendste Nachwuchswettbewerb im Bereich der Alten Musik. Berühmte Interpreten wie Ton Koopman, Christophe Rousset oder Kristian Bezuidenhout haben sich mit dortigen Erfolgen ihre ersten Sporen verdient. Die Wettbewerbsinstrumente wechseln jährlich, wobei Cembalo und Orgel in dem seit 1964 ausgetragenen Concours am häufigsten angeboten wurden. Auch im vergangenen Jahr wurde wieder am Cembalo um Preise gestritten und der damals 23-jährige Franzose Justin Taylor hat dabei so richtig abgeräumt. Er gewann sowohl den Ersten Preis als auch den Publikumspreis, außerdem einen Förderpreis der EU und den Preis des Labels Alpha für die Produktion einer CD. Das Ergebnis der letztgenannten Auszeichnung kommt in wenigen Tagen in die Läden: eine bemerkenswerte CD mit dem Titel 'La Famille Forqueray - Die Familie Forqueray'.
    Musik: Forcroy (Antoine Forqueray?), Prélude non mesuré en ré mineur
    Dies war ein d-Moll-Prélude von einem 'Forcroy', wie er im Manuskript nur heißt. Dahinter könnten sich mehrere französische Musiker dieses Namens aus dem frühen 18. Jahrhundert verbergen. Womöglich stammt es vom Gambenvirtuosen am Hofe Ludwigs XIV., Antoine Forqueray. Ansonsten galten von diesem vor allem die 29 Werke als erhalten, die sein Sohn Jean-Baptiste nach Antoines Tod als Schöpfungen des Vaters herausgebracht hat. Dass die Stücke, die der Sohn in Fassungen für Gambe und für Cembalo veröffentlichte, jedoch tatsächlich vom Senior stammen, ist unwahrscheinlich - vor allem aus stilistischen Gründen, aber auch, weil viele Kompositionen Personen aus dem Umkreis von Forqueray Junior gewidmet sind. Das Verhalten Antoines zu seinem Sohn war im Übrigen so verstörend, wie man es sich kaum vorzustellen vermag. Er sah so sehr einen Rivalen in Jean-Baptiste, der wie er ein musikalisches Wunderkind auf der Gambe war, dass er ihn 15-jährig ins Gefängnis einweisen ließ und später seine Verbannung zu erwirken suchte!
    Welch temperamentvoller Charakter der Vater war, das illustriert das mit 'La Forqueray' überschriebene Stück aus der Veröffentlichung von Jean-Baptiste.
    Musik: Jean-Baptiste Forqueray, Première Suite en ré mineur : 2. La Forqueray
    Auf seiner Debüt-CD 'La Famille Forqueray' liefert Justin Taylor ein geschickt konzipiertes Programm mit französischer Cembalomusik rund um die Familie Forqueray. Im Zentrum stehen zwei Suiten, die Jean-Baptiste Forqueray veröffentlicht hat. Fast alle Sätze darin sind einzelnen Persönlichkeiten gewidmet, darunter Musikern wie Rameau, Couperin oder Guignon, und wahrscheinlich sind sie auch nach dem Charakter der jeweiligen Personen gestaltet. Doch nicht nur der Vater oder Sohn Forqueray haben andere Musiker auf diese Weise gewürdigt, vielmehr war es damals allgemein üblich, Kollegen musikalische Denkmäler zu setzen. Zwei solche, mit 'La Forqueray' überschriebene Sätze hat Justin Taylor auf seiner CD berücksichtigt. Einer davon stammt von dem in Rouen gebürtigen und in Paris wirkenden Cembalisten Jacques Duphly.
    Musik: Jacques Duphly, Troisième livre de pièces de clavecin: La Forqueray (Ausschnitt)
    Das Jahr 2016 ist außergewöhnlich, wenn man es aus dem Blickwinkel neuer CDs von Cembalo-Gewinnern beim Alte-Musik-Wettbewerb in Brügge betrachtet. Denn der in Angers geborene Justin Taylor ist nicht der einzige französische Sieger des Brügger Concours, der in diesem Jahr mit einem aufsehenerregenden Schallplattendebüt aufwartet. Jean Rondeau, ein Jahr älter als Taylor und aus Paris stammend, teilte sich 2012 in Brügge den ersten Preis. (Beim Musikfest Bremen wurde ihm gerade der 'Förderpreis Deutschlandfunk' verliehen.) Seine erste CD 'Bach - Imagine', die in diesem Frühjahr bei uns herauskam, lädt dazu ein, sie Taylors Forqueray-Platte gegenüberzustellen. Im Vergleich zu Jean Rondeau mit seiner wirren Frisur wirkt der schlaksige Justin Taylor wie ein braver Sonntagsschüler, doch das wildere und exzentrischere Repertoire liefert Taylor. Stilistisch sind die beiden Absolventen des Pariser Konservatoriums, die dort auch dieselben Lehrer hatten, nicht weit voneinander entfernt. Beide überzeugen mit ebenso virtuosem wie kantablem Spiel. Rondeaus CD-Programm besteht fast vollständig aus Transkriptionen und ist daher spekulativer, beispielsweise mit der Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs a-Moll-Suite für Flöte solo.
    Musik: Johann Sebastian Bach/Stéphane Delplace, Solo für Flöte a-Moll (Bearb. e-Moll), WV 1013: 4. Bourrée angloise
    Die hochwertigen Neuerscheinungen der preisgekrönten Nachwuchskünstler Jean Rondeau und Justin Taylor kann man als Indiz dafür werten, dass das Cembalo als Soloinstrument derzeit wieder an Aufmerksamkeit gewinnt. Dies gilt zumindest für die Schallplattenindustrie, von der zuletzt noch weitere junge Interpreten ins Rampenlicht gerückt wurden — etwa der gebürtige Iraner Mahan Esfahani, der gerne auch zeitgenössische Werke aufführt.
    Die Debüt-CDs von Rondeau und Taylor sind vom Repertoire her sehr verschieden, doch gemeinsam ist ihnen die Beschäftigung mit dem Thema Transkription. Die von Jean-Baptiste Forqueray veröffentlichten Suiten waren ursprünglich für die Bassgambe geschrieben, bevor er sie für das populärere Cembalo arrangierte. Dadurch angeregt hat Justin Taylor für seine erste CD eine Suite für drei Gamben, die nur mit dem Nachnamen 'Forcroy' überliefert ist, eigenhändig für sein Instrument bearbeitet. Auch dieses Werk trägt zum großen Genuss bei, den das Hören der Aufnahme bereitet. Es gelingt Taylor auf dem Nachbau eines flämisch-französischen Instruments von Ruckers und Hemsch, 79 Minuten lang die Spannung aufrecht zu erhalten und mit wunderbarer Anschlagskultur und enorm einfühlsamem Spiel zu begeistern.
    Musik: Antoine Forqueray (?)/Justin Taylor, Pièces pour trois violes (arr.): 2. Courante