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"Musik mit Bedeutung"

Die frühere Kulturstaatsministerin Christina Weiss hat den verstorbenen Lyriker Oskar Pastior als "Sprachzauberer" gewürdigt. "Seine Gedichte, seine Texte, von ihm gesprochen, das war Musik mit Bedeutung", sagte Weiss.

Moderation: Karin Fischer | 05.10.2006
    Karin Fischer: Er war er eine ganz besondere Stimme in der Literatur. Eindrücklich, anders, eine singuläre Erscheinung. "Großmeister des Wortgebrauchs", "lingualer Neutöner", "Wortschatzmagier" wurde er genannt. Der Lyriker Oskar Pastior ist gestern Abend während der Buchmesse im Kreis von Freunden und Literaten gestorben. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man das schön finden. Wir hören noch einmal auf diese besondere Stimme und wir sprechen mit der früheren Kulturstaatsministerin Christina Weiss, die ihn gut kannte und sehr schätzte.

    Oskar Pastior war 78 Jahre alt. Einen Tag nach seinem nächsten Geburtstag, am 21. Oktober, hätte er den Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erhalten, der jetzt posthum verliehen wird. Klaus Reichert, der Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, würdigte den Preisträger und Freund so:

    "Es war ja nicht wirklich Deutsch, was er geschrieben hat, sondern es waren erfundene Sprachen, die manchmal klangen, als kämen sie aus einer ganz weiten Vergangenheit zu uns. Und man dachte immer, jetzt verstehe ich ein bisschen, und dann war das Verständnis aber wieder weg. Es waren Klanggebilde, die er aufgebaut hat. Und man bekommt den Eindruck nicht so sehr, wenn man die Sachen liest, als wenn man sie ihn vortragen hörte."

    Oskar Pastior wurde 1927 im rumänischen Siebenbürgen geboren, ist deutschsprachig aufgewachsen und war in den 60er in Rumänien bereits zum hochgelobten Aushängeschild einer Minderheitenlyrik avanciert - was er nicht bleiben wollte. 1969 nutzte er einen Aufenthalt zur Flucht nach Deutschland, lebte zuerst in München, dann in Berlin und wurde hier alsbald als legitimer Nachfahre von Dada gerühmt und berühmt. Ein Kritiker schrieb einmal, Pastior habe nicht nur das Lautgedicht und das Prosagedicht, das Anagramm, das Sonett und die Sestine in unserer Sprache mit den schönsten Beispielen bereichert, sondern die Poesie auch um Gattungen erweitert, von denen wir nichts ahnten. Was davon aber tatsächlich mit seiner Herkunft zu tun hat und wie, das hat Pastior selbst einmal wie folgt beschrieben:

    "Es hängt natürlich an der relativen Mehrsprachigkeit, in der wir dort aufgewachsen sind und denken gelernt haben und beim Denken in der Muttersprache natürlich auch die Sprachen am Rand, die mit eine Rolle im Leben gespielt haben, mitbedacht haben. Also ständig auch gedacht haben, was hören die Rumänen oder Ungarn oder die Ideologen - die sind eine eigene Gattung von Menschen - aus dem, was ich sage, heraus?"

    Christina Weiss ist Literaturwissenschaftlerin und sie hat sich für die Sprachbewegungen und Produktionstechniken Oskar Pastiors immer interessiert. Sie hat als alleinige Jurorin Oskar Pastior im Jahr 2002 für den Erich-Fried-Preis erwählt. und sie ist Laudatorin auch des Büchner-Preises in diesem Herbst. Ich habe Frau Weiss auf der Buchmesse gesprochen und sie zuerst gefragt: Wie würden Sie die Dichtung oder das Dichten von Oskar Pastior am ehesten umschreiben?

    Christina Weiss: Na zuallererst fällt mir das Wort ein "Sprachzauberer". Was Oskar Pastior mit Sprache gemacht hat und aus der Sprache als musikalischem Material herausreizen konnte, das ist einmalig. Und das ist auch deshalb so ein schrecklicher Verlust, weil man ihn jetzt nie mehr wird sprechen hören. Seine Gedichte, seine Texte, von ihm gesprochen, das war Musik mit Bedeutung.

    Fischer: Schon die Titel seiner Bücher sprechen ja auch von diesem Witz, der in der Sprache steckt. Zum Beispiel "Höricht. Sechzig Übertragungen aus einem Frequenzbereich" oder "Vom Sichersten ins Tausendste" - damit ist er '69 in Deutschland bekannt geworden - oder "Neununddreißig Gimpelstifte", so heißen diese Bände. Ist das überbordende Fantasie, ist das lustige Anarchie, oder ist das doch eher ein sehr ernster Kampf gegen die Eindimensionalität von Sprache?

    Weiss: Das ist eine sehr ernste Subversion mit dem Mittel Sprache. Subversion als Auflehnung begriffen gegen jede Regelung, gegen jede vorgegebene Eindeutigkeit, gegen Sprachvernutzung, die ja Oskar Pastior selbst in Rumänien noch erlebt hat. Also er hat ja selber erfahren müssen, wie Sprache als politisches Instrument missbrauchbar ist. Und er hat Zensur erfahren müssen. Und er hat damals, als er Rumänien verließ, glaube ich, endgültig für sich den Entschluss gefasst, mit dem Mittel der Sprache gegen alle Festlegungen, die ihm von außen aufgezwungen werden, zu opponieren. Und das ist ihm auf eine ausgesprochen sinnliche und intensive Art und Weise gelungen.

    Fischer: Das heißt, auch wenn man sich anhand von Oskar Pastiors Gedichten noch mal diese längst vergessenen Formeln von Metonymie, Synekdoche, Oxymoron und was auch immer klarmachen kann, das waren mehr als Sprachspielereien?

    Weiss: Das ist sehr viel mehr als Sprachspielerei. Eine Eigenart von Oskar Pastior - die ihn im Übrigen ja auch zu einem Mitglied der französischen Oulipo-Gruppe werden ließ, also Ouvroir de Littérature Potentielle, gegründet von Raymond Queneau -, das ist das Verfahren, wie man mit Sprache zwar spielerisch umgeht, aber nach bestimmten Gesetzen, die man sich selbst vorgibt. Und er hat eben alte Poesieregeln genommen und hat sich an diesen Poesieregeln sozusagen als Korsett festgehalten, um eben nicht ins Willkürliche zu geraten. Keiner dieser Texte ist willkürlich. Sie sind alle sehr hart erarbeitet - was der Leser dann natürlich nicht unbedingt hören muss.

    Fischer: Was ja auch von einer gewissen geschichtlichen Hartnäckigkeit zeugt, weil er ja immer als derjenige betrachtet wurde, der sozusagen Dada über den Krieg und in die heutige Zeit gerettet hat.

    Weiss: Nun, die Dadaisten haben natürlich auch Subversion betrieben. Auch die Dadaisten haben gegen die alltägliche Vernutzung von Sprache opponiert. Insofern gibt es da in der Tat eine klare Fortsetzungslinie zu Oskar Pastior hin. Aber er hat einfach die sinnlichen Dimensionen von Sprechen, von Sprache. Das ist Bild, das ist Klang. Wenn Sie einen Buchstaben verändern, haben Sie einen völlig neuen Bedeutungszusammenhang. Er hat mit all diesen Dimensionen von Sprache gespielt, und deswegen ist es auch im Grunde ein Wahrnehmungstraining lustvollster Art, was man erfahren kann, wenn man Oskar Pastiors Texte selbst liest oder natürlich noch besser: lesen hört.

    Fischer: Der Text war sein Leben, haben Sie mal von ihm gesagt. Sie haben ihn auch persönlich gut gekannt, Frau Weiss. Was war Oskar Pastior für ein Mensch? Ist er denn in seinem Schreiben tatsächlich ganz aufgegangen?

    Weiss: Es ist schon so, dass es eine Einheit war, dieser Mann, dieser Mensch und seine Sprachen, sage ich jetzt mal - es ist ja nicht eine Sprache. Er hat ja in dieser Vielfalt von Sprachen gelebt und er hat immer die Übergänge gesucht, er hat immer übersetzt, im vielfachen Sinn. Ich habe Oskar Pastior in der Tat sehr, sehr früh kennen gelernt. Und ich war von Anfang an auch gebannt von dieser musikalischen Intensität, die Sprache in seinem Mund haben konnte. Ich habe sehr viel über ihn geschrieben, ich habe ihn immer wieder gefördert und habe fast alle seine Bücher rezensiert. Und für mich besonders traurig jetzt: Ich habe die Laudatio auf ihn geschrieben zum Büchner-Preis, und sie war geschrieben für ihn, und er wird sie jetzt nicht mehr hören.

    Fischer:: Christina Weiss war das mit Gedanken zur Lyrik Oskar Pastiors, der gestern im Alter von 78 Jahren starb.