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Musik und Kriminalität
Debatten über "Mafiamusik" in Italien

In Italien flammt immer wieder eine Diskussion um sogenannte Mafiamusik auf. Sie soll, so heißt es pauschal, für die starke Kriminalität im Süden Italiens mitverantwortlich sein. In den Texten geht es um Mafiamitglieder und Bandenbosse. Musikwissenschaftler sind geteilter Meinung.

Von Thomas Migge | 02.04.2014
    In diesem Song von Gianni Celeste mit dem Titel "Nu Latitante" wird die abenteuerliche Flucht eines gesuchten Mafioso besungen. Der Boss kommt dabei erstaunlich gut weg.

    Seit Jahren warnen Medien und Behörden in immer dramatischeren Tönen vor sogenannter Mafiamusik. Sie sei, heißt es pauschal, für die Macht oder Dominanz der organisierten Kriminalität mitverantwortlich. Genau das sei aber nicht der Fall, erklärt der an der britischen Universität von Newcastle lehrende italienische Musikwissenschaftler Goffredo Plastino:

    "Es ist immer ein klassisches Argument der Panikmache, genau das zu behaupten. Ich setze dagegen eine Aussage von Frank Zappa: angesichts zahlloser Liebeslieder müssten wir uns doch alle lieben, was aber nicht der Fall ist. Lieder verführen also zu nichts."
    In seinem gerade in Italien erschienen Buch "Cosa nostra Social Club" vertritt Plastino die These, dass man in den meisten Fällen nicht von Mafiamusik sprechen könne, sondern vielmehr von einem musikalischen Phänomen, das Teil einer umfassenden mafiösen Kultur Süditaliens sei:

    "Noch nie hat sich ein Musikwissenschaftler dieses Themas angenommen. Immer nur Journalisten, Staatsanwälte, Soziologen und die betrachten das Thema nie im Gesamtzusammenhang. Diese Musik ist doch nur das Spiegelbild einer kriminellen Welt, produziert sie aber nicht."

    Das Spiegelbild einer kriminellen Welt ist Musik in Italien nicht erst seit gestern. Schon Ende des 19. Jahrhunderts thematisierten veristische Opern wie "A basso Porto" von Nicola Spinelli oder auch "Mala vita" von Umberto Giordano ganz offen mafiöse Lebenswelten. Opern, die im Ausland einen gewissen Erfolg hatten, in Italien aber so gut wie nie aufgeführt wurden. Bis heute nicht. Aus einem präzisen Grund: Goffredo Plastino zufolge wurde damals und wird heute Musik, die mafiöse Themen aufgreift, mitverantwortlich für die Ausbreitung der organisierten Kriminalität gemacht. Eine Fehleinschätzung, so der Musikwissenschaftler. Man habe immer noch nicht begriffen, dass Mafia seit mehr als 100 Jahren nicht nur ein kriminelles, sondern vor allem ein kulturelles Phänomen sei, das in Süditalien alle Lebensbereiche erfasst, also auch die Musik.
    Gespaltene Ansichten zur Mafiamusik
    Das sieht auch Maria Nazionale so. Sie ist eine der bekanntesten neapolitanischen Sängerinnen der sogenannten "neomelodici". Das ist ein für Neapel typisches melodisches Musikgenre:

    "Es ist schwierig für Popsänger in Neapel, sich aus der von der Mafia dominierten Musikkultur zu befreien. Denn sie ist überall präsent. Wenn ich für eine Hochzeit oder einen Geburtstag ein Engagement erhalte, bin ich nie sicher, ob dahinter kein reicher Boss steckt. Eine Realität, die, auch wenn sie uns nicht gefällt, nun mal so ist."
    Auch Federico Vacalebre, Musikexperte der neapolitanischen Zeitung "il Mattino", ist davon überzeugt, dass man die sogenannte Mafiamusik als musikalische Gattung akzeptieren müsse:
    "Fakt ist doch, dass es sich hier um Musik mit Inhalten handelt. Das sind Stimmen aus dem Bauch unserer süditalienischen Gesellschaft. Warum zum Beispiel soll in einem Lied nicht die Rede von einem ehemaligen Schulfreund sein, der ein Mafiaboss wird aber immer noch ein guter Freund ist?!"
    Musikjournalist Vacalebre fordert, dass man, ganz im Sinn von Goffredo Plastino, bei den vermeintlichen Mafialiedern genau hinhören sollte. Nur so könne man verstehen, wie das Verhältnis der Süditaliener zur organisierten Kriminalität ist - um daraus zu lernen, was man gegen diese Realität unternehmen kann.