Viel hat sich nicht verändert, seit aus Besatzern Vorbildern geworden sind. In den Fünfzigern hatten der Dialog-Gedanke der amerikanischen reeducation in einer Gründungswelle von Gesellschaften erste Erfolge erzielt. Anders als direkt nach dem Krieg, als das christliche Deutschland noch zu zerstritten, das jüdische ausgelöscht gewesen war, gingen nun in den christlich-jüdischen Gesellschaften die beiden Konfessionen nach der Engstirnigkeit und Leere in den Vierziger eine Symbiose ein. Die in der Trümmerrepublik gestrandeten jüdischen Überlebenden bekamen eine Heimstatt und die deutschen Christen, die die Vergangenheit mit Gutem vergelten wollten, erhielten durch die Zusammenarbeit die Absolution.
Frieden schaffen ohne Waffen, nicht von ungefähr lagen die Begeisterung christlich-jüdischer Gesellschaften eher in der verhaltenen Begeisterung für Klezmerkonzerte als in der präzisen Konfliktkritik. Staatstragend ist also auch dieser Festakt zur 50. Woche der Brüderlichkeit gewesen. Roland Koch lobte den Kassler Franz Rosenzweig, der Hessen hatte verlassen müssen, so der Landesvater. Selbstverständlich fiel kein Wort zum Dritten Reich und keines zur Lüge seiner Partei, ihr Schwarzgeld stamme aus einem jüdischen Erbe. Gelobt wurde ein Streiter, dessen Engagement einem Konflikt gilt, über den es sich im temperierten Raum bei koscheren Kanapees trefflich debattieren lässt. Bis Israel ist’s doch recht weit und unser Heiland ist schon lange tot.
Bloß keinen Lärm nicht, so diese öffentliche Reaktion nach den verstörenden Anschlägen von Madrid und dem drohenden Hassgebräu demnächst bei uns im Kino. Nur der Zentralratsvorsitzende Paul Spiegel sah die Sache etwas anders.
Würdigte Jobst Plog, Intendant des NDR und Vorsitzender der ARD die Dialektik des jüdischen Emigrantenkindes Daniel Barenboim - der nie provozieren wolle, wie er selber sage, aber Wagner spiele, wie vor fast drei Jahren in der Jerusalemer Halle der Nationen. So wurde der Preisträger der Buber-Rosenzweig Medaille nicht als politischer, sondern als musikalischer Mensch gesehen. Und weil dem Sohn russischer Pianisten, der in seiner Kindheit dachte, alle Menschen könnten Klavier spielen, weil diesem Menschen die Musik nicht eine Profession sondern eine Art zu leben sei, darum, so Plog, erfasse dieser politische Vorgänge mit musikalischen Gefühl.
Barenboim, der schon aus eigener Lebenserfahrung, in Argentinien geboren, mit neun nach Israel, als Wunderkind mit Lehrern auf der ganzen Welt versehen, stets aber und was wäre anders in einem argentinisch-jüdischen Haushalt russischer Emigranten in dem Israel der Fünfziger denkbar als eine Streitkultur mit divergierenden Interpretationen von Geschichte, Wirklichkeit und Tradition. Barenboims Fazit: zu Beginn des 21. Jahrhunderts sei es niemandem möglich auf einer einzigen Identität zu bestehen. In seinen Dankesworten – ohne Manuskript – erwies sich der Umkränzte als ebenso präziser Beobachter, wie politischer Denker.
Kein Zweifel, Daniel Barenboim ist ein würdiger Preisträger und sein israelisch-palästinensischer Jugendorchester, das in diesem Jahr sein fünfjähriges Bestehen feiern wird, ist eine Augenweide ein nahöstlichen Was-Wäre-Wenn, doch der streitbare General- Musikdirektor hätte sich längst mit seiner brillanten Musiker-Karriere zufrieden geben können, wenn er nicht die Verankerung der Musik im real existierenden Leben fordern würde, auch in dem unterdrückten Leben von Ramallah. Und weil der Weltmusiker nach derartigen Momenten dürstet, darum adelt der Preisträgers den Preis, den eine furchtsame Jury verlieh.