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Musik und Politik

Auf Mozarts Spinett hat Daniel Barenboim, seinerseits ein Wunderkind, schon als 9jähriger in Salzburg spielen dürfen. Seine Eltern waren Klavierlehrer, sie lebten in Argentinien, Stipendien ermöglichten dem Sohn das Musikstudium in Europa, als 12jähriger spielte er seinem musikalischen Vorbild, dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler vor und bekam eine Einladung nach Berlin. Aber an dieser Stelle spielten die Eltern nicht mit: In diesem Jahr 1954 durfte Daniel Barenboim nicht fahren, weil, so sein Vater, die Zeit für Juden noch nicht gekommen sei, nach Berlin zurückzukehren. 50 Jahre später sind die Worte Barenboim und Berlin so eng verknüpft wie Mozart und Salzburg. Daniel Barenboim hat heute die nach zwei großen jüdischen Philosophen benannte Buber-Rosenzweig-Medaille erhalten, für ein Werk das nicht nur dem Dienst an der Musik gewidmet ist.

Von Jochanan Shelliem |
    Mel Gibson, der Name ist in dem kleinen vornehmen Hotel Dolce am Kurpark von Bad Nauheim selbstverständlich nicht gefallen. Ja, 72 Stunden nach den Bomben von Madrid war wohl die Rede vom Angriff auf die Zivilgesellschaft. Doch in welchem Ton eröffnete Berndt Schaller, evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates die 50. Woche der Brüderlichkeit. Eine Gedenkminute für die Opfer von Madrid setzte er an und weil man gerade dabei war auch für all diejenigen, die seit einem Jahr in Israel und Palästina, im Irak, in Russland und in Tschetschenien der terroristischer Gewalt zum Opfer gefallen sind. Kein Wort über die Mörder. Stillhalten als die erste Reaktion angesichts der Bedrohung der Zivilgesellschaft durch den Terror Andersdenkender, kein Wort also Mel Gibsons blutrünstigem Lichtspielspektakel, in dem das Leiden Christi als Passionsgang zwischen einem fanatisierten jüdischen Mob und einer pragmatischen römischen Obrigkeit dargestellt wird, die lieber einen kreuzigt als das Chaos und den Aufstand dieser Provinzler zu riskieren. Kein Wort zu dem, was man anläßlich des bevorstehenden deutschen Kinostarts des Mad Max Films – erwarten darf. Brüderlichkeit, das hieß im fünfzigsten Jahr nach Einführung der Woche in der Wetterau: Bub halt die andere Backe hin, sei nett und tritt der Tante nicht auf ihr Kleid.

    Viel hat sich nicht verändert, seit aus Besatzern Vorbildern geworden sind. In den Fünfzigern hatten der Dialog-Gedanke der amerikanischen reeducation in einer Gründungswelle von Gesellschaften erste Erfolge erzielt. Anders als direkt nach dem Krieg, als das christliche Deutschland noch zu zerstritten, das jüdische ausgelöscht gewesen war, gingen nun in den christlich-jüdischen Gesellschaften die beiden Konfessionen nach der Engstirnigkeit und Leere in den Vierziger eine Symbiose ein. Die in der Trümmerrepublik gestrandeten jüdischen Überlebenden bekamen eine Heimstatt und die deutschen Christen, die die Vergangenheit mit Gutem vergelten wollten, erhielten durch die Zusammenarbeit die Absolution.

    Frieden schaffen ohne Waffen, nicht von ungefähr lagen die Begeisterung christlich-jüdischer Gesellschaften eher in der verhaltenen Begeisterung für Klezmerkonzerte als in der präzisen Konfliktkritik. Staatstragend ist also auch dieser Festakt zur 50. Woche der Brüderlichkeit gewesen. Roland Koch lobte den Kassler Franz Rosenzweig, der Hessen hatte verlassen müssen, so der Landesvater. Selbstverständlich fiel kein Wort zum Dritten Reich und keines zur Lüge seiner Partei, ihr Schwarzgeld stamme aus einem jüdischen Erbe. Gelobt wurde ein Streiter, dessen Engagement einem Konflikt gilt, über den es sich im temperierten Raum bei koscheren Kanapees trefflich debattieren lässt. Bis Israel ist’s doch recht weit und unser Heiland ist schon lange tot.
    Bloß keinen Lärm nicht, so diese öffentliche Reaktion nach den verstörenden Anschlägen von Madrid und dem drohenden Hassgebräu demnächst bei uns im Kino. Nur der Zentralratsvorsitzende Paul Spiegel sah die Sache etwas anders.

    Würdigte Jobst Plog, Intendant des NDR und Vorsitzender der ARD die Dialektik des jüdischen Emigrantenkindes Daniel Barenboim - der nie provozieren wolle, wie er selber sage, aber Wagner spiele, wie vor fast drei Jahren in der Jerusalemer Halle der Nationen. So wurde der Preisträger der Buber-Rosenzweig Medaille nicht als politischer, sondern als musikalischer Mensch gesehen. Und weil dem Sohn russischer Pianisten, der in seiner Kindheit dachte, alle Menschen könnten Klavier spielen, weil diesem Menschen die Musik nicht eine Profession sondern eine Art zu leben sei, darum, so Plog, erfasse dieser politische Vorgänge mit musikalischen Gefühl.

    Barenboim, der schon aus eigener Lebenserfahrung, in Argentinien geboren, mit neun nach Israel, als Wunderkind mit Lehrern auf der ganzen Welt versehen, stets aber und was wäre anders in einem argentinisch-jüdischen Haushalt russischer Emigranten in dem Israel der Fünfziger denkbar als eine Streitkultur mit divergierenden Interpretationen von Geschichte, Wirklichkeit und Tradition. Barenboims Fazit: zu Beginn des 21. Jahrhunderts sei es niemandem möglich auf einer einzigen Identität zu bestehen. In seinen Dankesworten – ohne Manuskript – erwies sich der Umkränzte als ebenso präziser Beobachter, wie politischer Denker.

    Kein Zweifel, Daniel Barenboim ist ein würdiger Preisträger und sein israelisch-palästinensischer Jugendorchester, das in diesem Jahr sein fünfjähriges Bestehen feiern wird, ist eine Augenweide ein nahöstlichen Was-Wäre-Wenn, doch der streitbare General- Musikdirektor hätte sich längst mit seiner brillanten Musiker-Karriere zufrieden geben können, wenn er nicht die Verankerung der Musik im real existierenden Leben fordern würde, auch in dem unterdrückten Leben von Ramallah. Und weil der Weltmusiker nach derartigen Momenten dürstet, darum adelt der Preisträgers den Preis, den eine furchtsame Jury verlieh.