Frank Olbert: Herr Schlichting, kommen wir doch erst einmal auf den Namenspatronen des Preises. Karl Sczuka war Hauskomponist des damaligen Südwestfunks. Was genau hatte er da zu tun?
Hans Burkhard Schlichting: Karl Sczuka ist 1946 nach Baden-Baden gekommen, auf Einladung des Gründungsintendanten Friedrich Bischoff. Karl Sczuka war jemand, der seinen Hauptberuf beim Rundfunk wirklich gefunden hatte, und zwar als Komponist. Er war so etwas wie der Hauskomponist oder dienstvertraglich der musikdramaturgische Berater der Hörspielabteilung. Er hat viele Kompositionen zu Hörspielen geschrieben, hat aber auch sonst funktionale Musik für das Radio geschrieben, zum Beispiel die Zwischenmusiken oder das Pausenzeichen. Er hat alle diese Elemente, die Radio im Zeitablauf markieren, gestaltet. Es war eine einzigartige Position im damaligen Rundfunk. Dem Intendanten Friedrich Bischoff war diese musikalische Komponente des Programms sehr wichtig. Er war ja selbst einer der Hörspielpioniere der Zwanziger Jahre gewesen und hatte damals schon von dem "Hörspiel für Musik" gesprochen.
Frank Olbert: War das auch der Grund, warum der Karl-Sczuka-Preis gegründet wurde?
Hans Burkhard Schlichting: Naja, dem damaligen Intendanten, der in seinen jungen Jahren ja wirklich ein großer Experimentator gewesen war, lag schon daran, die Hörspieldramaturgie sozusagen ein bisschen auf eine Linie zu verpflichten, die man "Hörspiel als melodramatische Form" nennen kann. Es sollte ein Gegengewicht geben zu der "Hamburger Dramaturgie", die sich in den Fünfziger Jahren durchzusetzen begann und die das Hörspiel als reines Wortkunstwerk verstand.
Frank Olbert: Nun hat sich seit den Sechziger Jahren der Begriff Radiokunst durchgesetzt, der meint, dass man weg geht vom reinen Wort hin zur Integration von Geräuschen und Musik. Wie hat sich diese Entwicklung auf den Karl-Sczuka-Preis ausgewirkt?
Hans Burkhard Schlichting: Der Karl-Scuka-Preis hat sich von einem Preis für Hörspielmusik zu einem Preis für Hörspiel als Radiokunst verändert, also von einem Preis für nur eine Komponente zu einem Preis für das ganze Werk, für die integrale radiophonische Leistung eines Komponisten, eines Regisseurs oder eines Realisationsteams.
Frank Olbert: Wie hat sich das in den ausgezeichneten Stücken niedergeschlagen?
Hans Burkhard Schlichting: Wenn man mal die Bruchlinie etwa bei Mauricio Kagels "(Hörspiel) – Ein Aufnahmezustand"nimmt, dem Preisstück von 1970, das mit einem Komponisten als Hörspielmacher und nicht bloß als Mitwirkender eine neue Ära markiert hat, dann kann man sagen, dass das eigentlich auch kein Werk ist, das auf Musik basiert. Das Einzige, was man da als musikalische Klangerzeugung hört, ist das Einsetzen eines Brummkreisels, der zufällig im Studio herumsteht. Kagel hat den Studiozustand, den Aufnahmezustand genutzt, um mit ihm zu spielen.
Frank Olbert: Gibt es Impulse, die der Karl-Sczuka-Preis dem heutigen Radio noch geben kann?
Hans Burkhard Schlichting: Was heißt "noch" geben kann? Es ist ein Preis, der sich total verjüngt und auch internationalisiert hat
Zusammen mit Hermann Naber und Heinrich Vormweg hat Hans Burkhard Schlichting eine Chronik des Karl-Sczuka-Preises verfasst. Unter dem Titel "Akustische Spielformen - Von der Hörspielmusik zur Radiokunst" ist sie bei der Nomos-Verlagsgesellschaft erschienen.
Die Verleihung des diesjährigen Karl-Sczuka-Preises findet am 15. Oktober während der Donaueschinger Musiktage statt. Ausschnitte daraus und das prämierte Stück sendet SWR 2 am Donnerstag, den 20. Oktober um 21.03 Uhr.
"Il tempo cambia" hieß das Karl-Sczuka-Preisstück im Jahr 2002. Der Komponist Stefano Gianotti hat zu seinem Hörspiel eine multimediale Matrix entwickelt. Unter www.swr2.de und dem Link "Hörspiel" ist sie im Internet abrufbar.