Wir verlassen das europäische Festland. Die Reise führt zu den britischen Inseln, ins England des 15. Jahrhunderts, und nach Irland, wo man bereits um das Jahr 500, zurzeit von König Artus, Weihnachten gefeiert hat.
"On a Cold Winter’s Day"
"On a Cold Winter’s day" – dieses traditionelle irische Lied hat der neuen CD des Quadriga Consort ihren Namen gegeben. Es handelt sich um 18 Lieder von den britischen Inseln – altenglische Carols, irische und schottische Melodien, die teils sogar in keltischer Sprache gesungen wurden. Das ist ein bislang relativ unentdecktes Feld; und deshalb gibt es bislang auch nur wenige Alte-Musik-Produktionen mit diesem Repertoire, wie Nikolaus Newerkla, der Leiter des Quadriga Ensembles, im Beiheft erklärt.
Mit einer "Wassail bowl" in der Hand sind die Menschen am zwölften Tag nach Weihnachten, also erst am 5. Januar, von Tür zu Tür gewandert und haben ihren Freunden und Verwandten gute Wünsche gebracht. Dafür gab’s kleine Geschenke – und ein heißes Getränk. "A wassail, a wassail […], we beginn" singt Elisabeth Kaplan.
"A wassail, a wassail"
Von der üblichen Fülle an Weihnachts-CDs hebt sich diese Aufnahme ab; sie bietet dem Hörer nicht das x-te Weihnachtsoratorium, sie verzichtet auf Kitsch und auf alles, was gern dem so genannten Mainstream zugerechnet wird. Das würde zu dem in Österreich beheimateten Quadriga Consort ohnehin nicht passen. Gegründet wurde es im Jahr 2000 von Nikolaus Newerkla in Graz. Ursprünglich umfasste die Besetzung acht Musiker, doch seit 2005 – nach dem plötzlichen Tod der Gambistin – tritt man nur noch zu siebt auf. Newerkla ist bis heute der "Spiritus rector" des Ensembles; er hat auch alle Titel für die neue CD selbst bearbeitet und eingerichtet. Dabei ist er durchaus mutig vorgegangen: die Flötenklänge mag der Hörer durchaus erwarten können – im Sinne der Spielmannsmusik des Mittelalters. Aber mit Cembalo? Das ist neu. Newerkla hat die eher schlichten Melodien mit einer teils virtuosen rhythmischen Begleitung versehen; er hat nicht an Verzierungen gespart und setzt auf Effekte, die jedoch nie vordergründig klingen. Dazu zählt, dass die gezupften Pizzicati der Gamben und des Cellos wie ein Gegenpol zu den lang geschwungenen Legato-Linien der Melodien wirken. In einem Fall geht Newerkla sogar so weit, einem englischen Text eine französische Melodie zu unterlegen, um so dem Inhalt des Textes eine musikalisch passende Farbe zu verleihen. Das wirkt kühn, doch die Rechnung geht auf. Hier klingt nichts gewollt oder konstruiert. Diese Musik atmet eine wunderbare Natürlichkeit. Selbst die virtuosen Passagen klingen wunderbar schlicht, wie in "Tune No 176" für Trommel, Blockflöten, Viola da Gamba und Cembalo.
"Tune No 176"
Mit wachem Sinn für Details und einer idealen Balance der einzelnen Instrumente untereinander gelingt dem Quadriga Consort der oft heikle Spagat zwischen Alter Musik und Folk. Erschienen ist diese Produktion unter dem Titel "On a cold Winter’s day" beim Label Carpe Diem.
Auch die Musik der zweiten Aufnahme, die ich Ihnen nun vorstellen möchte, stammt aus England: "Es wird empfohlen, sich diese CD in Etappen zu Gemüte zu führen", warnt Paul van Nevel am Beginn seines Begleittextes; er schlägt vor, dass man sich nur ein Stück pro Tag anhört. Schließlich besuche man ja auch nicht fünf Kathedralen in 24 Stunden. Van Nevel bezieht diese originelle Hör-Anregung auf bislang unveröffentlichte Werke aus dem so genannten "Eton Choirbook", einem aufwendig gestalteten Manuskript mit geistlicher Musik aus dem England des späten 15. Jahrhunderts. Von ursprünglich 93 Werken sind nur 64 erhalten geblieben. Die Geschichte dieser Sammlung hängt eng mit der Historie des Eton College zusammen. Gegründet im Jahr 1440 von dem damals erst 18-jährigen Henry IV., erhielten die Sänger des Colleges eindeutige Weisungen: Täglich mussten sie die Messen, das Stundengebet und das nächtliche "Salve" musikalisch gestalten. Auch die Vorgaben für den Chor waren fest umrissen: Die Mindest-Besetzung umfasste acht Chorknaben und acht Erwachsene.
"William Horewod
Ausschnitt aus "Magnificat à 5""
Soweit ein Ausschnitt aus dem "Magnificat" von William Horewod. Das Huelgas Ensemble bewegt sich unter van Nevels Leitung sicher durch die stetig sich verändernden Harmonien dieser Musik. Die stimmlichen Linienführungen lassen sich genau nachvollziehen. Bestechend, wie es den Sängern gelingt, dieser Musik das Schlichte und gleichzeitig ein hohes Maß an Farbigkeit abzugewinnen. Man glaubt den Ernst, die Frömmigkeit und Strenge, die damals im Eton College geherrscht haben dürften, in diesen Klängen wiedererkennen zu können – und trotzdem atmet diese Musik. Einzig über die Aufnahmequalität dürfte man streiten: Klingt es nicht eine Spur zu hallig?
Zu den führenden Köpfen des "Eton Choirbook" zählt Robert Wylkynson. Er war maßgeblich an der inhaltlichen Konzeption beteiligt. In seiner Doppelfunktion als Komponist und Kantor prägte er die Qualität des College-Chores entscheidend mit. Er war insbesondere für die täglichen "Salve"-Zeremonien verantwortlich.
Der folgende Ausschnitt aus Wylkynsons "Salve Regina" zeigt, wie stilistisch sicher das Huelgas Ensemble mit dieser Musik umgeht. Mal heben sich Sopran und Bass klar voneinander ab; mal treten die Mittelstimmen deutlich hervor. Nie wirkt die Tongebung schattig, nie verwischen die dynamischen Konturen. Vielleicht sollte man wirklich van Nevels Rat befolgen und täglich nur eines der Werke auf dieser CD hören.
"Robertus Wylkynson
Ausschnitt aus "Salve Regina""
Neben einer Einspielung mit alt-englischer Weihnachtsmusik und dem Quadriga Consort hörten Sie zuletzt einen Ausschnitt aus dem "Eton Choirbook" mit dem Huelgas Ensembles unter Paul van Nevel. Erschienen ist diese Produktion beim Label deutsche harmonia mundi im Vertrieb von Sony.
Besprochene CDs:
On a cold Winter‘s day
Early Christmas Music and Carols from the British Isles
Quadriga Consort
Carpe Diem CD 16293; 4032324162931; LC 01320
The Eton Choirbook
Huelgas Ensemble
Paul van Nevel
deutsche harmonia mundi CD 88765408852; 887654088529; LC 00761
"On a Cold Winter’s Day"
"On a Cold Winter’s day" – dieses traditionelle irische Lied hat der neuen CD des Quadriga Consort ihren Namen gegeben. Es handelt sich um 18 Lieder von den britischen Inseln – altenglische Carols, irische und schottische Melodien, die teils sogar in keltischer Sprache gesungen wurden. Das ist ein bislang relativ unentdecktes Feld; und deshalb gibt es bislang auch nur wenige Alte-Musik-Produktionen mit diesem Repertoire, wie Nikolaus Newerkla, der Leiter des Quadriga Ensembles, im Beiheft erklärt.
Mit einer "Wassail bowl" in der Hand sind die Menschen am zwölften Tag nach Weihnachten, also erst am 5. Januar, von Tür zu Tür gewandert und haben ihren Freunden und Verwandten gute Wünsche gebracht. Dafür gab’s kleine Geschenke – und ein heißes Getränk. "A wassail, a wassail […], we beginn" singt Elisabeth Kaplan.
"A wassail, a wassail"
Von der üblichen Fülle an Weihnachts-CDs hebt sich diese Aufnahme ab; sie bietet dem Hörer nicht das x-te Weihnachtsoratorium, sie verzichtet auf Kitsch und auf alles, was gern dem so genannten Mainstream zugerechnet wird. Das würde zu dem in Österreich beheimateten Quadriga Consort ohnehin nicht passen. Gegründet wurde es im Jahr 2000 von Nikolaus Newerkla in Graz. Ursprünglich umfasste die Besetzung acht Musiker, doch seit 2005 – nach dem plötzlichen Tod der Gambistin – tritt man nur noch zu siebt auf. Newerkla ist bis heute der "Spiritus rector" des Ensembles; er hat auch alle Titel für die neue CD selbst bearbeitet und eingerichtet. Dabei ist er durchaus mutig vorgegangen: die Flötenklänge mag der Hörer durchaus erwarten können – im Sinne der Spielmannsmusik des Mittelalters. Aber mit Cembalo? Das ist neu. Newerkla hat die eher schlichten Melodien mit einer teils virtuosen rhythmischen Begleitung versehen; er hat nicht an Verzierungen gespart und setzt auf Effekte, die jedoch nie vordergründig klingen. Dazu zählt, dass die gezupften Pizzicati der Gamben und des Cellos wie ein Gegenpol zu den lang geschwungenen Legato-Linien der Melodien wirken. In einem Fall geht Newerkla sogar so weit, einem englischen Text eine französische Melodie zu unterlegen, um so dem Inhalt des Textes eine musikalisch passende Farbe zu verleihen. Das wirkt kühn, doch die Rechnung geht auf. Hier klingt nichts gewollt oder konstruiert. Diese Musik atmet eine wunderbare Natürlichkeit. Selbst die virtuosen Passagen klingen wunderbar schlicht, wie in "Tune No 176" für Trommel, Blockflöten, Viola da Gamba und Cembalo.
"Tune No 176"
Mit wachem Sinn für Details und einer idealen Balance der einzelnen Instrumente untereinander gelingt dem Quadriga Consort der oft heikle Spagat zwischen Alter Musik und Folk. Erschienen ist diese Produktion unter dem Titel "On a cold Winter’s day" beim Label Carpe Diem.
Auch die Musik der zweiten Aufnahme, die ich Ihnen nun vorstellen möchte, stammt aus England: "Es wird empfohlen, sich diese CD in Etappen zu Gemüte zu führen", warnt Paul van Nevel am Beginn seines Begleittextes; er schlägt vor, dass man sich nur ein Stück pro Tag anhört. Schließlich besuche man ja auch nicht fünf Kathedralen in 24 Stunden. Van Nevel bezieht diese originelle Hör-Anregung auf bislang unveröffentlichte Werke aus dem so genannten "Eton Choirbook", einem aufwendig gestalteten Manuskript mit geistlicher Musik aus dem England des späten 15. Jahrhunderts. Von ursprünglich 93 Werken sind nur 64 erhalten geblieben. Die Geschichte dieser Sammlung hängt eng mit der Historie des Eton College zusammen. Gegründet im Jahr 1440 von dem damals erst 18-jährigen Henry IV., erhielten die Sänger des Colleges eindeutige Weisungen: Täglich mussten sie die Messen, das Stundengebet und das nächtliche "Salve" musikalisch gestalten. Auch die Vorgaben für den Chor waren fest umrissen: Die Mindest-Besetzung umfasste acht Chorknaben und acht Erwachsene.
"William Horewod
Ausschnitt aus "Magnificat à 5""
Soweit ein Ausschnitt aus dem "Magnificat" von William Horewod. Das Huelgas Ensemble bewegt sich unter van Nevels Leitung sicher durch die stetig sich verändernden Harmonien dieser Musik. Die stimmlichen Linienführungen lassen sich genau nachvollziehen. Bestechend, wie es den Sängern gelingt, dieser Musik das Schlichte und gleichzeitig ein hohes Maß an Farbigkeit abzugewinnen. Man glaubt den Ernst, die Frömmigkeit und Strenge, die damals im Eton College geherrscht haben dürften, in diesen Klängen wiedererkennen zu können – und trotzdem atmet diese Musik. Einzig über die Aufnahmequalität dürfte man streiten: Klingt es nicht eine Spur zu hallig?
Zu den führenden Köpfen des "Eton Choirbook" zählt Robert Wylkynson. Er war maßgeblich an der inhaltlichen Konzeption beteiligt. In seiner Doppelfunktion als Komponist und Kantor prägte er die Qualität des College-Chores entscheidend mit. Er war insbesondere für die täglichen "Salve"-Zeremonien verantwortlich.
Der folgende Ausschnitt aus Wylkynsons "Salve Regina" zeigt, wie stilistisch sicher das Huelgas Ensemble mit dieser Musik umgeht. Mal heben sich Sopran und Bass klar voneinander ab; mal treten die Mittelstimmen deutlich hervor. Nie wirkt die Tongebung schattig, nie verwischen die dynamischen Konturen. Vielleicht sollte man wirklich van Nevels Rat befolgen und täglich nur eines der Werke auf dieser CD hören.
"Robertus Wylkynson
Ausschnitt aus "Salve Regina""
Neben einer Einspielung mit alt-englischer Weihnachtsmusik und dem Quadriga Consort hörten Sie zuletzt einen Ausschnitt aus dem "Eton Choirbook" mit dem Huelgas Ensembles unter Paul van Nevel. Erschienen ist diese Produktion beim Label deutsche harmonia mundi im Vertrieb von Sony.
Besprochene CDs:
On a cold Winter‘s day
Early Christmas Music and Carols from the British Isles
Quadriga Consort
Carpe Diem CD 16293; 4032324162931; LC 01320
The Eton Choirbook
Huelgas Ensemble
Paul van Nevel
deutsche harmonia mundi CD 88765408852; 887654088529; LC 00761