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Musikalisch hohes Niveau - platte Bebilderung

Die Oper Chowanschtschina spielt in Russland zur Zeit einer schweren Regierungs- und Religionskrise. Die Kirche verfolgte alle, die ihre Reformen nicht akzeptierten. Gleichzeitig lieferten sich der spätere Zar Peter der I. und seine Halbschwester Sofia einen Machtkampf um den Thron. Andrea Moses hat die Oper nun in Dessau auf die Bühne gebracht.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Morgendämmerung in Moskau, Krisenzeit. Der alte Zar ist tot, der neue, Peter, den man dann den Großen nannte, noch nicht inthronisiert. Es geht um die alte Frage, wie soll Russland sich ausrichten - mehr nach Osten oder nach Westen?

    Anhänger der alten Rus haben sich von der Zarenfamilie und der Kirche abgespalten. Sie wollen, dass der Führer der alten Elitetruppe, der Strelitzen, den Thron erklimmt, Fürst Iwan Chowanski oder dessen Sohn Andrej.
    Die Dramaturgie der Oper ist etwas wirr. Mussorgski hat die "Chowanschtschina" nicht vollendet. Eine konzertante Voraufführung entmutigte ihn an der Fertigstellung. Nach seinem Tod instrumentierte Rimski-Korsakow die Klavierfassung, glättend. 1960 machte sich Dmitri Schostakowitsch neu daran.

    In Dessau spielt man das Werk in dieser Mussorgski-nahen Fassung. Der fünfte Akt mit dem kollektiven Selbstmord der Altgläubigen wird gespielt in einer von Igor Strawinsky instrumentierten Version.
    "Chowanschtschina", zu Deutsch etwa Aufstand der Chowanskis, ist eine Chor-Oper par excellence. Der Chor – als Volk, Gläubige, Soldaten – spielt die Hauptrolle. Eigentlich können das Werk nur große Häuser stemmen.

    In Dessau hat man sich zusammengetan mit dem Nationaltheater Weimar. Beide Chöre sind aufgeboten, eine vor allem organisatorisch bemerkenswerte Leistung.

    Inszeniert hat das Andrea Moses, von manchen als starke Nachwuchskraft gelobt und von Jossi Wieler in sein künftiges Stuttgarter Team promoviert. Die Dessau-Weimarer Gemeinschaftsproduktion wäre dafür allerdings keine Empfehlung.

    Moses gehört zu den Regisseuren, die meinen, mit aufgepfropften Bildern von heute aktuelles Musiktheater zu machen.
    Für den ersten Akt verwandeln sie und ihr Ausstatter Christian Wiehle den Roten Platz in einen Krämer-Basar mit der Basilius-Kathedrale als Coca-Cola-Reklame, Matrjoschkas und Miliz-Masken satt. Fürst Chowanski rollt auf einer Airport-Gangway mit goldenen Zwiebelturm-Hostessen herbei.

    Für den möglichen Zarewitsch werden die Kiss-me-Kate-TV-Bilder der Royal Wedding eingespielt. Der zwischen den Parteien schwankende Karrierist Golyzn hat sein Appartment auf einem Riesen-Eisbären. Wenn der neue Zar Peter sich hochgeputscht hat, erscheint Weltraumpionier Juri Gagarin als Ikone.

    Die Altgläubigen begehen ihren kollektiven Selbstmord nicht im Feuer sondern mit dampfendem Gas aus einem futuristischen Andreas-Kreuz.
    Musikalisch hat die Aufführung unter dem Dirigenten Antony Hermus hohes Niveau. Die Gesangspartien sind fast durchweg hervorragend besetzt.

    Zumal Alexey Antonov als Fürst Chowanski, Pavel Shmulevich als der Führer der Altgläubigen Dossifej und Anna Peshes als des jungen Chowanski ehemalige Geliebte Marfa ragen heraus. Gesungen wird in Russisch.

    Selten genug kann man dieser Oper begegnen. Modest Mussorgski selbst neigte der Partei der Raskolniki, der auf die alte Rus gerichteten Altgläubigen, zu, weswegen er in das Particell viele altrussische Gesänge und Tänze einwebte.

    Die mehr als platte Bebilderung, die einfallslose bis nicht vorhandene Personen- und insbesondere Chor-Regie der Dessauer "Chowanschtschina" mindern indes den Gesamteindruck.
    Informationen:

    Anhaltisches Theater Dessau