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Musikalisch ist hier alles möglich

Musikklub reiht sich an Musikklub, fast aus jeder Tür schallen Gitarrenklänge. Wer Countrymusik liebt, der muss nach Nashville kommen. Denn hier trifft sich das Who-is-who der Country-Szene - oft auch einfach zu einem spontanen Konzert im Klub um die Ecke.

Von Michael Groth |
    Thomm Jutz hat es geschafft.

    "Jedes Mal, wenn ich die 40 East nach Hause fahre und sehe den Flughafen, kann ich mich immer noch daran erinnern, wie traurig ich immer war, wenn ich wieder zurück musste nach Deutschland von hier - und ich wollte unbedingt hier sein."

    Thomm Jutz ist Musiker. Die Liebe zur Countrymusik hat der Badener in Kindestagen entwickelt, dank kanadischer und US-amerikanischer Soldatensender. Jutz lebt seit etlichen Jahren in Nashville.

    "Ich hab' das auch versucht, meinen Eltern zu erklären, dass es hier so ungefähr ist wie Paris in den 20er-Jahren, als James Joyce und Hemingway solche Leute, alle nach Paris wollten. Nashville ist die einzige Stadt, wirklich eine Stadt, die ein Genre komplett dominiert."

    In seinem Haus hat Jutz ein Tonstudio eingerichtet. In der Band der Country-Sängerin Nanci Griffith spielt er Gitarre. Sie kam aus Texas nach Nashville. Heute tritt sie regelmäßig in der Grand Ole Opry auf: für Country-Freunde ein Konzerthaus so wichtig wie, wenn der Vergleich erlaubt ist, für Opernfreunde die Mailänder Skala.

    "Alles ist möglich. Das ist der Reiz dieser Stadt. Einer wie Randy Travis begann als Kneipensänger. Das Gleiche gilt für George Strait. Beide haben Karriere gemacht. Heute sind sie die Allergrößten."

    Natürlich lockt die Plattenindustrie, die sich in Nashville angesiedelt hat. Junge Künstler, sogenannten Singer-Songwriter, kommen zuhauf. Nur die wenigsten verdienen ihren Lebensunterhalt mit Musik. In Nashville ist es nicht unwahrscheinlich, an der Tankstelle oder im Café von Musikern bedient zu werden. Tim DuBois, inzwischen erfolgreicher Manager einer Record-Company, kennt die andere Seite noch.

    "Es ist eine Art Mekka. Wenn du Songschreiber bist, wenn es dir um Folk oder Countrymusik geht, dann musst du hier sein. Wenn ein Lied entsteht, wenn es zum ersten Mal auf der Gitarre erklingt, das ist das reine Glück. Wenn das Lied dann aufgenommen ist auf Band oder Diskette, verliert der Autor seinen Einfluss. Es wird bearbeitet, verändert, angepasst. Ganz am Anfang aber, wenn es nur um dich und dein Lied geht, das ist ein magischer Augenblick."

    Abend für Abend versucht man im Bluebird Cafe, diesen Moment festzuhalten. Einmal in der Woche ist die Bühne des kleinen, immer gut besuchten Restaurants offen für jeden, der sich traut: maximal zwei Lieder pro Auftritt; insgesamt nicht länger als neun Minuten.

    Rebecca Corea stammt aus Neuengland. Ihren Lebensunterhalt in Nashville verdiene sie als Musiklehrerin, erzählt sie nach ihrem Auftritt im Bluebird. Wie alle anderen hier, hofft auch sie, entdeckt zu werden.

    "Das Bluebird Cafe ist eine Institution. Da arbeiten Fachleute, die sich in der Szene von Nashville bestens auskennen. Wir treffen dort andere Sänger und Songschreiber und tauschen uns aus. Die Kameradschaft ist großartig. Wir geben uns Tipps, zum Beispiel, wo wir auftreten können oder mit welchen Leuten von den Record-Companys wir sprechen sollten. In dieser Stadt weißt du nie, wen du plötzlich triffst - ziemlich cool."

    Ortswechsel: Wir sind im Station Inn, im Zentrum der Stadt. Versteckt zwischen Bahngleisen und Autobahnen. Die dunkle Bar ist ein Geheimtipp für Freunde akustischer Musik. Jeden Montag spielen hier die Time Jumpers. Fachleute sagen, Nashvilles - beste Studiomusiker. Für die Time Jumpers, so Fiddle-Spieler Kenny Sears, "sind die Auftritte im Station Inn Therapie". Steel-Gitarrist Paul Franklin und Dennis Crouch, der den Bass spielt, ergänzen: "Leute, die hier herkommen, wollen wirklich zuhören. Anderswo ist es doch so: Je lauter die Band spielt, desto mehr Lärm machen auch die Gäste. Wir spielen ja ohne Verstärker, wer uns hören will, der muss leiser sein und sich auf die Musik konzentrieren. Das war hier im Station Inn schon immer so. Das wissen auch die Musiker, deshalb kommen wir so gern."

    "Wir kommen ins Station Inn, weil wir Spaß haben wollen. Es ist eine Art Session. Jeder bringt sein Instrument mit. Los geht's. Und wir spielen, was wir wollen. Das kann Country sein - oder Bluegrass oder Swing."

    Musiker wie Vince Gill, Jimmy Buffett oder Jorma Kaukonen, früher bei der Rockband Jefferson Airplane, lassen sich von der guten Laune anstecken und spielen mit. Im Station Inn weiß man nie, wie der Abend endet. Noch einmal Kenny Sears:

    "Wahrscheinlich gibt es wenige Klubs, wo so unterschiedliche Musikstile gespielt werden wie hier. Die Leute möchten zurück zu den Ursprüngen. Die Musik soll Substanz haben. Nach Möglichkeit soll sie nicht elektronisch verändert werden. Bluegrassmusik hat sich weniger verändert als Countrymusik. Ich will mich da nicht aus dem Fenster lehnen, aber das, was wir in den Country-Hitparaden hören, klingt doch oft etwas weichgespült. Und für die Leute, die das nicht mögen, spielen wir hier eine Menge Bluegrass: für die, die echte Musik hören wollen."

    Mit dem Auto sind es nur wenige Minuten vom Station Inn zum Lower Broadway. Jipsy, eine junge Familienband, spielt drei Mal die Woche im Layla's Bluegrass Inn. Layla's ist eine von dutzenden Kneipen am Lower Broadway, eine der Hauptstraßen der übersichtlichen Innenstadt. Hier ist das Touristenzentrum. Aus nahezu jedem Eingang klingt Musik, mal lauter mal leiser. Viele Künstler verdienten sich hier ihre ersten musikalischen Sporen. Dennis Crouch zum Beispiel, der heute unter anderem mit Alison Krauss und Emmylou Harris auftritt.

    "Ich habe wohl überall dort gespielt. Jedenfalls in meinem ersten Jahr in Nashville. Wir haben mindestens acht Stunden pro Tag gespielt, für Trinkgeld. Und Pausen gibt es kaum. Wenn die Band aufhört, dann laufen die Leute ja raus. Aber wir kamen zurecht, gerade so. Aber in den Klubs habe ich meine ersten Kontakte geknüpft."

    Wer sich nicht abschrecken lässt von den Ramschläden und den Marktschreiern, die das Laufpublikum in ihren Klub locken wollen, der hört noch immer gute Musik am Lower Broadway. Thomm Jutz sagt, warum:

    "Es sind eigentlich sehr gute Leute, die das machen. Die sind alle tierisch gut, könnten alle auch Studiojobs machen und so weiter und so fort. Die machen das einfach, weil sie gerne spielen, weil sie traditionelle Countrymusik spielen können, was sie gerne machen, weil es eine tolle Band ist; weil sie damit ihren Lebensunterhalt zum Großteil verdienen. Viele Leute machen es einfach, um in Übung zu bleiben, um gesehen zu werden."

    "BR 549 haben im Robert's gespielt, Donnerstag Nacht", sagt Mike Grimes, einer der Kenner der Musikszene. " Von 22 Uhr bis zwei Uhr in der Früh. "Bands wie BR 549 haben der Szene einen Schub verpasst. Plötzlich kamen die Honkytonks wieder. Touristen kehrten ein. Es gab Publikum. Das Robert's hat sogar ein Schild angebracht. Hier sind BR 549 zu Hause, stand da drauf."

    Einige der Jungs von BR 549 spielen inzwischen in der Band von Bob Dylan. Das Einwohnermeldeverzeichnis von Nashville dürfte sich wie ein Who-is-who der Countryszene lesen. Dabei zeigen sich auch die Stars an Orten, wo sie niemand vermutet, zum Beispiel im Basement, dem MusikKlub von Mike Grimes.

    "Emmylou Harris taucht überall auf. Sie setzt sich dazu, spielt mit oder hört einfach zu. Sie ist einer der größten Stars hier, aber sie hat nie den Kontakt zur Szene verloren. Vor zwei Jahren ist sie sogar im Basement aufgetreten. Der Auftritt war vorher nicht angekündigt. Sie wollte sich vor einer Tournee warm spielen. Natürlich profitiert der Klub davon, dass ich fast jeden kenne. Immer wieder kommen bekannte Musiker, die du hier eigentlich nicht erwarten würdest, Gilian Welsh und Dave Rawlings zum Beispiel oder Norah Jones."

    Wir verlassen Downtown und überqueren den Cumberland River. Jenseits des Flusses beginnt East Nashville, eine Art Künstlerviertel, das der Journalist und Musiker Peter Cooper beschreibt:

    "Die Leute ziehen nach wie vor hier her. East Nashville ist inzwischen bekannt. Musiker, die in die Stadt ziehen, fragen nach East Nashville, weil sie wissen, hier wird überall musiziert. Ich vergleiche das immer mit Harlem, New York in den 20er-Jahren. Ob das kommerziell zu vermarkten ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass ich die Lieder mag, die hier entstehen, und die Leute, die sie schreiben auch."

    Einer dieser Leute ist Todd Snyder. Er gilt als Mentor der Americana-Szene in East Nashville.

    "Es gibt zwei Arten Countrymusik; einmal die erfolgreichen, die Alben verkaufen, und dann die Alternativen, ein besserer Ausdruck fällt mir nicht ein. Hier in East Nashville zählen fast alle zu Letzterem. Ich nenne das Outsider Art. Übrigens leben hier auch viele Musiker, die die berühmten Stars auf ihren Konzerten begleiten. Es gibt zwar diese musikalische Grenze durch die Stadt, aber wir vertragen uns. Wir sind miteinander befreundet. Wir schreiben Songs, die alle hören wollen. Wir sind nicht eifersüchtig auf Kollegen, die richtig viel Geld verdienen. Klänge ja auch richtig blöd, jemanden schlecht zu machen, der vor Zehntausenden in einer Arena singt."

    Wer in East Nashville musizieren will, muss buchstäblich nur um die Ecke gehen. Hier wohnen Hunderte guter Gitarristen, Bassisten und Schlagzeuger. Seine Bands stelle er ad hoc zusammen, sagt Snyder.

    "Ich würde es dem Schicksal überlassen. Wenn ich einen Studiotermin habe, rufe ich die Musiker an. Wer gerade zu Hause ist, der spielt dann mit."

    Im Family Wash gibt es den unbestritten besten Shepherd's Pie der Stadt, mit oder ohne Fleisch. Das kleine Restaurant gehört Jamie Rubin. Rubin, natürlich auch Musiker, kam in den 90er-Jahren aus Boston. Aus dem Künstler wurde ein Wirt, dessen Lokal, wie Peter Cooper erläutert, heute Treffpunkt der Szene ist.

    "Es ist schon sehr kreativ hier. Bevor das Family Wash zum Beispiel schließt, kommen oft noch die Nachbarn vorbei, bringen ihre Instrumente mit und wir singen zusammen."

    Auch wenn es mit der eigenen Karriere nicht klappte, Jamie Rubin ist zufrieden. Das Family Wash ist fast immer gut besucht. Und gute Unterhaltung ist garantiert. Auch wenn Rubin den Künstlern nicht viel bezahlen kann.

    "Downtown zahlen die Klubs 60 bis 80 Dollar pro Auftritt. Bei uns musst du schon Glück haben, wenn du 40 bis 50 erhältst. Wer bei uns spielt, der spielt nicht wegen des Geldes, er kommt wegen der Atmosphäre, der Kreativität, die dieser Laden ausstrahlt. Das gilt übrigens auch für unsere Gäste. Inzwischen kommen die von ziemlich weit her, um Teil unserer Community zu sein."