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Musikalisch überzeugend

Giuseppe Verdis "Otello" erzählt von einem Außenseiter, dem seine Karriere ebenso gelingt, wie die Erfüllung seiner Liebe zur schönen Desdemona. Doch Jago, Otellos vermeintlicher Freund, ist es, der eine tödliche Intrige spinnt - diesmal an der Deutschen Oper Berlin, inszeniert von Andreas Kriegenburg.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Die Szene beginnt mit einem Zitat. Stumm treten die Figuren an die Rampe und einige schwärzen sich die Gesichter. Die Bühne zeigt das Innere einer Lagerhalle. Auf sieben Etagen hausen da Männer, Frauen, Kinder. Sie sitzen, liegen in wabenähnlichen Nischen wie in Vogelnestern, hangeln sich hoch und runter an Leitern.

    Es ist eine Art Flüchtlingsdurchgangslager, wo die Menschen essen, schlafen, stricken, spielen, reden, auf und ab gehen, sich gegenseitig beobachten. Das ständige Gewimmel sorgt freilich mehr für Ablenkung denn Konzentration. Gelegentlich werden Stoff-Rollos vorgezogen. Nur die Kinder gucken immer zu.

    Vorn links steht ein Schreibtisch. Der zurückgekehrte Otello sichtet dort Akten bei einem Glas Whiskey. Rechts zwei Ledersessel mit Tischchen. Otellos Widersacher und Rivale Jago mischt da sein geistiges Gift. Besonders eindrucksvoll die Szene, in der Jago die Kinder um sich schart und ihnen den Kitzel des Bösen einträufelt.
    Jago als der intellektuellste, zynischste von Otellos Kriegern weiß zu verführen und zu manipulieren. Und das vermittelt er ganz direkt den Kindern.

    Aber auch Otello bedient sich der Kleinen. Er benutzt sie als Schirm, wenn er sich anschleicht, um dem Gespräch zwischen Jago und Cassio zu lauschen, bei dem Cassio unfreiwillig preisgeben soll, wie er an das verräterische Taschentuch Desdemonas gelangte.

    Die sich verschärfenden Streitigkeiten zwischen Otello und Desdemona verlegt Kriegenburg in den öffentlichen Raum dieses Lagerhauses. Für die intimen Szenen wird eine Kammer aus dunkel gebeiztem Holz mit einem alkovenartigen Bett vorgebaut.

    Zur Schlussszene lässt sich Desdemona dort von ihrer Kammerfrau ihr Hochzeits-Tüllkleid reichen. Aus dem inkriminierten Taschentuch knüpft Otello einen Strick, mit dem er seine des Ehebruchs verdächtigte Frau fesselt und dann am Bettpfosten erwürgt.

    Sich selbst erschießt er, als er sein Unrecht erkennt. Beide sterben fast aufrecht sitzend aneinander gelehnt.

    Musikalisch kann die Premiere sehr überzeugen. José Cura ist ein Otello von grandioser Kraft und lichter Höhe, anfangs die Töne allerdings etwas anschmierend. Anja Harteros singt die Desdemona wunderbar warm und innig. Eher undämonisch der Jago von Zeljko Lucic. Patrick Summers am Pult motiviert Chor, Extra-Chor und Orchester der Deutschen Oper bestens.

    Etwas an innerer Spannung mangelt es Kriegenburgs Inszenierung. Die Riesen-Panorama-Bühne von Harald Thor "veröffentlicht" zwar Otellos Privatleben ganz modern, lässt aber die Figuren davor auch arg schrumpfen. Viel agiert wird an der Rampe. Allzu magdalenenhaft erscheint Desdemona weithin. Eher bemüht wirkt eine gelegentlich das Geschehen untermalende Tänzerin.
    Kriegenburg: "Wir haben eine Bühne, die die Geschichte eher in der Realität erdet. Und wir haben versucht, in den Nischen ganz viele kleine Geschichten zu erzählen und poetische, rätselhafte Momente einzubauen, fast verborgen, um in den Nischen kleine Nester von Utopie drin zu haben."


    Mit Jubelstürmen wurden am Ende die Sänger gefeiert, für Kriegenburg und sein Team gab es vor allem Buhs. Das ganz große Saisonfinale an der Deutschen Oper wurde es nicht.