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Musikalische Eingemeindung der Türkei

Die Wiege des Jazz liegt nicht in New Orleans, sondern im Orient - so eine kühne These, die sich auf eine angebliche Verwandtschaft von Ragtime und Bauchtanz stützt. Das diesjährige Berliner Jazzfests hat Musik aus Istanbul zum Schwerpunkt gemacht. Denn dort hat sich eine lebendige Jazz-Szene entwickelt.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Ungewohnte Klänge bei einem JazzFest wie hier von der türkischen Gruppe "Mozaik". Mit ihren teils traditionellen Instrumenten wie der Darabuka-Trommel, der Flöte Nay und der Zither-ähnlichen Kanun spielen sie eine Musik, die daran erinnert, dass die Türkei einst das westliche Ende der Seidenstraße war.

    Aber dass das Land am Bosporus auf dem Sprung ist nach Europa, dass es sich auch kulturell immer mehr hin zum Westen profiliert, auch das war zu hören. "Tamburada" heißt eine andere der nach Berlin eingeladenen Gruppen. Der Name spielt zwar an auf eines der klassischen türkischen Saiteninstrumente. Aber im Sound der Gruppe kommt diese Tambura kaum vor. Saxofon und Keyboards dominieren. Auffallend auch der stark melodiöse Charakter der Tunes. Zu freier Improvisation wagt man sich erst nach ausgiebigem Umspielen des Themas. Und dann auch nur knapp.

    Die türkische Jazzszene, sprich die der brodelnden Millionenstadt Istanbul, war eines der Schwerpunktthemen beim diesjährigen JazzFest Berlin. Ein weiterer Schwerpunkt: Italien. Aber nicht so sehr das traditionelle Italien wurde heran gezoomt. Italien ist auch Einwanderungsland. Eine an der Piazza Vittorio Emanuele in Rom beheimatete Gruppe von 16 Musikern hat sich da etwa zu einem gleichnamigen Orchester gefunden. Aus dem Senegal, Marokko, Tunesien, Rumänien, Indien, Kuba, Argentinien, Ecuador etwa stammen die Musiker. Wegen Visaproblemen konnten zwei nicht mit. Was da zu hören war, klingt wie eine Mischung aus afrikanischen und arabischen Lauten.

    Eröffnet worden war das JazzFest mit einem Film über einen erstaunlichen Mäzen aus dem Schwarzwald. Hans Georg Brunner-Schwer, im letzten Jahr verunglückt, hatte dort 1968 mit einem Millionenerbe des Saba-Konzerns im Rücken das MPS-Label aufgebaut und an die 500 Platten produziert.

    Der Film von Elke Baur, Jazzin’ The Black Forest, wirkt mit seinen dampfenden Schwarzwald-Tannen, schwitzenden Fans und Anekdoten kauenden Musikern zwar leicht geschwätzig und auch etwas insiderisch. Authentisch der Auftritt von Oscar Peterson und seiner Crew bei einem nächtlichen Privatkonzert in der Villa des vor allem am Klavierswing sich begeisternden Villinger Jazz-Promoters. Und wie er Peterson mit seiner damals besonders transparenten Aufnahmetechnik elektrisieren konnte, erzählt er so:

    "[Ich] draufgedrückt - gelaufen - [er] aufgesprungen, kommt auf mich zu, packt meine Schultern und sagt "so was hab ich noch nicht gehört. Hier klingt jetzt das Piano genauso wie wenn ich davor sitze und spiele." …und dann spielte er das ganze Konzert, von nachts 0 Uhr bis morgens halb 3 Uhr… "

    Mit Charlie Hadens "Liberation Music Orchestra" hatte man auch einen kleinen politischen Akzent aus Bush-Land Amerika gesetzt. New Orleans indes war nicht vorgesehen. Der Hurrikan hatte auch die JazzFest-Planer kalt erwischt.

    Von an der neuen Musik orientiertem Jazz ragte vor allem Frank Gratkowski und das von ihm geleitete "Doppelquartett" heraus. Zwar wirken deren Titel anfangs immer etwas verloren, scheinen im Nebel zu stochern. Aber ist ein Fixpunkt erst gefunden, explodiert gleichsam die Fantasie der zwei mal vier Musiker.