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Musikalische Halbzeit

Bohuslav Martinů, der nach Leoš Janáček wichtigste tschechische Komponist des 20. Jahrhunderts, starb vor 50 Jahren in der Schweiz. In seine Heimat ist er aus politischen Gründen nicht mehr zurückgekehrt. Der Verehrung für Martinů und seine stilistisch vielfältige Musik hat dies aber keineswegs geschadet.

Von Albrecht Dümling | 28.08.2009
    "Halbzeit" nannte Bohuslav Martinů sein symphonisches Rondo, das bei der Prager Uraufführung im Dezember 1924 einen handfesten Skandal auslöste. Dem Komponisten wurde die Übernahme eines Motivs von Stravinsky vorgeworfen, aber er verteidigte sich, er habe es ganz anders verarbeitet. Selbstsicher meinte er:

    "Ich kann warten und bin überzeugt, dass mir die Zeit Recht geben wird."

    Tatsächlich erreichte der Komponist mit "Halbzeit" seinen internationalen Durchbruch, mit diesem musikalischen Ausflug in die Fußballwelt hatte er eine eigene Tonsprache gefunden. Ebenso prägend wie die Anregung durch Strawinsky war dafür das kulturelle Klima der französischen Hauptstadt, wo Martinů seit 1923 lebte. "Wegen unverbesserlicher Nachlässigkeit" war er vom Prager Konservatorium verwiesen worden. Der junge Musiker brauchte mehr Freiheit und mehr Anregungen, als Prag ihm bieten konnte. Sofort griff er zu, als ihm ein Paris-Stipendium angeboten wurde. Hier nahm er weiteren Kompositionsunterricht bei Albert Roussel:

    "Ich kam zu ihm, um Ordnung, Klarheit, Gleichgewicht, Fingerspitzengefühl, Präzision und Sinn für guten Ausdruck zu gewinnen, Vorzüge der französischen Kunst, die ich stets bewunderte und mit denen vertraut zu werden ich mir immer gewünscht hatte."

    In Paris, seiner Traumstadt, faszinierten ihn ebenso Jazz, Ballett, Dadaismus und Surrealismus.

    Von Paris fuhr Martinů in den Sommerferien regelmäßig ins böhmische Städtchen Polička, wo er 1890 zur Welt gekommen war. Als er im Juni 1938 wieder einmal dorthin reiste, hing der Schock über den deutschen Einmarsch in Österreich in der Luft. Zurückgekehrt arbeitete der Komponist an einem Auftragswerk Paul Sachers für das Basler Kammerorchester, das er auf dem Landgut des Dirigenten fertigstellte. Als er dort am 11. September eintraf, wurde in München über eine Lösung der Sudetenkrise verhandelt.

    "Mit Bangen hörten wir die Rundfunknachrichten und versuchten, uns Mut zu machen und Hoffnung einzuflößen, doch das gelang uns nicht. Die Wolken verdichteten sich rasch und wurden immer drohender. In diesen Tagen arbeitete ich am Doppelkonzert, aber alle meine Gedanken und Wünsche weilten stets bei meiner bedrohten Heimat."

    Genau am 29. September, dem Tag des Münchner Abkommens, vollendete Bohuslav Martinů sein Konzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken. Es zählt heute zu seinen wichtigsten Werken.

    Das Münchner Abkommen war nur eine Vorstufe für den deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei, dem der Weltkrieg folgte. Auch in Frankreich war der Komponist bald nicht mehr sicher. Auf der Flucht schuf er im Dezember 1940 rhythmisch originelle Lieder nach tschechischer Volkspoesie.

    Von den USA, wo er Zuflucht gefunden hatte, wollte Martinů nach dem Krieg in seine geliebte Heimat zurückkehren. Angesichts der jetzt aber kommunistischen Herrschaft dort ließ er diesen Plan fallen. Als er zuletzt wieder auf Paul Sachers Landgut bei Basel lebte, entdeckten die Ärzte bei ihm ein schweres Magengeschwür. Nach einer Operation musste er künstlich ernährt werden. Am 28. August 1959 starb Bohuslav Martinů in der Schweiz, seiner dritten Wahlheimat nach Frankreich und den USA.

    Erst 20 Jahre später wurde er an seinem Geburtsort Polička in der Familiengruft beigesetzt, wie er es sich gewünscht hatte. Posthum hatte damit der verlorene Sohn endlich in seine tschechische Heimat zurückgefunden, die er nach 1938 nicht wieder besucht hatte. Für Tschechien spielt Martinů eine ähnliche Rolle wie für Deutschland der Wahlengländer Georg Friedrich Händel. In keinem anderen Land wird sein umfangreiches und vielgestaltiges Schaffen häufiger aufgeführt.