"Da kommen sie. Und ich bin nicht bereit. Wie könnte ich auch? Ich muss das Lehren erst noch lernen. Am ersten Tag meiner Lehrerlaufbahn wäre ich fast entlassen worden, weil ich das Pausenbrot eines Schülers aufaß."
So beginnt "Teacher Man", das neueste Buch von Frank McCourt, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt - mit dem beliebig wirkenden Titel "Tag und Nacht und auch im Sommer". Doch dieses Buch kauft man nicht wegen des Titels, sondern wegen des Autors. McCourt ist nach den Welterfolgen "Die Asche meiner Mutter" und "Ein rundherum tolles Land" auf den Bestseller-Status abonniert. Eine Woche nach Erscheinen sprang auch sein Lehrer-Buch auf Platz eins der Bestseller-Liste der "New York Times". Und auch hier zulande findet sich der Titel bereits ganz oben in den Charts der Buchbranche. McCourt hat sich wieder eingeschwungen auf seinen unnachahmlichen Ton der bitter-komischen Selbstironie, in dem er nun über seine 30 Arbeitsjahre in New Yorker Klassenzimmern berichtet. Die Sache mit dem Pausenbrot war McCourts erste Amtshandlung. Im März 1958:
"Ein Junge in der Klasse warf von ganz hinten ein Sandwich auf einen Mitschüler in der ersten Reihe. Und das Sandwich landete praktisch vor meinen Füßen. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Kein Professor an der New York University hatte uns gesagt, was wir gegen fliegenden Sandwiches im Klassenraum tun sollten. Das Sandwich lag auf dem Boden, und das Aroma war überwältigend. Es lugte halb aus der Tüte heraus. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Da hob ich es auf und aß es. Meine Schüler waren überrascht, denn sie hatten noch nie einen Lehrer gesehen, der ein Sandwich in der Stunde aß. Und in diesem Moment - als hätte jemand ein Drehbuch geschrieben - kam der Direktor vorbei, schaute ins Klassenzimmer und sah, wie ich ein Sandwich aß. Er zitierte mich in sein Büro und erklärte mir, dass es mir nicht erlaubt sei, ein Sandwich um neun Uhr morgens im Klassenzimmer zu essen. Ich versuchte es zu erklären, aber manchmal ist es sehr schwer, Leuten etwas zu erklären. Zum Beispiel, dass ein Schüler einen anderen mit einem Sandwich beworfen hat und das einzige, was ich tun konnte, war, es zu essen. Ich sagte: Ich war hungrig. "
Von der ersten Seite an wird der Leser in Atem gehalten durch die pointierten Episoden, die McCourt aus dem Unterricht mit seinen insgesamt 33.000 Schülern berichtet. Die New Yorker Kids wollen nichts wissen vom Unterrichtsfach Englische Sprache und Literatur. Und so lässt sich McCourt immer wieder neue Tricks einfallen, um seine Schüler zu motivieren. Er lässt sie singen, aus Kochbüchern vorlesen, befragt sie ausgiebig darüber, was sie am letzten Abend gemacht haben und - wenn gar nichts hilft - erzählt er von seiner Kindheit in Irland. Seiner unglücklichen Kindheit, denn, so McCourt lakonisch, eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum.
"In meiner Kindheit gab es nichts anderes außer Geschichten. Wir hatten kein Geld. Wenn meine Mutter im Kino war, kam sie nach Hause, machte Tee. Wir saßen vor dem Feuer und sie erzählte uns den Film Bild für Bild für Bild. Es war so gut, als ob man selbst da gewesen wäre. Mein Vater erzählte Geschichten bis hin zur Mythologie und Geschichte. Oder er hat Geschichten erfunden. Jeder erzählte Geschichten. Es gab nichts anderes. Wir hatten keinen Fernseher, wir hatten kein Radio, das einzige, was wir hatten, war unser Mund und die englische Sprache. Als ich dann Lehrer war, und die Schüler in meine Klasse kamen, hörte ich ihren Erzählungen zu. Sie redeten darüber, was sie im Fernsehen gesehen hatten. Es wurde mir klar, dass wir kein Fernsehen gesehen haben. Wir redeten darüber, was wir gestern gemacht haben, wie wir durch die Straßen gingen und Abenteuer erlebten. Mal machen wir gute Sachen, mal böse. Wir klauten Äpfel von einer Farm. Aber wir hatten Erlebnisse. Wir waren aktiv. Wir waren auf unseren Beinen, waren fit und voll Energie. Und wenn du Dinge machst, dann hast du auch Geschichten zu erzählen. "
So ist Frank McCourt aus einem existentiellen Motiv heraus Geschichtenerzähler geworden. Die Geschichten halfen ihm, seine Kindheit zu überleben, und sie halfen ihm, als Lehrer in New York zu bestehen. Im Rentenalter erntete McCourt schließlich die Früchte seiner Erzählkunst und schrieb sich mit drei Bestsellern in die Literaturgeschichte ein. Die Sternstunde des an Höhepunkten reichen Buches "Tag und Nacht und auch im Sommer" ist sicherlich mit dem Kapitel erreicht, in dem McCourt erzählt, wie er auf die Idee kam, seine Schüler Entschuldigungen schreiben zu lassen. Typisch für McCourt beginnt die Szene mit einer Niederlage: Ihm wird klar, dass die meisten Entschuldigungen für Fehlstunden oder versäumte Hausaufgaben von den Schülern selbst geschrieben wurden. Um jedoch das mühsam erworbene Vertrauen seiner Schüler nicht wieder zu verlieren, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Fälschungen zu akzeptieren. Und dann sieht er sich eines Tages die Schreiben genauer an:
""Ich habe eine Schublade voller Entschuldigungen, aus denen man eine Anthologie zusammenstellen könnte: Große amerikanische Ausreden oder: Große amerikanische Lügen. Wie war es möglich, dass ich diese Fundgrube bisher nicht beachtet hatte, diese Juwelen der Fiktion, Phantasie, Kreativität, Frömmelei, des Selbstmitleids, der Familienprobleme, der explodierenden Boiler, einstürzenden Decken, Feuersbrünste, Babys und Haustiere, die auf Schulaufgaben pinkelten, unerwarteten Entbindungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Fehlgeburten, Raubüberfälle? Das war amerikanische High-School-Prosa erster Güte – packend, realistisch, engagiert, geistvoll, knapp, verlogen. Aus dem Ofen schlugen Flammen, die Tapete geriet in Brand. Und die Feuerwehr hat uns die ganze Nacht nicht mehr ins Haus gelassen. Die Toilette war verstopft, und wir mussten die Strasse hinunter bis in die Kilkenny Bar gehen, wo mein Cousin arbeitet, um die Toilette dort zu benutzen, aber die war von der vorangegangenen Nacht ebenfalls verstopft und Sie können sich vorstellen, wie schwer es für meinen Ronny war, sich für die Schule fertig zu machen. Ich hoffe, Sie entschuldigen ihn ausnahmsweise, und es wird nicht wieder vorkommen.""
Angesichts dieser Zeugnisse übersprudelnder Fantasie kommt McCourt auf die Idee, die Schüler ganz legal im Unterricht Entschuldigungen schreiben zu lassen. Eine Entschuldigung von Adam an Gott, eine von Eva an Gott. Eine ungekannte Schreibwut überkommt seine Schüler, und das Projekt verselbständigt sich. Sie wollen Entschuldigungen für Wehrdienstverweigerer schreiben, aber auch für Judas, für Attila, für Lee Harvey Oswald und für Al Capone. Selbst für Eva Braun. Nur für Hitler nicht.
""Ne, ne, der doch nicht. Für den gibt’s keine Entschuldigung.""
Frank McCourt ist mit "Tag und Nacht und auch im Sommer" eine glänzende Fortsetzung seiner Memoiren gelungen. Die geradezu musikalische Spracharbeit des Stilisten McCourt klingt selbst noch in der von Rudolf Hermstein besorgten deutschen Übersetzung nach. Bei einem so seltenen Sprachtalent kann man eigentlich nur hoffen, dass McCourt mit seinem Erinnerungsprojekt am Ende ist und sich nun ins Fiktive wagt. Die Hoffnung ist begründet, denn McCourt selbst hat bereits bei der Arbeit an seinen Lehrer-Memoiren damit geliebäugelt, einen Roman zu schreiben.
"Ich versuchte, einen Roman über meine Zeit als Lehrer zu schreiben. Ich versuchte das anderthalb Jahre lang, aber es funktionierte nicht. Es war hoffnungslos. Da habe ich es aufgegeben und bin zu den Memoiren zurückgekehrt. Die Fiktion war einfach nicht nötig. Wenn man 30 Jahre in den Klassenzimmern New Yorks war, kann man nichts Verrückteres erfinden, als das, was sich im Klassenzimmer abspielte."
So beginnt "Teacher Man", das neueste Buch von Frank McCourt, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt - mit dem beliebig wirkenden Titel "Tag und Nacht und auch im Sommer". Doch dieses Buch kauft man nicht wegen des Titels, sondern wegen des Autors. McCourt ist nach den Welterfolgen "Die Asche meiner Mutter" und "Ein rundherum tolles Land" auf den Bestseller-Status abonniert. Eine Woche nach Erscheinen sprang auch sein Lehrer-Buch auf Platz eins der Bestseller-Liste der "New York Times". Und auch hier zulande findet sich der Titel bereits ganz oben in den Charts der Buchbranche. McCourt hat sich wieder eingeschwungen auf seinen unnachahmlichen Ton der bitter-komischen Selbstironie, in dem er nun über seine 30 Arbeitsjahre in New Yorker Klassenzimmern berichtet. Die Sache mit dem Pausenbrot war McCourts erste Amtshandlung. Im März 1958:
"Ein Junge in der Klasse warf von ganz hinten ein Sandwich auf einen Mitschüler in der ersten Reihe. Und das Sandwich landete praktisch vor meinen Füßen. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Kein Professor an der New York University hatte uns gesagt, was wir gegen fliegenden Sandwiches im Klassenraum tun sollten. Das Sandwich lag auf dem Boden, und das Aroma war überwältigend. Es lugte halb aus der Tüte heraus. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Da hob ich es auf und aß es. Meine Schüler waren überrascht, denn sie hatten noch nie einen Lehrer gesehen, der ein Sandwich in der Stunde aß. Und in diesem Moment - als hätte jemand ein Drehbuch geschrieben - kam der Direktor vorbei, schaute ins Klassenzimmer und sah, wie ich ein Sandwich aß. Er zitierte mich in sein Büro und erklärte mir, dass es mir nicht erlaubt sei, ein Sandwich um neun Uhr morgens im Klassenzimmer zu essen. Ich versuchte es zu erklären, aber manchmal ist es sehr schwer, Leuten etwas zu erklären. Zum Beispiel, dass ein Schüler einen anderen mit einem Sandwich beworfen hat und das einzige, was ich tun konnte, war, es zu essen. Ich sagte: Ich war hungrig. "
Von der ersten Seite an wird der Leser in Atem gehalten durch die pointierten Episoden, die McCourt aus dem Unterricht mit seinen insgesamt 33.000 Schülern berichtet. Die New Yorker Kids wollen nichts wissen vom Unterrichtsfach Englische Sprache und Literatur. Und so lässt sich McCourt immer wieder neue Tricks einfallen, um seine Schüler zu motivieren. Er lässt sie singen, aus Kochbüchern vorlesen, befragt sie ausgiebig darüber, was sie am letzten Abend gemacht haben und - wenn gar nichts hilft - erzählt er von seiner Kindheit in Irland. Seiner unglücklichen Kindheit, denn, so McCourt lakonisch, eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum.
"In meiner Kindheit gab es nichts anderes außer Geschichten. Wir hatten kein Geld. Wenn meine Mutter im Kino war, kam sie nach Hause, machte Tee. Wir saßen vor dem Feuer und sie erzählte uns den Film Bild für Bild für Bild. Es war so gut, als ob man selbst da gewesen wäre. Mein Vater erzählte Geschichten bis hin zur Mythologie und Geschichte. Oder er hat Geschichten erfunden. Jeder erzählte Geschichten. Es gab nichts anderes. Wir hatten keinen Fernseher, wir hatten kein Radio, das einzige, was wir hatten, war unser Mund und die englische Sprache. Als ich dann Lehrer war, und die Schüler in meine Klasse kamen, hörte ich ihren Erzählungen zu. Sie redeten darüber, was sie im Fernsehen gesehen hatten. Es wurde mir klar, dass wir kein Fernsehen gesehen haben. Wir redeten darüber, was wir gestern gemacht haben, wie wir durch die Straßen gingen und Abenteuer erlebten. Mal machen wir gute Sachen, mal böse. Wir klauten Äpfel von einer Farm. Aber wir hatten Erlebnisse. Wir waren aktiv. Wir waren auf unseren Beinen, waren fit und voll Energie. Und wenn du Dinge machst, dann hast du auch Geschichten zu erzählen. "
So ist Frank McCourt aus einem existentiellen Motiv heraus Geschichtenerzähler geworden. Die Geschichten halfen ihm, seine Kindheit zu überleben, und sie halfen ihm, als Lehrer in New York zu bestehen. Im Rentenalter erntete McCourt schließlich die Früchte seiner Erzählkunst und schrieb sich mit drei Bestsellern in die Literaturgeschichte ein. Die Sternstunde des an Höhepunkten reichen Buches "Tag und Nacht und auch im Sommer" ist sicherlich mit dem Kapitel erreicht, in dem McCourt erzählt, wie er auf die Idee kam, seine Schüler Entschuldigungen schreiben zu lassen. Typisch für McCourt beginnt die Szene mit einer Niederlage: Ihm wird klar, dass die meisten Entschuldigungen für Fehlstunden oder versäumte Hausaufgaben von den Schülern selbst geschrieben wurden. Um jedoch das mühsam erworbene Vertrauen seiner Schüler nicht wieder zu verlieren, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Fälschungen zu akzeptieren. Und dann sieht er sich eines Tages die Schreiben genauer an:
""Ich habe eine Schublade voller Entschuldigungen, aus denen man eine Anthologie zusammenstellen könnte: Große amerikanische Ausreden oder: Große amerikanische Lügen. Wie war es möglich, dass ich diese Fundgrube bisher nicht beachtet hatte, diese Juwelen der Fiktion, Phantasie, Kreativität, Frömmelei, des Selbstmitleids, der Familienprobleme, der explodierenden Boiler, einstürzenden Decken, Feuersbrünste, Babys und Haustiere, die auf Schulaufgaben pinkelten, unerwarteten Entbindungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Fehlgeburten, Raubüberfälle? Das war amerikanische High-School-Prosa erster Güte – packend, realistisch, engagiert, geistvoll, knapp, verlogen. Aus dem Ofen schlugen Flammen, die Tapete geriet in Brand. Und die Feuerwehr hat uns die ganze Nacht nicht mehr ins Haus gelassen. Die Toilette war verstopft, und wir mussten die Strasse hinunter bis in die Kilkenny Bar gehen, wo mein Cousin arbeitet, um die Toilette dort zu benutzen, aber die war von der vorangegangenen Nacht ebenfalls verstopft und Sie können sich vorstellen, wie schwer es für meinen Ronny war, sich für die Schule fertig zu machen. Ich hoffe, Sie entschuldigen ihn ausnahmsweise, und es wird nicht wieder vorkommen.""
Angesichts dieser Zeugnisse übersprudelnder Fantasie kommt McCourt auf die Idee, die Schüler ganz legal im Unterricht Entschuldigungen schreiben zu lassen. Eine Entschuldigung von Adam an Gott, eine von Eva an Gott. Eine ungekannte Schreibwut überkommt seine Schüler, und das Projekt verselbständigt sich. Sie wollen Entschuldigungen für Wehrdienstverweigerer schreiben, aber auch für Judas, für Attila, für Lee Harvey Oswald und für Al Capone. Selbst für Eva Braun. Nur für Hitler nicht.
""Ne, ne, der doch nicht. Für den gibt’s keine Entschuldigung.""
Frank McCourt ist mit "Tag und Nacht und auch im Sommer" eine glänzende Fortsetzung seiner Memoiren gelungen. Die geradezu musikalische Spracharbeit des Stilisten McCourt klingt selbst noch in der von Rudolf Hermstein besorgten deutschen Übersetzung nach. Bei einem so seltenen Sprachtalent kann man eigentlich nur hoffen, dass McCourt mit seinem Erinnerungsprojekt am Ende ist und sich nun ins Fiktive wagt. Die Hoffnung ist begründet, denn McCourt selbst hat bereits bei der Arbeit an seinen Lehrer-Memoiren damit geliebäugelt, einen Roman zu schreiben.
"Ich versuchte, einen Roman über meine Zeit als Lehrer zu schreiben. Ich versuchte das anderthalb Jahre lang, aber es funktionierte nicht. Es war hoffnungslos. Da habe ich es aufgegeben und bin zu den Memoiren zurückgekehrt. Die Fiktion war einfach nicht nötig. Wenn man 30 Jahre in den Klassenzimmern New Yorks war, kann man nichts Verrückteres erfinden, als das, was sich im Klassenzimmer abspielte."