Es ist eine Begegnung mit vielen Widersprüchen und voller Emotionen. Am Sonnabend, dem offiziellen russischen Gedenktag der Schlacht, marschieren Soldaten über den Platz der gefallenen Kämpfer im Zentrum Wolgograds. Stechschritt, Hurra-Rufe, knallende Absätze. Offizielles Heldengedenken aus Anlass des 70. Jahrestages des Sieges über die Wehrmacht bei Stalingrad. Tausende Wolgograder sind auf den Beinen, fotografieren sich vor Panzern.
Zur gleichen Zeit proben deutsche und russische Musiker eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt im Konzertsaal am Ufer der Wolga für ein Gedenkkonzert. Die Osnabrücker Symphoniker sind zu Gast und treten gemeinsam mit den Wolgograder Kollegen auf. 120 Musiker auf der Bühne, fast alle Stimmen sind doppelt besetzt. Gerade ist Pause. Lieselotte Pflanz spielt die erste Geige.
"Das Schönste an der Reise sind die Menschen, die sind so freundlich alle und so hilfsbereit und so zuvorkommend. Und überall wird man eingeladen oder irgendwo hin geführt und Geschenke und Wodka ausgegeben, also es ist wirklich toll."
Anatolij Sokirko sieht die Begegnung nüchterner. Er spielt Fagott und ist seit 25 Jahren bei den Wolgograder Symphonikern.
"Es ist nicht das erste Mal, dass wir mit Deutschen spielen, wir waren schon oft in Deutschland, und auch in Dänemark und Schweden. Aber es ist ein Fest für uns. Und frisches Blut. Ich versuche immer, bei solchen Gelegenheiten von anderen zu lernen. Außerdem klingen zwei Orchester besser als eins."
Initiiert hat das Ganze der Geiger Christian Heinecke, Mitglied im Vorstand der Osnabrücker Symphoniker. Zwei Jahre hat er daran gearbeitet. Der Krieg beschäftigt ihn seit seiner frühen Kindheit. Die musikalische Begegnung allein reicht ihm als Geste der Versöhnung nicht aus. Heinecke blättert in einem Stapel DIN-A4-Bögen: Darauf stehen russische Namen. Zu jedem Bogen gehören Kopien einer Personalakte.
"Hier steht zum Beispiel drauf auch, wo man diesen Gefangenen einsetzen kann: "Einsatzfähigkeit für mittelschwere Arbeit", in Klammern "Stufe 2", und da steht drüber bei Bemerkungen: "Die Bekanntgabe des Verbots des Verkehrs mit deutschen Frauen ist erfolgt." Alles gestempelt, abgezeichnet, akribisch mit einer Erkennungsmarke, mit einer Nummer drauf, da wird einem einfach nur schlecht."
Heinecke hat die Akten gemeinsam mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge ausfindig gemacht. Es sind die Namen von 70 Menschen aus dem Gebiet des ehemaligen Stalingrad, die in Osnabrück und Umgebung Zwangsarbeit leisten mussten. Einige von ihnen sind in Osnabrück begraben. In Russland gelten sie als vermisst. Beim Konzert verlesen die Deutschen die 70 Namen.
"Hier steht jetzt, am 2.5.1908 geboren, der wäre natürlich über 100 Jahre alt, aber es könnte ein Großvater sein von einem Angehörigen, der jetzt im Publikum sitzt und unser Konzert hört."
Nicht alle Orchestermusiker können und wollen damit umgehen. Einigen sind auch die vielen Toten und der Heldenkult in Wolgograd zu viel. Sie wollen einfach Musik machen.
Die Osnabrücker Symphoniker haben extra für das Konzert in Wolgograd eine Komposition in Auftrag gegeben. Das Werk "Erwartung" der in London lebenden russischen Komponisten Elena Firsowa wird anlässlich der 70-Jahr-Feiern uraufgeführt. In Russland ist Firsowa kaum bekannt, erzählt der Fagottist Anatolij Sokirko.
"Nun ja, das ist eben moderne Musik. Das wird schon ein gutes Stück sein. Aber mit Beethoven kann man sie natürlich nicht vergleichen."
Auf Wunsch der russischen Musiker wird in Wolgograd auch Beethovens Neunte gespielt. Dabei einen gemeinsamen Ton zu finden, ist schwierig. Denn in Russland spielt man Beethoven getragener, emotionaler, erzählt die Chorsängerin Angelina Tregubova.
"Die Deutschen spielen irgendwie lakonisch, genau, ohne große Dynamik. Zur russischen Musik, zur russischen Seele, gehört irgendwie mehr Melodie. Es fällt uns zwar schwer, aber wir versuchen, uns der deutschen Interpretation anzupassen."
Für Christian Heinecke steht fest: Einen Musikpreis wird es für die Aufführung in Wolgograd sicher nicht geben. Er will mit dem Konzert Brücken bauen.
"Das ist mir einfach ein ganz wichtiges Anliegen, weil wir was mit der Musik machen können, was die Politik vielleicht auch noch nicht hinkriegt und auch andere Gruppierungen nicht hinbekommen. Wir können zusammenkommen und zusammen was machen, ohne uns zu unterhalten. Und das ist ein solches Geschenk. Und das möchte ich gern intensiv betreiben."
Weitere Beiträge bei dradio.de:
Putin: Stalingrad ist Symbol für echten Patriotismus - Wolgograd feiert 70 Jahre Sieg in der Schlacht von Stalingrad
Stalingrad vergeht nicht - Gedenkfeiern an Schlacht vor 70 Jahren
Zur gleichen Zeit proben deutsche und russische Musiker eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt im Konzertsaal am Ufer der Wolga für ein Gedenkkonzert. Die Osnabrücker Symphoniker sind zu Gast und treten gemeinsam mit den Wolgograder Kollegen auf. 120 Musiker auf der Bühne, fast alle Stimmen sind doppelt besetzt. Gerade ist Pause. Lieselotte Pflanz spielt die erste Geige.
"Das Schönste an der Reise sind die Menschen, die sind so freundlich alle und so hilfsbereit und so zuvorkommend. Und überall wird man eingeladen oder irgendwo hin geführt und Geschenke und Wodka ausgegeben, also es ist wirklich toll."
Anatolij Sokirko sieht die Begegnung nüchterner. Er spielt Fagott und ist seit 25 Jahren bei den Wolgograder Symphonikern.
"Es ist nicht das erste Mal, dass wir mit Deutschen spielen, wir waren schon oft in Deutschland, und auch in Dänemark und Schweden. Aber es ist ein Fest für uns. Und frisches Blut. Ich versuche immer, bei solchen Gelegenheiten von anderen zu lernen. Außerdem klingen zwei Orchester besser als eins."
Initiiert hat das Ganze der Geiger Christian Heinecke, Mitglied im Vorstand der Osnabrücker Symphoniker. Zwei Jahre hat er daran gearbeitet. Der Krieg beschäftigt ihn seit seiner frühen Kindheit. Die musikalische Begegnung allein reicht ihm als Geste der Versöhnung nicht aus. Heinecke blättert in einem Stapel DIN-A4-Bögen: Darauf stehen russische Namen. Zu jedem Bogen gehören Kopien einer Personalakte.
"Hier steht zum Beispiel drauf auch, wo man diesen Gefangenen einsetzen kann: "Einsatzfähigkeit für mittelschwere Arbeit", in Klammern "Stufe 2", und da steht drüber bei Bemerkungen: "Die Bekanntgabe des Verbots des Verkehrs mit deutschen Frauen ist erfolgt." Alles gestempelt, abgezeichnet, akribisch mit einer Erkennungsmarke, mit einer Nummer drauf, da wird einem einfach nur schlecht."
Heinecke hat die Akten gemeinsam mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge ausfindig gemacht. Es sind die Namen von 70 Menschen aus dem Gebiet des ehemaligen Stalingrad, die in Osnabrück und Umgebung Zwangsarbeit leisten mussten. Einige von ihnen sind in Osnabrück begraben. In Russland gelten sie als vermisst. Beim Konzert verlesen die Deutschen die 70 Namen.
"Hier steht jetzt, am 2.5.1908 geboren, der wäre natürlich über 100 Jahre alt, aber es könnte ein Großvater sein von einem Angehörigen, der jetzt im Publikum sitzt und unser Konzert hört."
Nicht alle Orchestermusiker können und wollen damit umgehen. Einigen sind auch die vielen Toten und der Heldenkult in Wolgograd zu viel. Sie wollen einfach Musik machen.
Die Osnabrücker Symphoniker haben extra für das Konzert in Wolgograd eine Komposition in Auftrag gegeben. Das Werk "Erwartung" der in London lebenden russischen Komponisten Elena Firsowa wird anlässlich der 70-Jahr-Feiern uraufgeführt. In Russland ist Firsowa kaum bekannt, erzählt der Fagottist Anatolij Sokirko.
"Nun ja, das ist eben moderne Musik. Das wird schon ein gutes Stück sein. Aber mit Beethoven kann man sie natürlich nicht vergleichen."
Auf Wunsch der russischen Musiker wird in Wolgograd auch Beethovens Neunte gespielt. Dabei einen gemeinsamen Ton zu finden, ist schwierig. Denn in Russland spielt man Beethoven getragener, emotionaler, erzählt die Chorsängerin Angelina Tregubova.
"Die Deutschen spielen irgendwie lakonisch, genau, ohne große Dynamik. Zur russischen Musik, zur russischen Seele, gehört irgendwie mehr Melodie. Es fällt uns zwar schwer, aber wir versuchen, uns der deutschen Interpretation anzupassen."
Für Christian Heinecke steht fest: Einen Musikpreis wird es für die Aufführung in Wolgograd sicher nicht geben. Er will mit dem Konzert Brücken bauen.
"Das ist mir einfach ein ganz wichtiges Anliegen, weil wir was mit der Musik machen können, was die Politik vielleicht auch noch nicht hinkriegt und auch andere Gruppierungen nicht hinbekommen. Wir können zusammenkommen und zusammen was machen, ohne uns zu unterhalten. Und das ist ein solches Geschenk. Und das möchte ich gern intensiv betreiben."
Weitere Beiträge bei dradio.de:
Putin: Stalingrad ist Symbol für echten Patriotismus - Wolgograd feiert 70 Jahre Sieg in der Schlacht von Stalingrad
Stalingrad vergeht nicht - Gedenkfeiern an Schlacht vor 70 Jahren