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Musikalische Weltreise eines Fender-Nachbaus

Gerade ist eine Doppel-CD erschienen, deren verbindender roter Faden einzig und allein eine Gitarre ist. 65 Musiker aus aller Welt haben mit ihr für das "100-Dollar-Guitar-Project" Songs eingespielt. Stilistisch ist das Album ein Gemischtwarenladen - aber spannend zu hören allemal.

Von Kirsten Lorek | 07.01.2013
    Angefangen hat es als lupenreine Schnapsidee: Zwei befreundete US-Musiker, Gitarrenliebhaber und ein kleines bisschen durchgeknallt, wollten eine E-Gitarre auf Reisen schicken: Sie selbst wollten je ein Stück aufnehmen und die Gitarre dann an ihre engsten Freunde weiterreichen:

    Kai Niggemann: "Und gemeint waren fünf Freunde, ein kleiner Kreis. Aber alle Freunde fanden das so super, dass sie sofort darüber gesprochen haben und sich ganz schnell ganz viele andere Leute gemeldet haben, die das auch mitmachen wollten. Und die Gitarre ist immer noch unterwegs, mittlerweile gibt es 65 Aufnahmen von verschiedenen Leuten."

    Einer von ihnen heißt Kai Niggemann. Der Künstler sitzt in einem Café in Münster und guckt ein bisschen so, wie ein Kind an Weihnachten: Er strahlt. Denn stolz ist er schon, an dem Projekt beteiligt zu sein, bei dem eine stinknormale E-Gitarre zur Legende wurde:

    "Ja, das ist eine Gitarre, die jetzt wirklich durch wahnsinnig viele Hände gegangen ist und dadurch eine ganz schöne Reise hinter sich gebracht hat. Die ist im Prinzip mehr als einmal um die Welt gereist, von der Kilometerzahl. Die ist jetzt bei 30.000 Meilen, das ist ungefähr der Erdumfang, und wir sind also einmal rum."

    Die Weltreisende ist ein einfacher japanischer Fender-Nachbau, rotschwarz lackiert, den die Projektinitiatoren Nick Ditkovsky und Chuck O'Meara auf einer Internetplattform entdeckten, erzählt Kai Niggemann:

    "Diese 100 Dollar, was wirklich gar nichts ist für eine Gitarre, die investieren wir jetzt mal, kaufen diese Gitarre, ohne sie gespielt zu haben, ohne sie angefasst zu haben, ohne zu wissen, ob sie gut klingt, ob sie bespielbar ist, ob die Elektronik funktioniert, und spielen mal mit der."

    Alle Künstler merkten schnell, dass einiges an dem 30 Jahre alten Schätzchen buchstäblich nur noch von Klebeband zusammengehalten wird:

    "Ein Knopf, der die Tonabnehmer umschaltet, der ist mit Gaffa festgeklebt. Wenn der verrutscht, dann geht der Ton immer aus. Und deshalb muss man ihn mit Gaffa festhalten, damit die Gitarre auch wirklich einen Ton ausspuckt."

    Das tat der Begeisterung der beteiligten Musiker aber keinen Abbruch. Nels Cline etwa, Jazz- und Punkrockmusiker und laut Rolling-Stone-Magazin einer der 100 besten Gitarristen aller Zeiten, experimentierte mit der 100-Dollar-Gitarre so lange herum, bis sie klang, als ob elektronische Tiere aus dem Dickicht eines Blechdschungels herausbrüllten.

    Ob akustisch gespielt, in bester E-Gitarren-Schrammel-Weise oder elektronisch verfremdet: Den Künstlern waren keine Grenzen gesetzt. Sounddesigner Phil Burk etwa, der unter anderem das Audiosystem für Sonys Playstation 3 entwickelte, prägte mit der 100-Dollar-Gitarre seinen ganz eigenen Stil.

    Kai Niggemann ging einen ganz anderen Weg: Er improvisierte mit der Gitarre erst rein akustisch, dann schloss er sie an den Verstärker an:

    "Das war insgesamt vielleicht so ne halbe Stunde Rohmaterial, die ich da aufgenommen habe, hab dann sehr viele Schnipsel genommen, die elektronisch bearbeitet und mit sehr vielen Effekten gearbeitet, so eine dub-artige Struktur gemacht, wo alle Sounds aus dieser Gitarre kommen. Es klingt aber so, als wäre da so ein Rhythmus wie eine Bassdrum, wie Schlagzeugsound, Percussion, aber das sind alles Sounds, die aus dieser Gitarre kommen."

    65 Unterschriften der beteiligten Künstler zieren inzwischen die 100-Dollar-Gitarre. Gerade ist die Doppel-CD erschienen, deren verbindender roter Faden einzig und allein die Gitarre ist. Stilistisch ist das Album ein kunterbunter Gemischtwarenladen, mit Tracks zum Davonlaufen und Tracks zum Niederknien. Aber: spannend zu hören ist es auf jeden Fall.

    Die musikalische Weltreise der 100-Dollar-Gitarre ist aber noch lange nicht zu Ende, glaubt Kai Niggemann:

    "Was damit passiert? Erst mal muss die noch ein bisschen auf Reisen sein. So lange, wie die funktioniert, lohnt es sich, die weiter zu verschicken."