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"Musikalischer Parnassus": Suiten von J. C. F. Fischer

Heute ergibt einmal wieder die Möglichkeit des Vergleichs: einerseits ein barocker Meister auf einem stilechten Instrument, einem Cembalo nämlich, anderseits Bach auf einem modernen Konzertflügel. Zur Zeit erleben wir ja eine Art Renaissance des modernen Flügels als Instrument nicht nur spätbarocker, sondern sogar hochbarocker Kompositionen. Byrd, Rameau, Couperin werden zunehmend von Pianisten der jüngeren Generation entdeckt, und Interpreten wie Konstantin Lifschitz spielen solche Werke mit einem Reichtum an Farben und Nuancen, der denn doch eine neue Dimension einbringt. Anderseits gibt es unter den Nachbauten historischer Cembali immer mehr Instrumente, die mit ihrer Klangfülle geradezu inspirierend, um nicht zu sagen: beflügelnd wirken. So ist die Szene ungewöhnlich aspektreich geworden. Nun hat der Cembalist Gerald Hambitzer mit einer vorzüglichen CD den Horizont wieder um einiges erweitert. Beim Musikverlag Dohr hat er Aufnahmen ausschließlich von Werken des Johann Caspar Friedrich Fischer publiziert. Da denkt so mancher Organist an seine frühen Unterrichtsstunden, denn Präludien und ähnliches von Fischer lassen sich hervorragend zu pädagogischen Zwecken nutzen. Hambitzer indes zeigt mit seiner CD unter der Überschrift "Musikalischer Parnassus", dass es sich hier um einen Großmeister der kleinen Form handelt: * Musikbeispiel: Johann Caspar Ferdinand Fischer - * Satz aus der Suite IV D-dur aus "Musicalisches Blumen-Büschlein" Das war erst einmal das Präludium aus der 4. Suite D-dur aus dem "Musikalischen Blumen-Büschlein" von Johann Caspar Ferdinand Fischer. Da staunt man denn doch über den harmonischen Reichtum und über die rhythmische Vielfalt auf kleinstem Raum. Fischer lebte von 1656 bis 1746, war also ein Bach-Zeitgenosse, freilich der steinalten Art. 90 ist er geworden. Bach hat den betagten Kollegen außerordentlich geschätzt, der als Kapellmeister des badischen Hofes in Rastatt sein Brot verdiente. Bereits 1702 veröffentlichte Fischer einen Zyklus von Präludien und Fugen für die Orgel in insgesamt 20 Tonarten. Sein "Musikalisches Blumen-Büschlein", eine Sammlung von Suiten, war schon zwei Jahre zuvor erschienen, 1698. Vier Suiten daraus hat Hambitzer für seine CD eingespielt, darunter ein ausgesprochen lakonisches Werk, das ausschließlich aus Präludium und Chaconne besteht und damit einen ganz anderen Formverlauf nimmt. Die übrigen Suiten der CD, ebenfalls vier, stammen aus einer Sammlung mit der Überschrift "Musikalischer Parnassus", die der CD ihren Titel verlieh. Da geht es eigentlich um alle neun Musen, von denen, wie gesagt, hier lediglich vier vertreten sind: Calliope, Erato, Euterpe und Urania. * Musikbeispiel: Johann Caspar Ferdinand Fischer - * Satz aus "Euterpe" aus "Musicalischer Parnassus" In diesen durchweg kurzen Werken nutzt Fischer die Fülle an Tanzsätzen vor allem aus dem Bereich der französischen Hofmusik, um die einzelnen Musen zu charakterisieren. Da greift der barocke Meister einerseits eine Praxis der französischen Clavecinistin und der englischen Virginalisten auf, die auf ihren Instrumenten allemal gern Personen schilderten; anderseits gibt er sich jedoch mit mythischen Figuren ab und gewinnt so zusätzliche Möglichkeiten der Abstraktion. Die Faktur tritt gegenüber der Couleur in den Vordergrund. Es sind außerordentlich dicht geschriebene Sätze, die freilich auch einen ungewöhnlich genau und geistvoll artikulierenden Interpreten voraussetzen. Fischer kann, wenn man ihn einfach nur geradeaus spielt, unendlich langweilig werden. Hambitzer schlägt aus seinem Ruckers-Blanchet-Nachbau eine Musik, die auf kleinstem Raum beredt ist, wo jede Floskel durchdacht und mit Bedeutung aufgeladen wirkt, und plötzlich sprüht der gute alte Fischer richtig Feuer. Dass er der Muse Euterpe nach einer Bourée und einem Menuett eine phantasievolle und ausgesprochen tricky komponierte Chaconne als Finalsatz widmet, versteht sich von selbst. Dass diese Chaconne unter Hambitzers Händen so konzentriert und in ihrer Dramaturgie konsequent wirkt, dass man ihr die gut drei Minuten kaum glauben möchte, spricht für die Kompetenz des Interpreten: * Musikbeispiel: Johann Caspar Ferdinand Fischer - * Satz aus "Euterpe" aus "Musicalischer Parnassus" Gerald Hambitzer mit Johann Caspar Ferdinand Fischer. Im Booklet steht, dass dieser Komponist zu wenig im Konzert aufgeführt werde. Die prägnanten und pointierten Tanzsätze stellen nicht nur eine Herausforderung an Cembalisten, sondern möglicherweise auch eine an künftige Pianisten dar. Es dürfte reizvoll sein, den Miniaturen auf dem Konzertflügel neue und überraschende Farben abzugewinnen.

Norbert Ely |