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Musikerin mit Hang zum Verzetteln

Sie hat bei Sufjan Stevens mitmusiziert, pflegt Kontakte zu The National und ist auf einem Album von David Byrne und Fatboy Slim vertreten: Shara Worden. Sie experimentiert in ihren Songs mit Rock, Pop und Folk. Jetzt hat Shara Worden unter dem Namen "My Brightest Diamond" ihr drittes Album "All Things Will Unwind" veröffentlicht.

Von Dennis Kastrup | 22.10.2011
    Shara Worden: Meine Lehrer haben immer gesagt: "Shara, denk darüber nach, was du schaffen könntest und nicht darüber, was du alles machen möchtest. Sonst bist du so immer überall." Ich kämpfe wohl immer noch damit. Ich mag es immer noch, bei allem dabei zu sein. Manchmal strengt mich das aber auch an, weil ich es einfach mag, bei vielen unterschiedlichen Projekten mitzumachen. Das Zusammenarbeiten mit vielen verschiedenen Leuten hat mir in den letzten Jahren sehr viel Spaß gemacht. Wenn es aber darum geht, mein eigenes Album zu machen, dann muss ich mich sehr zurückhalten, sodass ich ein sehr fokussiertes Album machen kann. Ich benutze dann einen Leitfaden, um mir zu helfen."

    Dennis Kastrup: Können sie diesen Leitfaden beschreiben?

    Worden: Bei "All Things Will Unwind" gab es ein paar lustige Regeln. Eine davon war, dass jedes Instrument, das ich spielen würde, in einen Koffer passen musste. Diese Regel habe ich schon ganz gut eingehalten, außer dass es da ein Harmonium gab, das sich in einem Koffer zusammenfaltet. Das ist also irgendwie eine Besonderheit. Ich denke aber schon, dass man das durchgehen lassen kann. Zu den anderen Regeln gehörte es, dass ich keine elektronischen Instrumente spielen wollte. Es sollte alles akustisch sein. Außerdem sollte dieses Kammermusikensemble namens "ymusic" dabei sein. Sie benutzen ein Streichertrio, Querflöten Klarinetten und Trompeten.

    Kastrup: Lassen Sie uns über die Arbeit am Album sprechen und die Art und Weise, wie aus ihrem Song mit Zusammenarbeit der "ymusic" etwas Neues entstanden ist. Wie kam es dazu überhaupt?

    Worden: Ich hatte im letzten Januar ein Konzert für die "American Songbook Series". Das ist eine Art Präsentation deiner Arbeit. Das fühlte sich für mich besonders an, weil es vom Lincoln Center präsentiert wird. Du willst dich also von deiner besten Seite zeigen und deine beste Kleidung tragen. Ich habe mir ein paar Monate Zeit genommen, um 30 Minuten neuer Musik zu schreiben. Deshalb musste ich jeden Tag einen Song schreiben. Dann habe ich das Notensatzprogramm Sibelius benutzt. Das ist ein Programm mit dem man die Musik arrangieren kann. Nach drei Wochen Arbeit, bin ich von Detroit nach New York gefahren. Dort habe ich mit "ymusic" geprobt und mir das angehört, was wir gemacht haben. Ich habe dann gesehen, was ich mochte und was nicht und was verändert werden musste. Ich bin dann wieder für drei weitere Wochen nach Hause gefahren, um Songs um- oder neu zu schreiben. Dann bin ich wieder nach New York gefahren. Nach drei dieser Proben stand unser Konzert.

    Kastrup: Ich habe von Ihnen ein paar Videos gesehen. Man sieht, wie sie im Studio aufnehmen und wie sie auf der Bühne agieren. Sie gestikulieren viel. Man hat das Gefühl, sie fühlen so die Musik besser. War das schon immer so und warum ist das wichtig für Sie?

    Worden: Ich glaube, ich bewege mich von Natur aus immer, wenn ich Musik höre, die mich anspricht. Ich habe wohl damit begonnen, das mehr zu kultivieren, um mir zu erlauben, mehr ein Tänzer zu sein oder einfach physikalisch auf die Musik zu reagieren. Ich versuche, mir das öfters zu erlauben.

    Kastrup: Sie mussten das also erst lernen?

    Worden: Ja, man muss sich die Freiheit zugestehen, den Körper zu bewegen. Als Frau und Sängerin hatte ich so viele Jahre lang eine schwere Zeit. Auf dem College habe ich in Funk-Bands gespielt. Ich habe dabei gedacht, dass ich eine bestimmte Aufmerksamkeit bekommen habe, die ich nicht wollte und die anders war, als wenn ich getanzt habe. Für mich fühlte es sich also nicht so an, dass es okay war, sich zu bewegen und sich so zu bewegen, wie ich das wollte. Das war schon ein bisschen schwierig.

    Kastrup: Was meinen Sie genau damit, wenn sie von der Aufmerksamkeit sprechen, die Sie nicht wollten?

    Worden: Naja, die Jungs eben. Von den Jungs eben. Ich wollte immer als eine ernst zu nehmende Musikerin wahrgenommen werden. Natürlich kann man eine seriöse Musikerin und Frau sein und dabei tanzen. Ich habe aber wohl sehr hart dafür gekämpft, für meine musikalischen Qualitäten respektiert zu werden. Man kann aber trotzdem tanzen. Das ist wohl schon wichtig. Ich habe mich mit dieser Aufmerksamkeit einfach nicht wohlgefühlt. Ich wollte als Sängerin ernst genommen werden. Ich musste also lange Zeit mit dem Tanzen aufhören, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass es in Ordnung war.

    Kastrup: In vielen Bands scheinen Frauen heute immer noch auf die Rolle des Blickfangs reduziert zu werden. Haben Sie das Gefühl, dass sich diese Rolle in den letzten Jahren ein wenig verändert hat oder wird das irgendwann in der modernen Gesellschaft gar kein Thema mehr sein?

    Worden: Wir können immer darauf hoffen, uns gegenseitig mit den Augen hinter den Augen zu sehen. Wenn unsere Körper einfach eine Art Schale darstellen, in der wir uns befinden, dann ist es das Ideal, dass wir uns nicht über Rasse, Geschlecht oder Alter definieren, sondern uns als etwas sehen, dass mehr als das ist.

    Kastrup: Gibt es da eine Person, die das Aufheben dieser Sichtweisen musikalisch ausdrücken kann und die sie bewundern?

    Worden: In letzter Zeit musste ich dabei immer an Jimi Hendrix denken. Jimi Hendrix sprach über seinen Traum, bevor er starb. Er sagte: "Ich will, dass jeder auf ein Feld geht, all diese Musiker aus der ganzen Welt. Da spielen wir dann so lange, bis wir miteinander kommunizieren können." Wenn man darüber nachdenkt, dann drücken viele Musiker dieses Verlangen aus: eins mit den Leuten zu sein, um so unsere Gleichheit zu sehen.

    Kastrup: Wie würden Sie das Gefühl beschreiben, das mit diesem Album verbunden ist?

    Worden: Dieses Jahr war geprägt von den Gedanken über "die große Geschichte der Menschheit", wenn ich das so sagen kann. Ich wollte Geschichten erzählen und deshalb habe ich angefangen, über die Geschichte unseres Universums nachzudenken. Also der Beginn des Lebens und dann auch der Tod der Sonne. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Sonne irgendwann ausbrennen wird. Es wird also ein gewaltiges Ende geben. In meinem eigenen Leben habe ich vor einem Jahr einen Sohn bekommen. In demselben Jahr, einen Tag vor ihrem 100. Geburtstag, starb meine Großmutter. Die Tatsache, dass beides innerhalb von sechs Monaten passiert ist und dass ich über meinen eigenen Tod nachdenke, stellt diese zwei Gegenpole dar: die größere Geschichte der Menschheit und im Gegensatz dazu die fortschreitende Zeit, die ich auf der Erde habe. Was muss ich in dieser Zeit machen? Das bedeutet, in einer Welt, besonders in Detroit, zu leben, in der ich viel Arbeitslosigkeit, Rassismus und Klassendenken sehe. Global sieht man mehr Sexsklaven in der Welt, als es jemals gab. Es gibt heutzutage mehr Sklaverei als jemals zuvor. Es passiert so viel, all dieses schwerwiegende Zeug: die globale Erwärmung, in Nordkorea und Somalia verhungern die Menschen. Es ist eine sehr intensive Zeit. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, weil wir jetzt die Technologie haben, die es uns ermöglicht, die Dinge besser zu kennen? Um das alles durchzustehen, brauche ich auf jeden Fall die Musik!