Archiv

Musikfest Berlin
Gipfeltreffen der Orchesterschwergewichte

Das Musikfest Berlin versteht sich nicht als bloße Muskelschau der geladenen Spitzenorchester, sondern sucht mit dramaturgischen Schwerpunkten nach ästhetischen Verbindungen. In diesem Jahr sind Rituale, Religiöses und Geistliches ein Leitthema -ebenso wie die Musik von Bernd Alois Zimmermann.

Von Julia Spinola |
    Werbung für das Musikfest Berlin
    Ein präzises und brillantes Concertgebouw-Orchester oder die Münchner Philharmoniker mit höchster instrumentaler Eindringlichkeit: Beim Musikfest Berlin zeigen sich die Spitzenorchester in diesem Jahr von ihrer besten Seite. (Musikfest Berlin / © Adam Janisch)
    Musik: Bruckner 3. Symphonie, Finale
    So feurig und elektrisierend hat man das Finalthema in Bruckners 3. Symphonie schon lange nicht mehr gehört. Das Concertgebouw-Orchester spielt wie präzise und brillant, wie auf der Stuhlkante. Das Thema nimmt den Ausdruck eines großen Befreiungsschlags an. Dabei dürfte den Musikern aus Amsterdam tatsächlich noch der Schock in den Gliedern sitzen. Erst vor einem Monat hat das Orchester die sofortige Trennung von seinem Chefdirigenten Daniele Gatti bekannt gegeben. Der Grund dafür: Gatti soll sich gegenüber einigen Musikerinnen im Orchester sexuell übergriffig verhalten haben. Juristen sind zurzeit mit dem Fall beschäftigt. Bis zur Klärung herrscht nach außen verständlicherweise einstweilen Stillschweigen über die Vorfälle. Der Pressesprecher wies alle Interviewanfragen zurück. Die Musik freilich spricht an diesem Abend in der Berliner Philharmonie eine eigene, deutliche Sprache:
    Musik: Bruckner 3. Symphonie, Finale
    Tänzerisch, leicht, voller wienerischer Anmut dirigiert der für den geschassten Chefdirigenten eingesprungene Manfred Honeck das Seitenthema im Finale der Bruckner-Symphonie. Endlich, möchte man sagen, haben die Concertgebouw-Musiker wieder zu ihrer gewohnten Spontaneität und zu jener Prägnanz und erfüllten Tiefe des Ausdrucks zurückgefunden, die seit dem Weggang von Mariss Jansons im Jahr 2015 ein wenig verblasst war. Den legendären Glanz des erstklassigen Bruckner-Orchester mit seinem samtig-dunkel getönten Streicherklang, der goldenen Strahlkraft des Blechs und dem warm timbrierten, sprechenden Holzbläserton, der jetzt zu erleben war, hatte man unter Gattis Leitung mitunter vermisst. Das wunderbare Programm freilich, das jetzt Bruckners 3. Symphonie mit Anton Weberns Fünf Sätzen für Streichquartett op. 5 und mit Alban Bergs Altenberg-Liedern op. 4 kombinierte, ging noch auf Gattis Planung zurück.
    Musik: Alban Berg Altenberg-Lieder op. 4
    Fabelhaft gelang der Sopranistin Anett Fritsch in Bergs groß besetzten Orchesterliedern die heikle Balance zwischen glühender Expression und virtuoser Künstlichkeit. Getragen wurde sie von einem in den betörendsten solistischen Farben schillernden Orchesterklang.
    Festivalleiter Winrich Hopp versteht das Musikfest nicht als eine bloße Muskelschau der geladenen Spitzenorchester, sondern sucht mit dramaturgischen Schwerpunkten nach ästhetischen Verbindungen. Rituale, Religiöses und Geistliches sind ein Leitthema des diesjährigen Programms - von den heidnischen Bräuchen in Strawinskys "Sacre du printemps" über Pierre Boulez‘ "Rituel in memoriam Bruno Maderna" bis hin zu den kosmischen Vorstellungen eines Karlheinz Stockhausen. Ein größerer Schwerpunkt ist der Musik von Bernd Alois Zimmermann gewidmet, der in diesem Jahr hundert geworden wäre.
    Musik: Bernd Alois Zimmermann "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne"
    "Mir geht es da nicht um Schöngesang, also gar nicht, sondern darum, den Ausdruck zu finden, was es heißt, wenn man erbärmlich und allein ist. (...)Wir wissen ja alle, dass die Tränen, die wir allein vergießen, die schmerzhaftesten sind."
    Der Bariton Georg Nigl ist der fulminant sich entäußernde Sänger in Zimmermanns letztem Werk: der wenige Tage vor seinem Selbstmord komponierten Ekklesiastischen Aktion "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne".
    Musik: Zimmermann "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne"
    "Das ist ein für mich unglaublich großartiges Werk. Wenn man sich mit diesem Werk auseinandersetzt, hat man sehr schnell natürlich auch die Autobiographie von Zimmermann vor sich."
    Nigl hat diese gewaltige, zugleich niederschmetternd unsentimentale Menschheitsklage schon mit verschiedenen musikalischen Partnern aufgeführt.
    Musik: Zimmermann "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne"
    "Das, was mich also am meisten berührt, ist schon auch die Auseinandersetzung mit dem Leiden des Menschen - und halt in dem Fall ist es natürlich Jesus Christus -, das ja eigentlich zeitlos ist. Weil das Leiden, das sehen wir ja auch heute, evident ist, überall, und hier in einem Lamento einen Ausdruck findet, den ich so auch nicht kannte."
    Zimmermann kombiniert in diesem Werk Verse aus dem biblischen Buch "Der Prediger Salomon" mit der Erzählung "Der Großinquisitor" aus Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow": Jesus ist auf die Erde zurückkehrt, wird vom Großinquisitor eingekerkert und peinlichst verhört.
    Musik: Zimmermann "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne"
    Der Schauspieler Joseph Bierbichler verleiht den Passagen des Großinquisitors eine schwarze, menschenverachtende Stammtischbosheit. Michael Rotschopf übernimmt die Sprechpartien mit den biblischen Texten. Und die Münchner Philharmoniker übertreffen sich unter ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev mit höchster instrumentaler Eindringlichkeit.
    Die Kombination der Musik Zimmermanns mit Symphonien von Anton Bruckner war in mehreren Programmen zu erleben, beim Gastspiel der Rotterdamer Philharmoniker mit ihrem energetischen scheidenden Chef Yannick Nézet-Seguin ebenso wie im Konzert der Münchner Philharmoniker, die noch Bruckners unvollendete 9. Symphonie im Programm hatten. So reizvoll sich die Kopplung dieser beiden musikalischen Vermächtnisse auf dem Papier indes auch ausnahm, so wenig ging sie im Konzert auf. Unter Gergievs geradezu furtwänglerisch zitternder Zeichengebung schleppte sich die letzte Bruckner-Symphonie weitgehend spannungslos voran. Der Klang wirkte streckenweise unsauber und grobschlächtig, wie schlecht geprobt.
    Großartig dagegen ließ das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles den Facettenreichtum Bernd Alois Zimmermanns exemplarisch deutlich werden, der sich selbst einmal als "eine Mischung aus Mönch und Dionysos" bezeichnet hat. Dem meditativ in sich versunkenen Spätwerk "Stille und Umkehr" stellte Runnicles die rauschhaften Farbexploxionen des großformatigen Orchesterwerks "Photoptosis" gegenüber.