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Musikgeschäft
Pop als Megakampagne

Um die sinkenden Verkaufszahlen ihrer Alben zu stoppen, setzen viele Künstler mittlerweile auf aufwendige Marketingkampagnen und medienwirksame Auftritte. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Klickzahlen im Internet gerät das eigentliche Produkt - die Musik - oft in den Hintergrund.

Von Christian Lehner | 20.12.2013
    Am 10. November 2013 hob Lady Gaga endgültig ab. Vergessen war das skandalträchtige Kleid aus Fleisch, bei der Launch-Party für das neue Album "ArtPop" schlüpfte die Popdiva in einen Fluganzug mit Rotorblättern. Die Welt war via Stream live dabei.
    Pop war immer schon mehr als Musik: Image, Mode, Lebensstil, Show, das alles gehört zum Gesamtpaket. Lady Gaga galt lange Zeit als die Meisterin der Selbstinszenierung. Doch in diese Jahr stahl ihr ein ehemaliges Disney-Sternchen die Show und auch die Chartsplazierungen.
    Miley Cyrus hat mit sexuell überdeutlichen Posen für Schlagzeilen gesorgt. Nackt auf einer Abrissbirne, anrüchige Fotos von Terry Richardson und arschwackelnd in einem Babystrampler vor einem erwachsenen Mann bei den MTV-Video-Awards.
    Was man unter Madonna oder Lady Gaga noch als Selbstbehauptung starker Künstlerfrauen lesen konnte, wird bei Cyrus zum Kalkül um hohe Klickraten im Internet und Schlagzeilen in der Boulevardpresse.
    Der Verkauf von Musikalben war auch 2013 rückläufig. Trotzdem oder gerade deswegen nimmt die Vermarktung immer häufiger den Charakter einer Wahlkampfkampagne an. Die kanadische Indie-Rock-Band Arcade Fire hat Fans und Medien mehrere Monate auf das neue Album "Reflektor" eingestimmt.
    Zunächst kursierten kryptische Videoclips im Internet. Dann tauchten in mehreren Großstädten mysteriöse Zeichen an Häuserwänden auf. Sie entpuppten sich später als Veröffentlichungsdatum. Der virale Effekt war enorm. Dazu Jermey Gara von Arcade Fire:
    "Uns ist wichtig, in noch das kleinste Detail einer Kampagne involviert zu sein. Das gibt uns die Möglichkeit, den kreativen Prozess über die Musik hinaus zu erweitern und die Fans miteinzubeziehen. Und es macht auch Spaß."
    Grafikdesigner, Social-Media-Experten und Marketingstrategen erfahren durch den Trend zur groß angelegten Popkampagne eine Aufwertung:
    "Wir betrachten alle Beteiligten an einem Album als relativ gleichberechtigte Partner. Egal ob das jetzt der Toningenieur ist oder die Designer. Wir sehen in ihnen als nicht bloß Dienstleister. Ihre Arbeit inspiriert uns und deshalb wollen wir sie in der Regel langfristig an uns binden."
    Ähnlich wie Arcade Fire agierten das Elektronik-Duo Daft Punk und der Rapper Kanye West. Auch sie projizierten Videos und Logos im öffentlichen Raum. Den größten Effekt mit dem geringsten Aufwand erzielte Vampire Weekend. Die Indie-Band schaltete eine einfache Annonce im Anzeigenteil der New York Times. Die Social-Media-Sphäre brummte. Alle großen Popmedien berichteten.
    Der Hip-Hop-Mogul Jay-Z setzte den exzessiven Albumkampagnen 2013 die Krone auf. Sein Werk "Magna Carta...Holy Grail" war am Tag der Veröffentlichung für Hunderttausende Besitzer eines Mobiltelefons einer bestimmten Marke als Gratis-App erhältlich.
    Doch lohnt all der Aufwand? Keiner der genannten Acts hat es in die Top Ten der Jahreswertung der amerikanischen Billboard-Verkaufscharts geschafft. Aber darum geht es auch längst nicht mehr. Das Album, in vordigitalen Zeiten noch Mittelpunkt des Pop, ist selbst zu einem PR-Tool geworden – für die Bewerbung des mittlerweile lukrativeren Live-Geschäfts, als Empfehlung für Werbedeals und Sponsoring, zur Image-Pflege eines Stars. Insofern wird man auch im neuen Jahr mit viel Lärm um Musik rechnen müssen.