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Musikhochschule München
Missbrauch vorbeugen

Nach dem Missbrauchsskandal um ihren ehemaligen Präsidenten Siegfried Mauser, bemüht sich die Münchner Musikhochschule um einen Kulturwandel. Auf einem Aktionstag lernen Studierende, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren.

Von Tobias Krone | 20.11.2019
Nahaufnahme von zwei Mädchen, die Klavier spielen
Einzelunterricht in Privaträumen? Den wird es an der Musikhochschule München nicht mehr geben - um Machtmissbrauch vorzubeugen. (imago )
Es ist die Geschichte eines besonderen Musiklehrers. Und auch die Geschichte einer zerstörten Illusion:
"Im Februar 2015 wurde jener Lehrer zu elf Jahren Haftstrafe verurteilt, bei dem ich 35 Jahre zuvor als Jungstudent einige der prägendsten Musikstunden meines Lebens hatte."
Die Münchner Psychoanalytikerin Giulietta Tibone zitiert im großen Konzertsaal der Musikhochschule München den Text des Musikers Robert Ehrlich, der inzwischen die Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin leitet. Ehrlich bezieht sich dabei nicht auf den inzwischen verurteilten ehemaligen Präsidenten der Musikhochschule Siegfried Mauser, sondern auf seinen damaligen Lehrer Philipp Picket, der hinter schalldichten Türen weibliche Kommilitoninnen offenbar anders behandelte als ihn.
"Über Jahrzehnte hinweg hatte er Studentinnen der Guildhall School of Music and Drama London sexuell belästigt, genötigt und vergewaltigt."
Musikunterricht "anfällig für Grenzüberschreitungen"
Picket hatte seine Macht als Lehrer missbraucht. Ebenso wie Siegfried Mauser, der inzwischen zu knapp drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Und das sind nur zwei bekannte Fälle. London oder München ist überall, so das Fazit von Tibone. In ihrem Vortrag auf dem Aktionstag machte sie deutlich: Das Lehren von Kunst sei anfällig für Grenzüberschreitungen.
"In Ihrem Bereich kommen diese Besonderheiten hinzu: die körperliche Nähe, der emotionale Ausdruck, die ästhetische Dimension, die dem künstlerischen Prozess innewohnt und die eine starke verführerische Kraft entfalten kann."
Giulietta Tibone geht bei ihrem Vortrag in die Tiefe. Von der Entstehung von Gefühlen bis hin zu einem Phänomen bei männlichen Studierenden, das die Psychoanalyse "Identifikation mit dem Aggressor" nennt.
"In der Tat wissen wir, dass ein nicht unerheblicher Teil der bei Befragungen angegebenen Grenzverletzungen von Studierenden an Studierenden - meist in der Konstellation Mann-Frau begangen wird. Hier spielen neben unhinterfragten, dominanten, gesellschaftlichen Geschlechterrollenstereotypen auch die entsprechenden Vorbilder in der akademischen Institution eine Rolle."
Verhaltensregeln und Ombudstelle
Um diesem System ein Ende zu setzen, hat die Hochschule für Musik Maßnahmen ergriffen, erklärt der jetzige Präsident Bernd Redmann. Neben klaren Verhaltenskodizes gibt es jetzt auch eine Ombudstelle, außerhalb der Hochschule.
"Aus der Überlegung heraus, dass Hochschulangehörige, wenn sie Hilfe oder auch Beratung brauchen, doch möglicherweise lieber zu einer Stelle gehen, die außerhalb des ganzen kommunikativen Netzwerkes der Hochschule steht."
Einzelunterricht wird es weiter geben, allerdings nicht mehr in Privaträumen.
"Eine Praxis, die bisher - glaube ich - mehr oder weniger bestanden hatte. Es war weder verboten noch erlaubt. Da gab es einfach Grauräume, die auch sicher in den allermeisten Fällen sehr verantwortungsvoll genutzt wurden…"
... die aber prinzipiell Übergriffe begünstigen könnten. Der Fall Siegfried Mauser habe Musikhochschulen in ganz Deutschland sensibilisiert für das Thema Machtmissbrauch:
"Das betrifft jetzt nicht nur den sozusagen erotischen Bereich, das betrifft auch den Bereich mütterlicher oder väterlicher Gefühle, denn das kann auch übergriffig sein. So gut es gemeint ist. Aber ich finde, Unterricht sollte so sein, dass er jetzt nicht der Deckung von emotionalen Bedürfnissen der Lehrenden Rechnung trägt."
Der ehemalige Präsident der Musikhochschule München, Siegfried Mauser, sitzt vor dem Prozess im Verwaltungsgericht. Er und der Freistaat Bayern streiten um mehrere Zehntausend Euro Lehrvergütung, die der Freistaat zurückfordert.
Der Fall Siegfried Mauser Über Siegfried Mauser, den ehemaligen Präsidenten der Münchner Musikhochschule, heißt es jetzt in einer Festschrift, er habe "die Grenzen der bienséance", also des Anstands und der Etikette, "überschritten". Sexuelle Nötigung – nur ein Kavaliersdelikt?
Die Studierenden besuchen an diesem Aktionstag Workshops zu weiblichem Empowerment oder zur Förderung des Bewusstseins für die eigenen Privilegien als heterosexuelle Männer. Die Presse soll bei diesen intimen Prozessen nicht stören. Draußen auf dem Gang trifft man die Hochschulabgängerin Linda Oppermann, 25. Künftig arbeitet sie hier als erste weibliche Dozentin für schulpraktisches Klavierspiel, nachdem die Schule sie dazu ermunterte:
"Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich da gut reinpassen könnte, bin aber nie tatsächlich auf die Idee gekommen, das zu verfolgen, weil einfach nur Männer präsent sind, und das ist ja in vielen Fächern hier der Fall. Und es hat wirklich Menschen gebraucht, die mich da aktiv drauf hingewiesen haben, dass ich das weiterverfolgen soll, sonst wäre ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen."