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Musikhoffnung für Rom

Das Opernhaus in Rom gilt im Vergleich mit anderen Bühnen als drittklassig, sowohl was das Programm, als auch was die Auswahl der Interpreten betrifft. Ab dem nächsten Jahres gibt dort allerdings ein neuer Mann den Ton an, der diesen Status quo durchbrechen will: der Komponist Nicola Sani. Die Frage ist, ob er damit Erfolg hat, denn auch die zahlende Opernkundschaft ist konservativ und lehnt zeitgenössische Inszenierungen eher ab.

Von Thomas Migge | 08.10.2008
    Sicher, Verdi und Puccini, Bellini und Donizetti wird es auch weiterhin geben. Die Klassiker der italienischen Opern des 19. Jahrhunderts, die beim römischen Opernpublikum immer ankommen.

    Doch werden die Bel Canto gewohnten Römer bald ganz andere Töne zu hören bekommen. Moderne und zeitgenössische Musik. Eine arge Zumutung für ein Publikum, das schon bei Alban Bergs "Wozzeck” oder einer Wagner-Oper das Weite sucht.

    Ab kommendem Januar gibt in der römischen Staatsoper ein neuer Mann den Ton an: der Komponist Nicola Sani. Er will alles umkrempeln. Sani, Jahrgang 1961, war noch von dem linken Bürgermeister Roms zum neuen Intendanten ernannt worden. Doch dann wurde Gianni Alemanno, ein ehemaliger Neofaschist und heute strammer Rechter, erster Bürger. Und dem passte Sani überhaupt nicht ins kulturpolitische Konzept der Hauptstadt. So kam das Gerücht auf, dass Alemanno die politisch rechts stehende Sängerin Cecilia Gasdia zur Intendantin der Staatsoper ernennen wolle. Doch Sani verwies darauf, dass er seinen Arbeitsvertrag bereits unterschrieben habe. Der Bürgermeister, der einen Teil des 50 Millionen Euro-Budgets des Opernhauses bestreitet, muss nun mit Sani auskommen. Ein harter Schlag für einen Politiker, der nach eigenen Angaben mit moderner und zeitgenössischer Kultur nichts anfangen kann. Dazu meint der römische Musikkritiker Luca Chiarini

    ""In Rom kann man von einer politischen Aufteilung der musikalischen Kultur sprechen. Während das Auditorium mit seinen Konzerten traditionellerweise von den Linken besetzt wird, hat es sich so eingespielt, dass das Opernhaus der rechten kulturpolitischen Domäne zuzurechen ist. Traurig aber wahr, so ist es halt in Rom.”"

    Nicola Sani ist neben Giorgio Battistelli der international bekannteste zeitgenössische Komponist Italiens. Sani ist Präsident der Scelsi-Gesellschaft und präsentiert seine Werke häufig in Deutschland. Im Frühjahr dieses Jahres sorgte er mit der in Parma uraufgeführten ersten Oper zum Thema Mafia, "Il tempo sospeso del volo”, weltweit für Aufsehen. Sani studierte elektronische Musik bei Giorgio Nottoli, Komposition bei Karlheinz Stockhausen und sieht sich in der Tradition der neuen zeitgenössische Musik Nordeuropas. Mit der neo-melodischen Musikszene seiner italienischen Kompositionskollegen hat er nichts gemein. Musik ist für ihn Experiment – und somit wird auf das traditionelle Publikum der pogrammatisch angestaubten Staatsoper Schlimmes zukommen.

    ""Meine erste Saison hat einen Titel: ‘The times are changing’, nach einem Song von Bob Dylan. Ich will hier alles auf den Kopf stellen. Das musikalische Angebot dieses Hauses, des wichtigsten nach der Scala, muss von Grund auf revolutioniert werden. Die Hauptbühne der Staatsoper wird auch Verdi und Co und wichtige Opern des 20. Jahrhunderts bieten. Die kleine Bühne, das Teatro Nazionale, experimentielle und Auftragswerke sowie Kammeropern. Wir beginnen die Saison mit einer "Aida" unter der Regie Robert Wilson. Traditionelles und Neues sollen zusammenfinden. Das ist ganz neu für unsere Staatsoper. Es gibt eine "Iphigenie auf Tauris" von Gluck mit einer Regie des Choreographen Jannis Kockos und der musikalischen Leitung von Riccardo Muti. Auch Gluck gab es hier so gut wie nie zu hören. Es wird eine Neuinszenierung des "Pagliaccio" von Zeffirelli und "Le Grand Macabre" von Ligeti mit einer Regie der experimentierfreudigen spanischen Schauspieltruppe Fura dels Baus geben”."

    Das hört sich alles gut an, doch fraglich ist, wer sich diese "spettacoli” anschauen wird. Frühere Intendanten, die es wagten, Klassiker des 20. Jahrhunderts auf die Bühnen zu bringen - was in einer Saison höchstens ein einziges Mal geschah - erlebten Riesenflops und mussten danach gehen. Sanis Vertrag dauert fünf Jahre und der Komponist erklärte bereits, dass er unter keinen Umständen das Handtuch werfen werde, denn schließlich sei er ein unverbesserlicher Optimist. Auch das römische Publikum, davon ist er überzeugt, werde sich schließlich dem Neuen öffnen. Schon aus reiner Neugier.