Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv

Musikkabarettistin Anna Piechotta
"Schneewittchen ist tot!"

Bei Anna Piechotta weiß man nie genau, wie es ausgeht. Sie bezirzt ihr Gegenüber mit all ihrem Charme und erzählt gern vergnügliche Geschichten. Doch so harmlos sie beginnen, so überraschend die Wendung. Da entpuppen sich Katzen als Schwerstkriminelle und Operninszenierungen als Bordellverschnitt.

Am Mikrofon: Thekla Jahn | 04.12.2015
    Eine junge Frau sitzt in einem ärmellosen Trägerkleidchen am Flügel und schaut ins Publikum.
    Ihr Programm ist "komisch im Sinne von seltsam": Anna Piechotta. (Deutschlandradio / Carsten Nüssler)
    Genüsslich werden Plüschtiere zerrupft und Briefbomben verschickt. Anna Piechottas Stimme malt die Geschichten fein abgestuft zwischen harmlos und makaber. Sie nutzt das Klavier als musikalischen Gegenpart. Und wenn man ihrem Spiel eine Weile zugehört, ihre Lust zu verstören beobachtet und ihren Schwarzen Humor verstanden hat, dann kommt man zu dem Schluss: Es "kreislert", wenn Anna Piechotta loslegt.
    Seit sechs Jahren ist die Musikkabarettistin nun schon mit Soloprogrammen in Deutschland und Österreich unterwegs. Gern nimmt sie sich dabei auch selbst auf die Schippe. "Schneewittchen ist tot!" hat sie ihr aktuelles Programm genannt, weil ein Journalist sie mal als süße Sängerin mit Schneewittchengesicht beschrieb.
    Aufnahme vom 20.11.15 auf dem Theaterkahn in Dresden
    "Dieses Genre verzeiht Fehler" - Interview mit der Musikerin Anna Piechotta (04:13)
    Peter Eichler: "In Ihrem Lied "Mein erster Opernbesuch" singen Sie: "Ich liebte bisher Britpop und Hiphop" Welche Musik lieben Sie denn nun jenseits von Britpop und Hiphop wirklich?"
    Anna Piechotta: "Also ich habe so unterschiedliche Phasen. Manchmal höre ich gerne Michael Jackson, aber dann höre ich auch Bach und Mozart. Also das bewegt sich in einem ganz breiten Spektrum, denn das ist natürlich Futter für Lieder."
    Eichler: "Sie stammen aus Cochem an der Mosel, eine sehr bekannte Weingegend. Führt frühzeitiger Weingenuss zu zeitigen humoristischen Ideenblitzen? Sie haben ja sehr früh angefangen Lieder zu schreiben. Ist also die Gegend entscheidend?"
    Piechotta: "Die Gegend war insofern entscheidend, als dass es da viele Weingüter und -keller gibt, und ich konnte da meine Lieder ausprobieren. Aber wenn Leute gelacht haben, war das ein Problem: Ich wusste nicht, ob sie es wirklich witzig finden, denn die waren ja eh schon alle voll."
    Eichler: "War das so: "Tausche Lieder gegen Liter"?"
    Piechotta: "Ja, so ungefähr."
    Eichler: "Sie haben Musik studiert. Warum nicht das klassische Fach, sondern eher das unterhaltsame?"
    Piechotta: "Ich habe schon ein breites Spektrum studiert. Jazz-Pop-Rockgesang, dieser Studiengang war ziemlich toll, weil man auch klassischen Unterricht hatte. Und das hat dann natürlich auch inspiriert. Ich wollte technisch einfach beides können - nun ja, ich würde mich jetzt nicht trauen eine Oper zu singen; die wollen mich auch nicht - aber so ein paar klassische Elemente habe ich immer in meinem Programm drin."
    Eichler: "Warum war Ihnen Perfektion am Klavier und im Gesang so wichtig? Geht da nicht auch manchmal ein bisschen Originalität verloren oder Spontanität?"
    Piechotta: "Das Gute ist ja: Ich bin nicht perfekt und so ist es nicht perfekt. So, glaube ich, hat man ein bisschen Spontanität. Also: Ich gebe mir natürlich Mühe, ich will sehr gut Klavier spielen und auch sehr gut singen, aber ja, dieses Genre ist ja so dankbar, dass Fehler verziehen werden. Das wäre in der Oper, glaube ich, nicht so."
    Eichler: "Sie nennen sich Klavierkabarettistin oder sind zumindest da einzuordnen. Hat man Humor a priori oder braucht man den heute, um mit den Umständen der Welt überhaupt zurechtzukommen."
    Piechotta: "Das sehe ich so. Also ich glaube, man kriegt Humor, wenn man über das Schlechte ein bisschen lachen kann, sonst überlebt man in dieser schrecklichen Welt nicht."
    "Ein bisschen Rampensau muss jeder sein, der auf die Bühne will."
    Eichler: "Ist es eigentlich notwendig, dass man so mit der Zeit – Sie sind ja schon lange auf der Bühne, auch schon während und vor dem Studium – muss man sich da langsam auch umstellen, um glaubhaft zu wirken?"
    Piechotta: "Ja, auf jeden Fall. Also ich kann Ihnen sagen, mit 13 habe ich mein erstes Lied geschrieben, das handelte von einer Sau, die hieß Erna und hatte ein Bein und heute schreibe ich Liebesduette. Also ich finde, da ist schon ein Sprung zu sehen, oder? Ich finde, ich habe mich echt emotional entwickelt. Ich merke, ich widme mich auch schon mal ernsthafteren Themen, wäre ja auch schlimm, wenn ich jetzt immer noch über eine "Ernasau" singen würde."
    Eichler: "Ihre Stärke ist eine gewisse, natürlich gespielte Naivität. Welches aber sind so die Sachen, die Sie über uns unbedingt erzählen wollen?"
    Piechotta: "Ist ja interessant, dass Sie sagen, das die gespielt ist... Nein, Quatsch... Man hat ja so ein bisschen seine Bühnenrolle, die man so findet. Und ich habe einfach Spaß, vielleicht so ein bisschen mit meinem Erscheinungsbild zu spielen, muss ich mal ehrlich zugeben, weil ich oft nach Konzerten gehört habe: Mensch, das hätte ich Dir gar nicht zugetraut. Und deshalb finde ich das ganz schön, ein bisschen mit dieser Erwartungshaltung zu brechen."
    Eichler: "Es gibt den Begriff "Rampensau" für jeden, der einen starken Zug zur Bühne hat, würden Sie den auch für sich in Anspruch nehmen?"
    Piechotta: "Och ja, so ein bisschen Rampensau muss jeder sein, der auf die Bühne will. Manchmal ist es mehr , manchmal weniger. Aber das ist klar, dass jeder ein bisschen Rampensau in sich hat."