Archiv


Musiktherapeuthische Zentrum in Heidelberg hilft bei Tinnitus

Ein Tinnitus kann zu schweren Beeinträchtigungen des Alltags führen: Schlafstörungen, Depressionen und Angst sind häufig die Folgen. Bei den meisten Patienten, die an Tinnitus leiden, ist zwar keine Heilung, aber eine bedeutsame Linderung des Problems möglich. Einen viel versprechenden Ansatz hat das Deutsche Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg entwickelt.

Von Jutta Becher |
    Es pfeift. Der Ton ist schrill und laut, und selbst wenn Thomas Volz sich die Ohren zuhält, wird der Lärm nicht leiser. Seit einer schweren Entzündung leidet der 38-jährige Konstrukteur unter chronischem Tinnitus.

    "Der Ton war so laut, dass ich mich auf nichts mehr konzentrieren konnte, ich deswegen unfähig war zu arbeiten. Das war etwas ganz neues und das hat so alles übertönt, man weiß gar nicht wohin und raus. "

    Thomas Volz musste krankgeschrieben werden. Eine normale Unterhaltung wurde unmöglich, häufig war Thomas Volz gereizt und unausgeglichen, litt unter Schlafmangel und Unkonzentriertheit. Suchte Rat bei Ärzten, ließ Hirnströme messen, nahm Medikamente. Vergebens.

    Bis ihm ein Freund von Musiktherapie erzählte. Tinnitusbehandlung mit Musik? "Das funktioniert bei meßbaren Sinustönen", sagt Professor Doktor Hans Volker Bolay, Leiter des Deutschen Zentrums für Musiktherapieforschung in Heidelberg.

    "Das Therapiekonzept unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Konzepten, weil wir nicht gegen den Tinnitus behandeln, sondern der Tinnitus ist für uns ein akustisches Phänomen. Musik ist ein akustisches Phänomen. Es geht darum, durch gezielte Übungen in der musiktherapeutischen Behandlung, diesen Hörprozess neuronal zu reorganisieren. Und das funktioniert eben so hervorragend. "

    Heilungschancen mit Musik bestehen bei den Patienten, die akut unter chronischem Tinnitus leiden, also mindestens ein halbes Jahr lang die Pfeifgeräusche im Ohr haben. Selbst, wenn die Geräusche schon über Jahre plagen, kann die Heidelberger Therapie helfen. Hirnforschungen haben gezeigt, dass bei Tinnituspatienten die Hörareale im Gehirn selbst dann aktiv sind, wenn kein Ton von außen wahrzunehmen ist. Der Lärm im Kopf– keineswegs also Einbildung.

    "Fiiiiiiiieeep!"

    Sondern Stress pur. Die Experten in Heidelberg setzen deshalb zunächst auf Entspannung. Musiktherapeutin Anne Nickel schickt ihren Patienten auf eine Klangreise – in die sie mittels Sinusgenerators den Tinnituston immer wieder einfließen lässt

    "Viele Patienten sind sehr auf negative Sachen konzentriert. Auf diesen Tinnitus, warum sie das haben und dass es ihnen nicht gut geht. Wir versuchen, an das Wohlbefinden anzuknüpfen. "

    Die angenehme Klangumgebung schafft positive Assoziationen: die Wahrnehmung des Pfeifens verändert sich. Unterstützt vom voluminösen Klang eines Gongs lernt der Patient dann, seinen Ton zu umsingen.

    "Wir schaffen uns dabei einen Klangteppich und Sie versuchen, den Ton zu singen. Wenn Sie bereit sind können Sie anfangen. Ich unterstütze Sie dann, Sie können Ihren Ton einfach mal singen und ich stimm dann ein. "

    "Es geht auch um Körperwahrnehmung, um Atmung, und die Resonanzräume im Körper zu spüren, wenn sie diesen Ton singen. Und auch die Töne, die der Gong zurückgibt. Und es geht darum, dass sie ihren Ton nach außen bringen. Dass sie sich nicht einfach als Opfer dieses Tones sehen, der quasi in ihrem Kopf entsteht, sondern dass sie den einfach nach außen produzieren, dass er hörbar wird und dass wir mit dem Ton dann auch arbeiten können"

    Die Heidelberger Musikbehandlung ist einzigartig in ganz Deutschland, von überall her kommen die Patienten. Jüngst wurde ein neues Konzept entwickelt, das die notwendigen zwölf Sitzungen, die sich bisher über drei Monate hinzogen, auf eine Woche komprimiert. Diplompsychologin Heike Argstatter:

    "Das Behandlungskonzept ist eine sehr trainingsbasierte Behandlung. Deswegen kam uns die Idee, dass man diese Trainingseinheiten auch in einer kürzeren Zeit absolvieren kann, was dann im Gehirn schneller zu dauerhaften Veränderungen führen könnte. Und die ersten Ergebnisse dieser Kurzzeittherapie sind wirklich genau die gleichen wie bei den zwölf-Wochen-Therapien. Das ist das erste Konzept, das auch wirklich nachweisbar einen lang anhaltenden Effekt mit so kurzer Behandlungsdauer hat."

    Das kann Thomas Volz nur bestätigen. Im Frühsommer hat er sich für eine Woche in Heidelberg ein Zimmer gemietet und an der Kurzzeittherapie teilgenommen; seither ist es in seinem Kopf viel ruhiger geworden


    "Ich kann den Ton jetzt wesentlich besser unter Kontrolle halten und es nervt mich nicht mehr so sehr. Er scheint schwächer geworden zu sein. Ich kanns nur wirklich jedem empfehlen, der so etwas hat: Ruf dort an, mach die Therapie, und versuch, dass du von dem Pfeifton runterkommst."


    Info:

    Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschun (DZM)
    Maaßstr. 26
    69123 Heidelberg
    Fon 06221 – 83 38 60
    Fax 06221 – 83 38 68
    E-Mail: dzm@fh-heidelberg.de

    Derzeit gibt es eine Warteliste; neue Patienten können sich anmelden, müssen sich aber zirka drei Monate lang gedulden.

    Krankenkassen übernehmen die Kosten nur in Einzelfällen. Notwendig ist auf jeden Fall eine Überweisung. Eine Therapiestunde in Heidelberg beläuft sich auf zirka 45 Euro.