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Musikunterricht bei Simon Rattle

Hinter der Bühne der Berliner Philharmoniker, herrscht gespannte Unruhe: ein junges, bunt zusammen gewürfeltes Orchester von Nachwuchsmusikern stimmt sich auf eine ungewöhnliche Aufführung ein:

Von Jacqueline Boysen | 05.11.2004
    Was ist deutsch für Chaos?

    Der Dirigent Simon Rattle hat zum 6. Schulorchestertreffen geladen, gleich wird er den Taktstock heben und mit Schülern den Satz einer Dvorak-Symphonie intonieren. Die 15-Jährige Julia will von Lampenfieber nichts wissen:

    Am Anfang ist es schon schwer, man muss sich rein finden, wenn man aber dann gespielt hat, ist es toll. Es macht Spaß, was zu lernen, auch vorzuspielen, einfach Spaß.

    Darin besteht doch der Reiz von Auftritten, lacht Posaunistin Raissa, 14

    Ich finde immer toll die Spanne zwischen erstem Mal spielen und der Aufführung. Am Anfang klingt's furchtbar, und dann ganz gut.

    Musiklehrer Johannes Rühl ist mindestens so aufgeregt wie seine Schüler.

    Ich glaub, die Schüler machen's gut, es ist ja so spannend mit einem großen Menschen, das putscht auf.

    Die erste Geige im improvisierten Schülerorchester spielt Eliah, der eigentlich Klavierspielen lernen wollte

    Meine Eltern dachten, ich hör dann nach zwei Wochen auf und dafür ist ein Klavier eine zu große Investition. Und dann blieb nur die Geige. Und nun las ich mich zum Berufsmusiker ausbilden.

    Der vierzehnjährige weiß es genau: er will Solo-Violinist werden

    Man muss sich auf manches verzichten, auch diszipliniert sein. Aber dass ich die Geige in die Ecke werfen wollte, das gibt's nicht.

    Vorerst muss Eliah lernen, dass sich der erste Geiger im Orchester erhebt, um dem Maestro die Hand zu geben. Simon Rattle verzeiht ihm den kleinen faux pas nicht nur, er legt bei seinem zweiten Anlauf auf das Podest den Arm so um die Schulter des Schülers, dass Eliah gar nicht anders kann, als die Bewegung aufzunehmen und wie ein Profi steht

    Mit den Schülern zusammen probt und spielt Solo-Kontrabassist Rudolf Watzl, der seine Musikbegeisterung weitergeben möchte

    Man darf den Zeigefinger nicht ... aber das passiert oft. Mein Sohn musste im Stimmbruch vorsingen, das verleidet die Musik.

    Watzl ist in verschiedenen Nachwuchsförderprogrammen der Berliner Philharmoniker engagiert - und er bewahrt die Erinnerung an seinen eigenen Einstieg in die Musik.

    Das erste Stück, das ich gespielt hab, war "Noch ein Bier für den Mann am Klavier".

    Entscheidend für ihn war der Moment, da er ein Akkordeon geschenkt bekam

    Ich hatte nie damit gerechnet, komme aus einer Arbeiterfamilie und noch heute bekomme ich Gänsehaut, bei der Erinnerung daran, es war ein Wunder.

    Die Begeisterung für Musik sei ansteckend, findet Schulorchester-Klarinettistin Victoria

    Für mich war es das größte Kompliment, als nach einer Aufführung eine Mitschülerin kam, und sagte, sie wolle das auch lernen, nun ist sie meine Schülerin

    Simon Rattle hat unterdessen das um Konzentration bemühte Juniororchester durch den Satz der Dvorak-Symphonie gelotst - ein lehrreiches Unterfangen für alle Beteiligten, meint er:

    Der ganze Prozess des Lernens ist lehrreich für uns alle. Wenn wir jungen Leuten nicht zuhören, machen wir einen großen Fehler. Zusammenarbeit ist das wichtigste - so bringt das Ganze Freude.