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Musizier-Inspiration vor jedem Laden

Volksmusik nicht auf der grünen Wiese, sondern mitten in der Stadt, vor idyllischer Kulisse. Mittlerweile reisen 70.000 Besucher und Musikgruppen aus allen Regionen der Welt zum Folkfestival in Rudolfstadt. Kunst hat hier Tradition: Berühmte Literaten wie Schiller und Goethe wirkten schon in der Stadt.

Von Eva Firzlaff | 04.07.2010
    Im Park an der Saale, im ausgedehnten Hof des Schlosses Heidecksburg, in der ganzen historischen Innenstadt wird immer am ersten Juli-Wochenende Musik gemacht. Die ganze Stadt feiert ein großes Fest. Und mit ihr 70.000 Besucher. Es herrscht eine fröhliche, ausgelassene Stimmung.

    "Es ist ein unglaublich entspanntes Verhältnis zwischen den Einheimischen und denjenigen, die aus allen Teilen Deutschlands und den Anrainer-Ländern kommen. Nebenbei: Wir haben keinen einzigen Landkreis Deutschlands, aus denen keine Vorbesteller von Dauerkarten kommen. Wir können wirklich sozusagen ganz Deutschland hier begrüßen. Auch merkliche Besucherzahlen von Holländern, Schweizern, Österreichern und Tschechen."

    Wolfram Böhme ist einer der Organisatoren. Das Festival gibt es so seit 20 Jahren. Doch seine Geschichte reicht weiter zurück, bis 1955.

    "Da nämlich wurde das erste Fest des Deutschen Volkstanzes hier in Rudolstadt veranstaltet. War zunächst so eine Art Begegnungsfestival von Ost- und Westdeutschland. Noch auch von dem Leitgedanken der baldigen Wiedervereinigung damals getragen, auch in beiden Teilen Deutschlands. Das kehrte sich dann um mit der Abkühlung des Verhältnisses der beiden deutschen Staaten zueinander. Und dann wurde das rasch eine Leistungsschau des Ostblocks, was Ensembletanz angeht."

    Nach der Wende interessierte das keinen mehr. So wurde überlegt, lässt man es einschlafen oder macht was Neues? Als alles im Umbruch war.

    "Es gab wenig fest Gefügtes und Ämter, die von vornherein ihr lautes Nein gesagt hätten. Also konnte man sich mit diesem Festival auch in die Stadt hinein ausbreiten. Davon profitieren wir noch heute, dass wir ein Festival sind, das eben nicht irgendwo auf der grünen Wiese abläuft, sondern mitten in der Stadt."

    Mittlerweile bewerben sich viel mehr Musiker, als ins Programm passen. Es gibt jeweils einen Länderschwerpunkt.

    ""Darüber hinaus versuchen wir, aus allen Regionen der Welt Bands zu holen und dabei aber auch die wesentlichen aktuellen Musizierweisen jeweils auch zu präsentieren."

    Und wer es nicht auf eine der offiziellen Bühnen schafft, ja der spielt eben in einem Hof, einem Garten, vor der Ladentür. Wie Ronald Kosellek mit seiner Gruppe "Fräulein Winkelmann" aus Berlin.

    "Du triffst hier Kollegen, du hast Eindrücke von anderen Musiken, denkst, so könntest du es vielleicht auch spielen. Oder man probiert schon mal direkt was aus, was man gehört hat. Also das geht hier rein und gleich wieder raus. Dieser Energielauf ist hier natürlich viele intensiver."

    "Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt.
    Heute muss die Glocke werden. Frisch Gesellen seid zur Hand..." Die Idee zu dieser Ballade soll Friedrich Schiller in Rudolstadt gekommen sein. In die Stadtkirche hatte der Blitz eingeschlagen und der neugierige Schiller stieg auf den Kirchturm, erzählt Pfarrer Manfred Göre.

    "Er hat die Glocke, diese alte "Osanna" gesehen, hat auch die Geschichte gehört, dass zur Einweihung dieser Kirche hier aus einer Kanone unsere größte Glocke gegossen wurde. Das ist ein Friedensakt gewesen, ein Friedensgebet."

    Mitten im 30-jährigen Krieg war das. In der Glockengießerei neben der Kirche hatte Schiller dann gesehen, wie eine Glocke gegossen wird.
    Auch im Gemeindehaus geht es heute hoch her.

    Wie kam Schiller überhaupt nach Rudolstadt? Er war in Weimar, um Goethe zu treffen, doch der war gerade auf Italien-Reise. Stattdessen begegnete er seiner späteren Frau Charlotte von Lengefeld, die lebte mit Mutter und Schwester eben in Rudolstadt. Das unscheinbare Haus der Lengefelds in der Schillerstraße beherbergt eine kleine Galerie. Ein Zimmer ist so eingerichtet, wie es damals gewesen sein könnte.
    Die Rudolstädter Altstadt steht so, wie sie zwischen 1500 und 1700 gewachsen ist. Doch eigentlich sollte sie gar nicht mehr da sein. Über Jahrzehnte ließ man sie verfallen. Der sozialistische Plan sah vor, um 1990 die Altstadt abzureißen. Einige Häuser zeigen noch, wie verrumpelt vor 20 Jahren die ganze Stadt aussah. Doch vieles ist saniert, strahlt in leuchtenden Farben. Sabine Christophersen:

    "Man hat in alten Akten nachgesehen. Das waren die Farben, die auch zur Entstehungszeit dieser Häuser schon vorhanden waren. Das hat natürlich in der Anfangszeit die Rudolstädter Bürger etwas schockiert, da ein ganz blaues Haus am Schlossberg zu sehen."

    Sie haben sich dran gewöhnt und das erste blaue Haus ist längst nicht mehr allein.
    Wir steigen schmale Gassen den Berg hoch, Treppenstufen, winklige Wege. Hoch zum gewaltigen Schloss Heidecksburg, das viel zu groß ist für die kleine Stadt.

    "Die Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt und später die Fürsten waren eine sehr Kunst und Kultur liebende Herrscherfamilie. Es ist übrigens das kleinste Fürstentum gewesen und man hat sich nie an großen Auseinandersetzungen beteiligt. Man hat alles, was an Geldern erübrigt werden konnte, in den Bau der Heidecksburg, des Theaters und in die Förderung der Künste in der Stadt gesteckt."

    Das Prächtigste im Schloss ist der Barock-Festsaal. Der erste Theaterdirektor war kein anderer als Johann Wolfgang v. Goethe. Heute gibt der weite Innenhof des Schlosses eine wundervolle Kulisse für Musiker aus der ganzen Welt.

    Weitere Informationen zum Folk-Roots-Weltmusik-Festival:
    TFF-Festival Rudolfstadt