Der Weg vom benachbarten Städtchen Totnes nach Dartington führt immer nach oben. Auf einer wenig befahrenen, geschwungenen Straße läuft man in sanften Wellen bergauf – mitten durch die Natur mit ihren unzähligen Grüntönen, vorbei am ruhigem Dart River, an saftigen Wiesen und uralten Bäumen. Der Blick schweift über die sanften Hügel Devons, in die Nase steigt der Duft von wildem Knoblauch und mediterranem Jasmin – das Herbe und das Süßliche verbinden sich zu einer typisch englischen Mischung. Die Luft ist feucht, manchmal schwer, oft aber erfrischend. An klaren Tagen, wenn die Sonne scheint, sind Umrisse und Farben so gestochen scharf und konturiert, dass jeder Blick in die Umgebung ein neues, bezauberndes Bild des englischen Landschaftsgartens einfängt.
Auf dem Dartington-Estate angekommen sieht man als Erstes einige flache, bauhausähnliche Gebäudegruppen. Dahinter steht man nach wenigen Schritten vor dem Mittelpunkt des riesigen Anwesens, einem beeindruckenden gotischen Ensemble aus dem 14. Jahrhundert, das sich im grauen Viereck um einen großzügigen Rosen überwucherten Innenhof ordnet. Der Leiter der Summer School of Music, Gavin Henderson, ist in Dartington zuhause.
"Was wir heute hier sehen, ist eine Gebäudegruppe, die sich seit dem Mittelalter kaum verändert hat. Um den Innenhof herum ist nach und nach das ganze Anwesen entstanden, das das Millionärs-Ehepaar Elmhirst Mitte der zwanziger Jahre gekauft hat. Sie haben die mittelalterlichen Gebäude erhalten, aber auch viele moderne Bauhaus-Architekten hier bauen lassen. Doch findet man noch eine andere, etwas schizophren wirkende Seite. Geht man diesen Weg hinunter, entdeckt man auf der einen Seite moderne, kubistische Gebäude in weiß, auf der anderen Seite aber eher rustikale, bäuerliche Cottages, die aussehen, als seien sie im 18. Jahrhundert gebaut worden. Tatsächlich aber wurde alles zur gleichen Zeit errichtet, nämlich in den zwanziger und dreißiger Jahren."
In dieser Zeit wurde auch der Garten angelegt – weit geschwungene Grünflächen mit wertvollen alten Bäumen und Pflanzen, Rasenplätzen und Liegewiesen. Der begrünte Turnierplatz, eingefasst von Rasenterassen und den "12 Aposteln", einer Reihe vasenförmig geschnittener Eiben, lädt zum Verweilen ein, genau wie die verstreut liegenden Brunnen und hölzernen Gartenhäuschen. Überall gibt es weite Durchblicke in die umgebende Natur, quasi eine Verlängerung der Gartenarchitektur und immer wieder wandert der Blick auf den zentralen Courtyard. Der Eingang zur berühmten Great Hall, der Großen Halle mit ihrer besonderen Akustik, schiebt sich turmartig vor die Fassade mit den hohen Spitzbogenfenstern – es ist eine beeindruckende, aber keineswegs monumentale Architektur.
"Im Mittelalter war Dartington ein sehr nobles Anwesen. Besucher, die durch den Bogengang in die Große Halle traten, bewunderten die Architektur und dachten oft, das müsse ein wundervolles Kloster oder eine Abtei sein. Aber Dartington war immer ein säkularer Ort. Angelegt wurde das Ensemble um die Große Halle für John Holand, den Bruder Richard des Zweiten – für Turniere und Spiele. Die Große Halle selbst diente bei Festen zum Feiern und Essen. Und auf dem gesamten Anwesen wurde gejagt und sich bei Feierlichkeiten und Hochzeiten vergnügt. Alle, die immer von der Spiritualität Dartingtons schwärmen, irren sich. Dartington war niemals ein religiöser Ort."
Trotz der ausgesprochenen Schönheit und Ruhe ist Dartington auch heute alles andere als weltfern. Unter der sieben Meter hohen, Holz verschalten, rosettenförmig zulaufenden Decke der Großen Halle trifft sich täglich der Laienchor und auch sonst werden die alten Räumlichkeiten oft für Konzerte und musikalische Proben genutzt – vor allem im Sommer, der in Dartington ganz im Zeichen der Musik steht.
In dieser Zeit vibrieren Garten, Große Halle und Studios vor Geschäftigkeit; überall hört man Klänge und Gesang, überall wird geübt und geprobt, Musiker schleppen ihre Instrumente von einem Gebäude zum nächsten oder sitzen in der Sonne auf dem Rasen und diskutieren ihre Übungen. In einem der modernen Studios haben sich fünfzehn Musiker zum Big-Band-Salsa-Kurs versammelt, der von Mark Donlon und Jonny Gee geleitet wird.
"Es ist wirklich ein wunderschöner Ort, um hier zu arbeiten. Die harmonische Umgebung ist der Kreativität sehr zuträglich. Besonders jetzt im Sommer, fühlen wir uns ein bisschen wie in den Ferien. Aber es wird trotzdem sehr hart gearbeitet. Es sind sehr unterschiedliche Musiker aus den verschiedensten Bereichen hier und viele beginnen auch, in ihnen ganz fremden musikalischen Welten einzutauchen. Ich glaube, jeder der hier her kommt, lernt etwas, was er wahrscheinlich nicht erwartet hat.
Wir alle essen zusammen, Studenten, Lehrer, Teilnehmer, Leute, die manchmal nur zuhören, Professionelle, Amateure, junge und ältere Leute – alles vermischt sich hier in einer ganz entspannten Art und Weise. Das zeitigt einen enormen Effekt auf das gemeinsame Musikmachen. Es bedeutet, dass wir eine ganz offene und warme Atmosphäre haben, die der Kreativität sehr zuträglich ist, aber auch eine gute Grundlage bildet für ernsthafte Arbeit."
Eine Gemeinschaft auf Zeit zusammenbringen, einfach durch die Freude am Musikmachen – und zwar auf allen Niveaus – so funktioniert die Summer School in guter alter Dartington-Tradition seit fast 60 Jahren, erzählt Gavin Henderson.
"Viele denken, die Amateure verderben alles, man muss sie eigentlich in den Kursen von den Profis trennen – aber so ist es nicht. Wir haben hier während der Sommerzeit wirklich eine ungewöhnliche Gemeinschaft, wir essen, trinken, wohnen und musizieren zusammen. Alles wird von einem außergewöhnlichen Geist belebt.
Ein ziemlich bekannter Politiker fragte mich einmal, was das Geheimnis dieses Ortes sei und ich antwortete, well, ich glaube, wir haben hier eine Art 'kommunistischer Zelle’. Alle sind zu den gleichen Bedingungen da, alle Künstler werden gleich bezahlt, egal wie berühmt sie sind. Man könnte also sagen, kommunistische Gemeinschaften können funktionieren, wenn sie auf einige Wochen begrenzt sind."
Vielleicht liegt das Glück dieser temporären Gemeinschaft auch daran, dass man sich hier hervorragend aus dem Weg gehen kann. Stundenlang lässt es sich auf dem über 300 Hektar großen Anwesen herumwandern, vorbei an der verwitterten Skulptur Henry Moores, eine 'Liegende’ mit ausladendem Körper und kleinem Kopf; vorbei an dem kubistischen High Cross Haus in weiß und blau und ehemaligen Schulgebäuden. Nach zwei Kilometern gen Norden gelangt man zum Cider Press Center, wo noch immer der berühmte Apfelwein produziert und verkauft wird. Heute ist das Zentrum mit seinen kleinen, malerischen Häusern, Geschäften und Restaurants ein erfolgreiches, kommerziell eigenständiges Unternehmen.
In den zwanziger und dreißiger Jahren jedoch gehörten die hier beschäftigten Landarbeiter zu dem seiner Zeit wohl progressivste Projekt Englands 'Dartington Hall’. In dem verbanden sich lebensreformatorische, landwirtschaftliche, künstlerische und pädagogische Tätigkeiten zu einer – selbst für heutige Verhältnisse – exzentrischen Mischung. Damals wurde auf dem Anwesen neben der Weinproduktion auch Ackerbau, Webereien und Töpfereien betrieben, während ein paar Hundert Meter weiter im Garten Künstler Tanz- und Theaterstücke probten und eine Handvoll Grundschüler nackt im Fluss baden gingen.
Heute geht es nicht mehr ganz so ungewöhnlich zu in Dartington. Neben der Summerschool gab es bis zum letzten Jahr noch ein kleines, über die Grenzen Großbritanniens hinaus berühmtes Kunst-College, in dem 500 Studierende ihre kreativen Ideen ausleben durften. Joe Richards hat dort Drama unterrichtet und wenn er, wie jetzt im Sommer, gelegentlich nach Dartington zurückkehrt, erinnert er sich.
"Dartington erscheint mir immer wie ein "lovely nest"; bis heute kann man hier nicht einmal eine Zeitung kaufen. Wenn etwas Schlimmes passiert ist und in den Nachrichten erschien, habe ich meine Studenten manchmal gefragt: habt ihr das überhaupt realisiert und wahrgenommen? Ganz früher konnte man hier noch die armseligen Häuser der Arbeiter sehen, die Welt war irgendwie präsent und nicht nur dort 'draußen’ und 'wo anders’. Ja, die Leute nennen Dartington oft 'a bubble’, eine 'Blase’ – und in einer gewissen Weise haben sie recht damit."
Auf dem Dartington-Estate angekommen sieht man als Erstes einige flache, bauhausähnliche Gebäudegruppen. Dahinter steht man nach wenigen Schritten vor dem Mittelpunkt des riesigen Anwesens, einem beeindruckenden gotischen Ensemble aus dem 14. Jahrhundert, das sich im grauen Viereck um einen großzügigen Rosen überwucherten Innenhof ordnet. Der Leiter der Summer School of Music, Gavin Henderson, ist in Dartington zuhause.
"Was wir heute hier sehen, ist eine Gebäudegruppe, die sich seit dem Mittelalter kaum verändert hat. Um den Innenhof herum ist nach und nach das ganze Anwesen entstanden, das das Millionärs-Ehepaar Elmhirst Mitte der zwanziger Jahre gekauft hat. Sie haben die mittelalterlichen Gebäude erhalten, aber auch viele moderne Bauhaus-Architekten hier bauen lassen. Doch findet man noch eine andere, etwas schizophren wirkende Seite. Geht man diesen Weg hinunter, entdeckt man auf der einen Seite moderne, kubistische Gebäude in weiß, auf der anderen Seite aber eher rustikale, bäuerliche Cottages, die aussehen, als seien sie im 18. Jahrhundert gebaut worden. Tatsächlich aber wurde alles zur gleichen Zeit errichtet, nämlich in den zwanziger und dreißiger Jahren."
In dieser Zeit wurde auch der Garten angelegt – weit geschwungene Grünflächen mit wertvollen alten Bäumen und Pflanzen, Rasenplätzen und Liegewiesen. Der begrünte Turnierplatz, eingefasst von Rasenterassen und den "12 Aposteln", einer Reihe vasenförmig geschnittener Eiben, lädt zum Verweilen ein, genau wie die verstreut liegenden Brunnen und hölzernen Gartenhäuschen. Überall gibt es weite Durchblicke in die umgebende Natur, quasi eine Verlängerung der Gartenarchitektur und immer wieder wandert der Blick auf den zentralen Courtyard. Der Eingang zur berühmten Great Hall, der Großen Halle mit ihrer besonderen Akustik, schiebt sich turmartig vor die Fassade mit den hohen Spitzbogenfenstern – es ist eine beeindruckende, aber keineswegs monumentale Architektur.
"Im Mittelalter war Dartington ein sehr nobles Anwesen. Besucher, die durch den Bogengang in die Große Halle traten, bewunderten die Architektur und dachten oft, das müsse ein wundervolles Kloster oder eine Abtei sein. Aber Dartington war immer ein säkularer Ort. Angelegt wurde das Ensemble um die Große Halle für John Holand, den Bruder Richard des Zweiten – für Turniere und Spiele. Die Große Halle selbst diente bei Festen zum Feiern und Essen. Und auf dem gesamten Anwesen wurde gejagt und sich bei Feierlichkeiten und Hochzeiten vergnügt. Alle, die immer von der Spiritualität Dartingtons schwärmen, irren sich. Dartington war niemals ein religiöser Ort."
Trotz der ausgesprochenen Schönheit und Ruhe ist Dartington auch heute alles andere als weltfern. Unter der sieben Meter hohen, Holz verschalten, rosettenförmig zulaufenden Decke der Großen Halle trifft sich täglich der Laienchor und auch sonst werden die alten Räumlichkeiten oft für Konzerte und musikalische Proben genutzt – vor allem im Sommer, der in Dartington ganz im Zeichen der Musik steht.
In dieser Zeit vibrieren Garten, Große Halle und Studios vor Geschäftigkeit; überall hört man Klänge und Gesang, überall wird geübt und geprobt, Musiker schleppen ihre Instrumente von einem Gebäude zum nächsten oder sitzen in der Sonne auf dem Rasen und diskutieren ihre Übungen. In einem der modernen Studios haben sich fünfzehn Musiker zum Big-Band-Salsa-Kurs versammelt, der von Mark Donlon und Jonny Gee geleitet wird.
"Es ist wirklich ein wunderschöner Ort, um hier zu arbeiten. Die harmonische Umgebung ist der Kreativität sehr zuträglich. Besonders jetzt im Sommer, fühlen wir uns ein bisschen wie in den Ferien. Aber es wird trotzdem sehr hart gearbeitet. Es sind sehr unterschiedliche Musiker aus den verschiedensten Bereichen hier und viele beginnen auch, in ihnen ganz fremden musikalischen Welten einzutauchen. Ich glaube, jeder der hier her kommt, lernt etwas, was er wahrscheinlich nicht erwartet hat.
Wir alle essen zusammen, Studenten, Lehrer, Teilnehmer, Leute, die manchmal nur zuhören, Professionelle, Amateure, junge und ältere Leute – alles vermischt sich hier in einer ganz entspannten Art und Weise. Das zeitigt einen enormen Effekt auf das gemeinsame Musikmachen. Es bedeutet, dass wir eine ganz offene und warme Atmosphäre haben, die der Kreativität sehr zuträglich ist, aber auch eine gute Grundlage bildet für ernsthafte Arbeit."
Eine Gemeinschaft auf Zeit zusammenbringen, einfach durch die Freude am Musikmachen – und zwar auf allen Niveaus – so funktioniert die Summer School in guter alter Dartington-Tradition seit fast 60 Jahren, erzählt Gavin Henderson.
"Viele denken, die Amateure verderben alles, man muss sie eigentlich in den Kursen von den Profis trennen – aber so ist es nicht. Wir haben hier während der Sommerzeit wirklich eine ungewöhnliche Gemeinschaft, wir essen, trinken, wohnen und musizieren zusammen. Alles wird von einem außergewöhnlichen Geist belebt.
Ein ziemlich bekannter Politiker fragte mich einmal, was das Geheimnis dieses Ortes sei und ich antwortete, well, ich glaube, wir haben hier eine Art 'kommunistischer Zelle’. Alle sind zu den gleichen Bedingungen da, alle Künstler werden gleich bezahlt, egal wie berühmt sie sind. Man könnte also sagen, kommunistische Gemeinschaften können funktionieren, wenn sie auf einige Wochen begrenzt sind."
Vielleicht liegt das Glück dieser temporären Gemeinschaft auch daran, dass man sich hier hervorragend aus dem Weg gehen kann. Stundenlang lässt es sich auf dem über 300 Hektar großen Anwesen herumwandern, vorbei an der verwitterten Skulptur Henry Moores, eine 'Liegende’ mit ausladendem Körper und kleinem Kopf; vorbei an dem kubistischen High Cross Haus in weiß und blau und ehemaligen Schulgebäuden. Nach zwei Kilometern gen Norden gelangt man zum Cider Press Center, wo noch immer der berühmte Apfelwein produziert und verkauft wird. Heute ist das Zentrum mit seinen kleinen, malerischen Häusern, Geschäften und Restaurants ein erfolgreiches, kommerziell eigenständiges Unternehmen.
In den zwanziger und dreißiger Jahren jedoch gehörten die hier beschäftigten Landarbeiter zu dem seiner Zeit wohl progressivste Projekt Englands 'Dartington Hall’. In dem verbanden sich lebensreformatorische, landwirtschaftliche, künstlerische und pädagogische Tätigkeiten zu einer – selbst für heutige Verhältnisse – exzentrischen Mischung. Damals wurde auf dem Anwesen neben der Weinproduktion auch Ackerbau, Webereien und Töpfereien betrieben, während ein paar Hundert Meter weiter im Garten Künstler Tanz- und Theaterstücke probten und eine Handvoll Grundschüler nackt im Fluss baden gingen.
Heute geht es nicht mehr ganz so ungewöhnlich zu in Dartington. Neben der Summerschool gab es bis zum letzten Jahr noch ein kleines, über die Grenzen Großbritanniens hinaus berühmtes Kunst-College, in dem 500 Studierende ihre kreativen Ideen ausleben durften. Joe Richards hat dort Drama unterrichtet und wenn er, wie jetzt im Sommer, gelegentlich nach Dartington zurückkehrt, erinnert er sich.
"Dartington erscheint mir immer wie ein "lovely nest"; bis heute kann man hier nicht einmal eine Zeitung kaufen. Wenn etwas Schlimmes passiert ist und in den Nachrichten erschien, habe ich meine Studenten manchmal gefragt: habt ihr das überhaupt realisiert und wahrgenommen? Ganz früher konnte man hier noch die armseligen Häuser der Arbeiter sehen, die Welt war irgendwie präsent und nicht nur dort 'draußen’ und 'wo anders’. Ja, die Leute nennen Dartington oft 'a bubble’, eine 'Blase’ – und in einer gewissen Weise haben sie recht damit."