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Muskeln per Mausklick

Potenzmittel, Haarwuchs-und Schlankheitsmittel. Das sind sogenannte Live-Style Medikamente. Sie stehen bei Abnehmern weltweit hoch im Kurs und werden daher oft gefälscht und illegal vertrieben. Genau wie Anabolika und andere Dopingsubstanzen. Sie machen ein Drittel bis die Hälfte der sichergestellten illegalen Arzneimittel aus. Tendenz steigend. Das geht aus der Jahresbilanz hervor, die der Zollfahndungsdienst jetzt vorgelegt hat. Doping mit illegalen Arzneimitteln - Ein großes Problem für den Freizeit- und Breitensport.

Von Andrea Schültke | 02.04.2011
    Ein Zimmer in einer Mietwohnung. Auf dem Boden verteilt: Kartons mit Anabolika, leere Ampullen und Plastikdosen mit weißem Pulver. Ein Schreibtisch. Darauf ein wildes Durcheinander: Zwischen Getränkedosen und Klebeband – Flaschen mit Arzneirohstoffen und frisch gedruckte Etiketten. Außerdem: eine Waage, Abfülltrichter, Tabletten-Hülsen und Einwegspritzen. Die Mietwohnung – ein Anabolika – Untergrundlabor. Zu sehen auf einem Video der Zollfahndung Frankfurt. Die hat das Labor zerschlagen. Der Verkauf der illegalen Dopingmittel lief über das Internet an Abnehmer in ganz Europa. Nur ein Beispiel für ein weltweites Problem.

    Der Handel mit illegalen Arznei- und Dopingmitteln boomt. Rüdiger Hagen vom Zollkriminalamt Köln nennt die Zahlen für Deutschland:

    "Im Jahr 2005 haben wir noch 500.000 Tabletten sichergestellt, im Jahr 2010 lag das schon bei über 5 Millionen Stück Arzneimittel und da lag der Anteil der Anabolika über 3 Millionen Stück und 14 Millionen Ampullen Anabolika, also die Steigerungen sind da ganz, ganz deutlich gewesen in den vergangenen Jahren."

    Die Hauptursache: der Internethandel. Das anonyme Geschäft mit den Muskelmachern per Mausklick ist äußerst lukrativ. Studien belegen Gewinnspannen von bis zu 4.000 Prozent. Mehr als im Rauschgifthandel. Für den Konsumenten aber ähnlich gefährlich. Harald Schweim, Pharmazeut und Professor für Arzneimittelzulassungslehre an der Universität Bonn:

    "Die in Anführungsstrichen härtesten Dopingmittel wie z.B. Hormone greifen massiv in den Hormonhaushalt des Menschen ein. Nehmen wir mal an Sie dopen sich mit geeigneten Testosteronspritzen, dann geht das in die Richtung Aggressivität, das geht in die Richtung Persönlichkeitsveränderungen durch die Hormone, aber auch schwere Veränderungen an den Organen, bis hin zu Schrumpfen der Hoden, Verlust der Zeugungsfähigkeit und ähnlichen Dingen."

    Die Käufergruppe illegaler Dopingmittel hat sich gewandelt:

    "War es früher der Bodybuilder, so haben wir jetzt auch andere Sportbereiche, die eine Rolle spielen, sei es der Freizeitmarathonläufer oder Radsportler, der gelegentlich zu solchen Mitteln greift."

    Studien über die Anzahl der Dopingkonsumenten im Freizeitsport gibt es nicht. Die neueste Befragung unter Mitgliedern in deutschen Fitnessstudios kommt zu dem Ergebnis, dass jeder zehnte Studio-Besucher zu Dopingmitteln greift.

    Es fehle belastbares Zahlenmaterial sagt der Deutsche Olympische Sportbund auf Nachfrage zum Thema Doping im Breitensport. Der DOSB verweist auf seine Aufklärungsaktion in Sachen Medikamentenmissbrauch. Was den Missbrauch von Anabolika im Freizeitsport angeht heißt es aus Frankfurt: "Thema erkannt - wir sind dran".

    Doping im Freizeitsport ist ein ernsthaftes Problem. Hauptursache, das Internet:
    Firmen mit dem Spezialgebiet Anabolika-Schmuggel gibt es dort viele. Große und Kleine. Lieferung und Bezahlung erfolgt oft sogar ganz anonym an Packstationen der Kurierdienste.

    Ein großer Ermittlungserfolg gelang der Frankfurter Zollfahndung im vergangenen Jahr: nach Hinweisen des österreichischen Bundeskriminalamts konnten die Ermittler "International Pharamceuticals" zerschlagen. Das offenbar älteste und bekannteste Doping-Untergrundlabor Europas. In einem Lager in Hessen wurden die Zollfahnder fündig.

    "Vermutlich handelt es sich sogar um den weltweit größten Einzelaufgriff in diesem Bereich, drei Millionen Tabletten und 14 Millionen Ampullen."

    Die Köpfe von "International Pharamceuticals" sind der Österreicher Paul R. und der Deutsche Lothar H., erklärt Ermittler Andreas Holzer vom Bundeskriminalamt Österreich gegenüber dem DLF. Beide stammen aus der Kraftsportszene, Experten mit hohem Fachwissen. Sie haben gestanden, die Verfasser des sogenannten "Schwarzen Buches" zu sein, so Holzer.

    Das "schwarze Buch" ist so etwas wie die Bibel der Doper. Hier finden sich genaue Einnahmeanweisungen, sogenannte "Kur-Pläne" für jedes Trainingsziel vom Profi-Bodybuilder bis hin zum Hobby-Kraftsportler. Und: das Buch preist neben anderen vor allem die illegalen Produkte von International Pharmaceuticals an. Werbung in eigener Sache. Ein weiteres Erfolgsrezept: Überdosierung:

    "Das haben die ganz bewusst gemacht, um Kundenbindung zu erzielen, damit der mutmaßliche Konsument sagt, das, was ich bestellt hab, wirkt ja so klasse, da bleib ich dabei und beim nächsten Mal bestell ich da wieder."
    Das hat im Fall International Pharmaceuticals mehr als 20 Jahre funktioniert.

    Die Hauptverhandlung gegen den Deutschen Kopf der Firma, Lothar H. beginnt nach DLF Informationen in der kommenden Woche. Lothar H. drohen bis zu 10 Jahren Haft.

    Auch in Österreich hat die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Ermittlungen gegen zwei Tatverdächtige Anklage erhoben.
    Trotz dieses Ermittlungserfolges bleiben die Fahnder in Österreich und Deutschland realistisch: "Wenn die einen enttarnt sind, steigen andere ein", sagt Andreas Holzer, weil das Geschäft so lukrativ ist.
    Der Markt ist da, sind sich die Ermittler länderübergreifend einig. Skrupellose Geschäftemacher gewinnen – Verlierer sind die Abnehmer und die Allgemeinheit: Harald Schweim:


    Es kann zu Knochenbrüchen, es kann zu Frakturen kommen, es gibt einige von den Mitteln, die im Übermaß zu Krebs führen können und zu jahrelangem Siechtum, was dann durch den Reparaturbetrieb der Krankenkassen, der Krankenhäuser des ärztlichen Dienstes wieder in Ordnung gebracht werden muss.
    Wir können ja nicht sagen, weil diese Menschen einmal dumm waren und diese Mittel eingenommen haben, kümmern wir uns nicht um ihre Gesundheit.


    Wir kümmern uns. Doping-Kranke tauchen in keiner Kassenstatistik auf. Denn kein Doping-Patient nennt seinem Arzt die wahre Ursache seiner Krankheit. Schließlich soll niemand ihm Eigenverschulden nachweisen. So belasten die Freizeit-Doper die Allgemeinheit.
    Wir kümmern uns - und tragen die Kosten des Dopings im Freizeitsport.