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Muslime in Deutschland
Wo steht der deutsche Islam?

In Frankfurt haben sich Experten getroffen, die die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, längst hinter sich gelassen haben. Entscheidend für sie ist, von welchem Islam die Rede ist. Die Hoffnungen ruhen auf liberalen Muslimen, humanistischen Gläubigen und auf Mystikern.

Von Ludger Fittkau | 02.05.2016
    Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
    Ein geistiger Neuanfang für einen modernen Islam in Deutschland soll insbesondere in den Schulen und Universitäten gelingen. (dpa / Oliver Berg)
    Kulturmuslime – so nennt Susanne Schröter die wohl größte Bevölkerungsgruppe mit islamischem Hintergrund in Deutschland. Susanne Schröter ist die Direktorin des Forschungszentrums "Globaler Islam" an der Uni Frankfurt am Main. Sie hat die Konferenz zu der Frage organisiert, welcher Islam zu Deutschland gehört. Kulturmuslime sind für sie Muslime,...
    "... die sich zu ihrer Religion nicht anders verhalten als viele Christen, die nur Weihnachten einmal in die Kirche gehen und sich ansonsten in ihrem Leben mit ganz anderen Dingen beschäftigen. Ich würde vermuten, dass es die Mehrheit der Muslime in Deutschland ist."
    Für weitaus größeres Aufsehen als Kulturmuslime oder friedlich-fromme Konservative sorgen zurzeit Salafisten oder gar Dschihadisten, obwohl zu diesen besonders umstrittenen Gruppen lediglich rund zwei Prozent der Muslime in Deutschland zählen. Liberale Gemeinschaften oder Mystiker ergänzen das breite Spektrum des Islams hierzulande. Gerade diese oft noch kleinen Gruppen hält Susanne Schröter für die Suche nach einem "deutschen Islam" für wichtig.
    "Und dann haben wir natürlich viele neue Stimmen aus dem islamischen Spektrum. Unter anderem von den Hochschulen, von den neu eingerichteten Lehrstühlen für islamische Theologie. Da kommen sehr interessante Gedanken, die glaube ich, nicht nur Muslime interessieren sollten, sondern auch den Rest der Gesellschaft."
    Dialogischer Gott auf Augenhöhe
    Für einen "humanistischen Islam" in Deutschland plädierte in der Frankfurter Konferenz etwa Mouhanad Khorchide, der Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Uni Münster. Er lehnt ein autoritäres Gottesverständnis ab, das Gläubige bevormundet – womöglich sogar aufgrund politischer Machtinteressen.
    "Der Islam, wie ich ihn verstehe und für den ich mich stark mache, beschreibt die Gott-Mensch-Beziehung völlig anders, nämlich als eine partnerschaftliche Beziehung. Weder will Gott den Menschen bevormunden, noch soll sich der Mensch für göttlich halten. Deswegen ist Gott ein Humanist, er ist den Menschen bedingungslos zugewandt."
    Khorchide will einen dialogischen Gott auf Augenhöhe mit den Menschen, den Koran sieht er als eine Einladung zum direkten Zwiegespräch des Lesenden mit Gott, ohne zwischengeschaltete Autoritäten und professionelle Exegeten. Diese Theologie erinnert stark an die christliche Reformation. Hamideh Mohagheghi geht historisch noch ein bisschen weiter zurück. Die Mitarbeiterin des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften für die islamische Theologie an der Uni Paderborn wies darauf hin, dass der Islam bereits im Mittelalter einen bedeutenden kulturellen Beitrag zur Entwicklung Europas leistete, indem er die Schriften der antiken griechischen Philosophen wie Aristoteles im Okzident verbreitet habe. Das Abendland seit deshalb nicht nur christlich und jüdisch geprägt, so Hamideh Mohagheghi. Die geistige Stagnation des Islam habe erst im 15. Jahrhundert eingesetzt.
    "Den Hauptgrund dieser Stagnation und ihrer aktuellen Folgen bringt Navid Kermani in einem Interview auf den Punkt. Zitat: 'Es ist ein Missverständnis zu glauben, der Islam müsse erst einmal in der Moderne ankommen. Der Fundamentalismus wende sich gerade gegen die Tradition und will sie abschaffen. Dabei wird aber eine 1.400-jährige Deutungsgeschichte negiert.'"
    Uneinigkeiten zwischen DITIB und liberalen Vertretern
    Ein geistiger Neuanfang für einen modernen Islam in Deutschland soll insbesondere in den Schulen und Universitäten gelingen. Doch die Vertreter eines liberalen Islams sind etwa bei der Formulierung von Curricula für den islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen mit einem Verband wie DITIB konfrontiert. Dieser Verband mit rund 900 Moscheen hierzulande steht unter starkem Einfluss Erdogan-Partei AKP in der Türkei. Basam Tibi nannte in Frankfurt die AKP "islamistisch", sie sei nicht mehr "islamisch-konservativ." DITIB wiederum betrachte den islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen vor allem als eine Art Vorbereitungskurs für den Besuch in den eigenen, maßgeblich von der Türkei finanzierten Moscheen. Das machte bei der Frankfurter Veranstaltung Rabeya Müller deutlich. Die Islamwissenschaftlerin aus der Eifel ist Vorstandmitglied des Liberal-Islamischen Bundes - kurz LIB.
    "Ich denke, es wäre wichtig, tatsächlich hinzugehen und eine Unterscheidung zu machen zwischen katechetischer Moscheedidaktik und einem ergebnisoffenen Religionsunterricht in der Schule, der natürlich einer Schuldidaktik entsprechen muss. Und ich glaube, je mehr wir versuchen, das dogmatisch zu steuern, umso weniger wird am Ende das Ergebnis dabei herauskommen, was sich viele davon versprechen."
    Islam in einer menschenfreundlichereren Gestalt
    Fazit der Frankfurter Veranstaltung: Ein "deutscher Islam" muss nicht nur grundgesetzkonform und friedliebend sein sowie in der Moschee in deutscher Sprache agieren. Er muss auch wieder eine undogmatischere und menschenfreundlichere Gestalt bekommen sowie von fremden Staaten unabhängig werden. Die aktuell wichtigsten Impulse für diese Reform bieten wohl die Zentren für islamische Theologie an den deutschen Hochschulen sowie noch kleine, aber geistig umtriebige liberale Verbände.