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Muslime und Christen
Als Ordensmann im Irak

Der Vielvölkerstaat Irak ist von ethnischen und konfessionellen Konflikten geprägt. Schiiten kämpfen gegen Sunniten, Christen im Land mussten zu Tausenden fliehen. Obwohl die Terrormiliz "Islamischer Staat" im Land wütet hat ein katholischer Ordensmann vor wenigen Jahren dort ein Kloster gegründet. Sein Ziel: die Versöhnung zwischen Christen und Muslimen.

Von Sandra Stalinski | 15.03.2017
    Besucher besteigen den Berg zum syrischen Kloster Deir Mar Musa, 80 km nördlich von Damaskus
    Besucher besteigen den Berg zum syrischen Kloster Deir Mar Musa, 80 km nördlich von Damaskus (AFP PHOTO/LOUAI BESHARA )
    Eigentlich hatte Jens Petzold mit Kirche nichts am Hut. Der heute 55-Jährige* stammt aus einer atheistischen Familie aus Berlin. Doch mit 30 - er war gerade erst Postbeamter geworden - merkte er, dass ihm etwas fehlt. Nur mit einem Rucksack bepackt begab er sich auf eine Reise Richtung Fernost, auf der Suche nach Sinn und Spiritualität. Er kam allerdings nur bis Syrien, wo er durch Zufall das Wüstenkloster Mar Musa kennenlernt, "Kloster des Heiligen Moses".
    "Dann war dort Pater Paolo Dall'Oglio, unser Gründer, und als ich weggehe, sagt er: Ich sag dir nicht 'Auf Wiedersehen', denn morgen kommst du ja wieder. Dann kam ich wieder und ganz langsam hat mich diese Gemeinschaft interessiert. Ich hab gemerkt, sie hat etwas Spezielles, sie war eine Gemeinschaft, die für den Islam betet, die mit dem Islam sehr solidarisch ist - und das hab ich den Katholiken nicht zugetraut", sagt Jens Petzold.
    Die Gemeinschaft Deir Mar Musa sagt von sich selbst, ihre Berufung sei die Liebe zu Muslimen und zum Islam. Gerade mal zehn Frauen und Männer gehören ihr heute an, doch das Kloster Mar Musa ist zu einer weltweit bekannten Begegnungsstätte geworden - ein Symbol für christlich-muslimisches Zusammenleben.
    Jens Petzold war fasziniert von der Offenheit und der Gastfreundschaft, der Gemeinschaft und entschied sich zu bleiben. Bald ließ er sich taufen, studierte Theologie und Philosophie in Rom und wurde im chaldäisch-katholischen Ritus zum Priester geweiht. 2011 wird er von seinem Orden in den Nordirak gesandt: In der Großstadt Sulaimaniyya soll er ein neues Kloster eröffnen, das Kloster der Jungfrau Maria. Auch hier soll ein Ort der Begegnung und Versöhnung verschiedener Religionen entstehen. Doch als 2014 der IS immer näher kam, hatte erst mal etwas anderes Priorität:
    "Sicher in Kurdistan"
    "Wir haben angefangen, die alte Pfarrkirche zu restaurieren und am 7. August 2014 haben wir ganz früh am Morgen erfahren, dass Karakosch überrannt war. Da war für uns klar, jetzt müssen wir Matratzen kaufen, Reis einkaufen und uns vorbereiten auf einen Flüchtlingsstrom. Wir hatten am Anfang etwa 250 Flüchtlinge in und ums Kloster. Wir haben von christlichen Familien ihre alten Häuser bekommen, die leer standen zum Teil und konnten dann Christenfamilien dort unterbringen."
    Sulaimaniyya befindet sich im Osten des Nordirak, in der Autonomen Region Kurdistan. Zusätzlich zu den fünfeinhalb Millionen Einwohnern beherbergt Kurdistan inzwischen schätzungsweise zwei Millionen Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg und dem IS fliehen mussten.
    In Petzolds Kloster haben sich ausschließlich christliche Flüchtlinge niedergelassen. Muslime gehen eher in eines der Camps, bevor sie in einer Kirche schlafen würden, erzählt Petzold. Wenn so viele, zum Teil traumatisierte Menschen auf engstem Raum zusammenleben, kommt es auch mal zu Spannungen. Angst hat er nicht im kurdischen Irak:
    "In Kurdistan ist man eigentlich sehr sicher. Sulaimaniyya ist wahrscheinlich eine der sichersten Städte im ganzen Mittleren Osten im Moment. Das hat den Grund, dass Sulaimaniyya 150 Kilometer weg ist von jeder Front, mindestens. Sogar als der Angriff voll lief von der Isis nach Erbil hin, gingen Leute zum Picknick und waren in der Bar und in Restaurants."
    Dort, wo der IS nicht hingelangte, lebte es sich als Christ vergleichsweise gut in Kurdistan, sagt Petzold. Generell seien Christen auch im Rest des Landes relativ hoch angesehen. Sie gehören in der Regel der Mittelschicht an, sind Lehrer, Ärzte, Ingenieure.
    Englisch-Kurse für christliche Flüchtlinge
    Petzold hofft darauf, dass die aktuelle Offensive der irakischen Armee auf Mossul, der letzten IS-Hochburg im Irak, schon bald zu einem erfolgreichen Ende kommt. Dann könnten auch die Christen im Land bald wieder Hoffnung schöpfen. Allerdings sei viel Vertrauen verloren gegangen, sagt Petzold. Beispielsweise als die kurdische Armee, die Peschmerga, dem IS bei seinem Vormarsch weichen musste.
    "Die christliche Bevölkerung wurde sehr spät informiert, dass sich die Peschmerga zurückziehen. Das nimmt sie ihnen heute noch übel. Die christliche Bevölkerung fragt sich: Wenn unsere Nachbarn unsere Häuser geplündert haben, in der Zeit, in der wir weg waren, warum sollten wir wieder zurückgehen?"
    Dennoch sind inzwischen einige der Flüchtlingsfamilien aus dem Kloster weitergezogen, zurück in ihre Dörfer oder ins Ausland oder in andere, christlich geprägte Orte im Irak.
    Das gibt Jens Petzold Gelegenheit sich wieder mit seinem eigentlichen Vorhaben zu beschäftigen: ein interreligiöses Begegnungs- und Schulungszentrum in seinem Kloster Sulaimaniyya aufzubauen. Schon jetzt gibt es dort eine Sprachschule mit etwa 90 Schülern, wo Muslime aus der Umgebung Englisch, und christliche Flüchtlinge Kurdisch lernen. Die Annäherung zwischen Christen und Muslimen findet dort quasi nebenbei statt.
    In kleinen Schritten versucht Jens Petzold, ein katholischer Priester inmitten der muslimischen Welt, Vertrauen aufzubauen. In seinem Kloster soll bald ein richtiges Kurszentrum entstehen, eine Art Volkshochschule, in der Christen und Muslime, Kurden, Jesiden und Araber mehr über ihre Geschichte, ihre Kulturen und Religionen lernen können.
    *An dieser Stelle haben wir das Alter von Jens Petzold korrigiert.