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Muslimische Gefangene
Partner in der Prävention

Gefangene haben Anspruch auf Kontakt mit einem Vertreter ihrer eigenen Religionsgemeinschaft. Doch die muslimische Gefängnisseelsorge in Deutschland steckt noch in den Kinderschuhen. Die Justizvollzugsanstalten sind mit der Organisation einer zusätzlichen Betreuung häufig überfordert.

Von Monika Konigorski | 13.11.2014
    Blick durch ein vergittertes Fenster auf ein altes Hafthaus in der JVA Waldheim
    Muslimische Seelsorger sind in deutschen Gefängnissen noch unterrepräsentiert. (dpa / picture alliance / Jan Woitas)
    Kemalettin Oruc ist islamischer Theologe bei der Ditib, der Türkisch-Islamischen Anstalt für Religion. Sie ist der Dachverband für die türkisch-islamischen Moscheegemeinden in Deutschland. Oruc besucht seit über vier Jahren muslimische Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf. Mit mehr als 1.000 Haftplätzen ist die Kölner JVA die größte geschlossene Anstalt in Nordrhein-Westfalen.
    Die Landesjustizbehörden sprechen von etwa drei Prozent muslimischen Gefangenen in Thüringen, etwa 13 Prozent in Bayern und knapp 17 Prozent in Bremen. In der Kölner JVA sind - nach Angaben der Anstaltsleitung - etwa 40 Prozent der Häftlinge Muslime.
    Zweimal im Monat kommt Oruc in das Kölner Gefängnis: Einmal hält er dort das Freitagsgebet. Der zweite Besuch ist einer Glaubensunterweisung in Gruppen gewidmet. Die Themen sind vielfältig.
    "Alltägliche Probleme, die man auch gemeinsam erlebt - manchmal wird auch politisch gefragt. Über die Vorgehensweise in Deutschland, über Probleme die Muslime in Deutschland erleben, und andere soziale, und natürlich am meisten religiös. Wir sind offen und wir möchten, dass die Inhaftierten besser über solche Probleme offen reden und offen führen Dialoge."
    Süleyman Kücük arbeitet als muslimischer Seelsorger in drei Berliner Gefängnissen. Der Islamwissenschaftler und Theologe betreut die Gefangenen sowohl in Gruppen- als auch in Einzelgesprächen.
    "Es können ganz praktische Probleme sein, wie zum Beispiel wie bete ich mein Abendgebet, wie faste ich, über sozialen Kummer, den man hat.
    Auch wenden sich die Gefangenen mit spezifisch theologischen Fragen an ihren muslimischen Seelsorger.
    "Wie es da mit der Reue aussieht, ob denn die Reue akzeptiert wird von Gott, ob die Fehltritte von der Person auch wieder gutzumachen sind – all diese Dinge, und in der Hinsicht ist es schon sehr, sehr wichtig, eben als Theologe fachkundig dem Insassen gegenüber zu stehen, und ihm auch in der Hinsicht eine Hilfeleistung geben zu können."
    Im Koran und in der Sunna ist die Pflicht der muslimischen Glaubensgemeinschaft verankert, sich um Gefangene zu kümmern. In traditionell muslimisch geprägten Ländern sind es meist die Familien und Freunde der Häftlinge, die die Aufgabe übernehmen. In deutschen Gefängnissen werden viele muslimische Gefangene auch von christlichen Seelsorgern mitbetreut.
    Guter Kontakt zu christlichen Seelsorgern
    Seyda Can, muslimische Theologin, erzählt von einem guten Kontakt zu den hauptamtlichen christlichen Seelsorgern. Die islamische Theologin hat in der Justizvollzugsanstalt Köln inhaftierte muslimische Frauen seelsorgerlich begleitet.
    "Die christlichen Seelsorger haben auch gefördert, dass sich die muslimische Seelsorge erweitert, für muslimische weibliche Inhaftierte auch, da sieht man auch den Bedarf, weil da stoßen die christlichen Seelsorger an ihre Grenzen, denn es sind halt Erfahrungen die man im Leben macht, und es kamen auch durchaus Diskriminierungserfahrungen und man hat sich einfach sicherer gefühlt, von einem muslimischen Seelsorger betreut zu werden."
    "Es läuft seit den Neunzigerjahren über die Konsulate von Ländern, wo Menschen mit muslimischem Hintergrund kommen", erläutert Ayten Kilicarslan die Organisation der muslimischen Gefängnisseelsorge in Deutschland. Kilicarslan koordiniert die Seelsorge für die Ditib.
    "Das Problem ist, dass wir in Deutschland bis jetzt kein geregeltes System hatten."
    Die Bestimmungen in den Bundesländern sind sehr unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen gibt es nach Angaben der Justizbehörden keinerlei Seelsorge durch Muslime, da sie nicht nachgefragt werde.
    In den meisten Bundesländern besuchen ehrenamtlich tätige Seelsorger die muslimischen Gefangenen nach Bedarf, so in Bayern, im Saarland und Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Das niedersächsische Justizministerium hat gerade 36 muslimische Seelsorger und Seelsorgehelfer offiziell berufen, für sie stehen Aufwandsentschädigungen von 12 Euro pro Besuch zur Verfügung. Bremen führt derzeit ein Modellprojekt durch mit der Schura Bremen, einem Zusammenschluss der islamischen Organisationen in der Hansestadt.
    Ein anderes Modell sieht eine Beschäftigung von muslimischen Seelsorgern auf Honorarbasis vor, so zum Beispiel in Hessen und Berlin. Christliche Seelsorger arbeiten dagegen oft als Beamte im Staatsdienst. Bei ihren Gesprächen sind keine Gefängnis-Bedienstete anwesend. Diesen Status streben muslimische Verbände auch für die muslimischen Seelsorger an. Die bisherigen Betreuungskapazitäten reichten nicht aus, erklärt Ayten Kilicarslan von der Ditib.
    "Von unseren Gefängnisseelsorgern erfahren wir, dass überwiegend Gruppenbetreuungen gemacht werden, keine Einzelgespräche stattfinden, das ist eigentlich ein Manko, denn in der Seelsorge geht es um Einzelerfahrungen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Seelsorger mit der Zeit ihren Status ändern und die muslimischen Seelsorger endlich mal als gleichberechtigt wie die anderen Seelsorger gesehen werden und gute Standards entwickelt werden."
    Christen werden bevorzugt
    In Nordrhein-Westfalen sind die Justizvollzugsanstalten selbst dafür zuständig, die religiöse Betreuung der Muslime zu regeln. Die Theologin Seyda Can beklagt, dass sie bei ihrer Arbeit in der Kölner JVA nicht die Möglichkeit hatte, die Gefangenen angemessen zu betreuen, im Gegensatz zu den christlichen Seelsorgern.
    "Sie sind immer zu erreichen, oder fast immer und werden auch in akuten Fällen sofort benachrichtigt. Wir eher nicht. Wenn wir etwas mitbringen, können wir es nicht direkt den Insassen geben, sondern wir müssen über die weiteren Seelsorger gehen, wenn sie vor Ort sind, die katholischen christlichen Seelsorge - dann können wir es darüber weitervermitteln, ansonsten immer wieder so kleine Hürden, die überwunden werden müssen.
    Mit dem Wunsch nach einer intensiveren seelsorgerlichen Begleitung muslimischer Gefangener sieht die Leiterin der JVA Köln, Angela Wotzlaw, ihre Anstalt jedoch überfordert.
    "Also wir würden das natürlich gerne machen, das Problem ist aber: Ich muss ja das Personal abstellen, denn auch diese Gebete, diese Unterweisung, da sind immer Mitarbeiter von mir mit dabei, die das ganze beaufsichtigen, wenn es zum Beispiel zu Ausschreitungen käme, dass sie eingreifen können, und ich hab natürlich nicht Personal unentwegt zur Verfügung."
    Die Anstaltsleiterin verweist darauf, dass die rechtlichen Vorgaben alle erfüllt seien.
    "Also das Gesetz sieht erst mal nur vor, dass der Anspruch besteht, mit einem Seelsorger des Glaubens, dem man angehört, ja in Kontakt zu kommen. Da steht nicht drin, dass man einen Anspruch hat auf ständig und dauerhaft. Wir sind nun mal christlich geprägt, auch eine christlich geprägte Gesellschaft, und die Mehrheit unserer Gefangenen besteht auch immer noch aus Christen."
    Unterstützung bekommen die muslimischen Verbände in ihrem Einsatz für eine intensivere Betreuung muslimischer Gefangener nun ausgerechnet durch das Treiben islamistischer Extremisten. Denn die rekrutieren ihre Anhänger unter anderem im Gefängnis. Muslimische Theologen, die ein gesundes Religionsverständnis vertreten und mit den Gefangenen über ihren Glauben sprechen, gelten als wichtige Partner in der Prävention gegen Radikalisierung. Ayten Kilicarslan warnt allerdings auch davor, die muslimische Gefängnisseelsorge zu instrumentalisieren:
    "Seelsorge macht man ja nicht um der Prävention willen, sondern Seelsorge macht man deshalb, weil da ein großer Bedarf ist."