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Muslimische Mädchen und junge Frauen in der aktuellen Jugendliteratur

So unterschiedlich wie die Ansichten über das alltägliche Leben muslimischer Mädchen und junger Frauen mit und ohne Kopftuch sind, so vielstimmig und lebensnah sind die Romane und Sachbücher, die über sie geschrieben werden.

Von Karin Hahn |
    Sineb El Masrar, Güner Balci, Jana Frey und Melda Akbas, alles Autorinnen, die in Deutschland zu Hause sind, erzählen fiktiv, dokumentarisch und subjektiv vom realen Lebensalltag zwischen Tradition und Moderne. Die muslimische Mädchen und jungen Frauen, die in den heute vorzustellenden Büchern die Hauptrollen einnehmen, sind fast alle in Deutschland geboren und hier sozialisiert.
    "Ich nehme sie ganz normal wahr, also es sind Frauen, die haben die gleichen Bedürfnisse, die gleichen Wünsche wie alle anderen Frauen in dieser Gesellschaft auch. Sie sind genauso liebenswert, durchgeknallt und zielstrebig wie jede andere Frau auch und sie möchten vor allem auch als Individuen wahrgenommen werden und das tue ich eben auch. "

    ...sagt die deutsch-marrokanische Autorin Sineb El Masrar. Und Güner Balci meint:

    "Mich interessiert ganz besonders die andere Seite, eben das Leben derer, die nicht unbedingt ein Sprachrohr haben in die Öffentlichkeit, die nicht so wirklich nach außen sich artikulieren, weil sie eben doch zurückgezogen in einer patriarchalischen Gesellschaft leben. Mich interessieren ganz besonders die Geschichten dieser jungen Frauen, weil ich denke, dass man darüber reden muss, was gibt es da für eine Welt neben unserer, in der es selbstverständlich ist, dass Frauen nicht selbstbestimmt leben dürfen."

    Auch Mariam zog sich in ihr Zimmer zu Fatme zurück und ahnte, dass es heute Abend wieder knallen würde. Rafi und Masud konnten in solchen Situationen einfach aus dem Haus gehen, aber Fatme und sie hatten unter dem Vater zu leiden. Es war ausweglos.

    Die Filmemacherin Güner Balci erzählt in ihrem stark autobiografisch gefärbten Roman "ArabQueen oder Der Geschmack der Freiheit" von ihren beiden ehemaligen Freundinnen, im Buch sind sie Schwestern und heißen Mariam und Fatme.
    Die Autorin mit türkischen Wurzeln kennt den Alltag ihrer Protagonistinnen aus eigener Erfahrung, denn sie hat über mehrere Jahre in Berlin-Neukölln, wo sie auch aufgewachsen ist, in einem Mädchentreff für türkische und arabische Jugendliche gearbeitet. Güner Balci beobachtet nicht von außen, sondern schreibt von innen heraus atmosphärisch dicht über die Familie Omar. Als Sunniten leben sie nach jahrhundertealten Bräuchen und Pflichten, die der arbeitslose Vater mit brutaler Gewalt in der Familie durchdrückt. Die herrische Mutter ist Analphabetin und stammt aus Ostanatolien. Heftige Spannungen zwischen den Eheleuten, die Armut, die Sprachlosigkeit und die Blicke der besser gestellten Verwandtschaft sorgen innerhalb der Familie für ein Klima der Lieblosigkeit, Wut und Angst. Mariam und Fatme, 16 und 18 Jahre alt, entziehen sich der harten Hand des tyrannischen Vaters durch geschickte Lügen und Verstellungen. Befreundet sind die Schwestern mit der unbeschwerten Lena, die neu in den Kiez gezogen ist. Mariam spürt gerade durch den Kontakt zu dem deutschen Mädchen, wie eingeschränkt ihr Blickwinkel auf die Welt ist und wie zerrissen sie sich innerlich fühlt. Aber sie kann sich dem, was ihr von klein auf von ihren Eltern und der Familie eingetrichtert wurde, nicht entziehen.


    Weißt du Lena, wir sind eben nicht, wie ihr seid, bei uns darf ein Mädchen keinen Freund haben. So etwas gibt es einfach nicht", erklärte Mariam ihrer deutschen Freundin zum hundertsten Mal.
    "Also ehrlich, Mariam, ich lass mir ja gern von dir sagen, dass du ein Problem damit hast, mitzukommen, wenn mich der Appetit auf eine Currywurst bei Inges Wurstbude packt oder ich bei dir zu Hause in meiner dünnen Chiffonbluse aufkreuze. Aber immer dieses ihr Deutschen und wir Muslime, das nervt, das geht mir inzwischen richtig auf den Senkel. Mann, ich steig doch schließlich nicht gleich mit jedem Typen ins Bett, so ist das bei uns auch nicht." Mariam zuckte zusammen. Lena sprach über dieses gefährliche Thema so beiläufig, als ginge es darum, Brötchen zu holen. Das gefiel ihr gar nicht, Lena sprach dann fast wie eine Hure.
    "Was meinst du damit, Lena? Bist du jetzt etwa keine Jungfrau mehr, oder was?"


    Güner Balci:

    "Ja, es ist eine schizophrene Welt, in der Mariam lebt und auch sie wirkt schizophren, weil sie natürlich auf der einen Seite diesen großen Wunsch hat, diesen Traum eben die ArabQueen zu sein, die Begehrte, die Schöne, die Frau die irgendwann mal die große Hochzeit bekommt und ihren Märchenprinzen findet und auf der anderen Seite aber weiß sie auch ganz genau, dass es das eigentlich nicht gibt und so ist dann auch ihr Umgang mit den Männern. Sie hat ein ganz klares Männerbild und Männer sind für sie immer Schweine. Und Männer sind immer eine Bedrohung, weil alle Männer, die sie kennt, die sie erlebt, haben sie eigentlich nur in ihren Freiheiten beschnitten haben, ob das ihr Vater ist, ihre Brüder sind oder irgendein Cousin. Und auch wenn sie dagegen nicht aufbegehren kann, ganz offensichtlich, so ist das in ihr doch immer ein Konflikt und der kommt immer dann raus, wenn es konkret um die Rolle der Geschlechter geht, wenn es um Liebe geht, um Sexualität. "

    Mariam bedauert, dass ihre Eltern kein Vertrauen zu ihr haben und keinen Wert auf eine gute schulische Ausbildung legen. Nur durch den Druck des Jobcenters findet Mariam Arbeit in einem Mädchentreff und fühlt sich zum ersten Mal gefordert, anerkannt und glücklich. Als der Vater dann Fatme brutal die langen Haare vom Kopf schert, denn der Onkel hat die Nichte ohne Kopftuch gesehen, ahnt Mariam, dass sie allein ihren eigenen Weg suchen muss.

    Güner Balci:

    "Es geht gar nicht ums Kopftuch. Für den Vater und die Mutter geht es nur um den Blick der Außenwelt auf die Familie und um diese moralischen Werte, die sehr unterschiedlich sein können, in einem Punkt aber immer gleich sind, die Frau und ihre Sexualität ist etwas, was man permanent kontrollieren muss. Und wenn dann der Onkel kommt und sagt, jetzt war sie verschleiert und jetzt ist sie es wieder nicht, dann ist das ein Kontrollverlust des Vaters und auch ein Moralverlust, denn vielleicht hat sie ja jetzt vor ohne Kopftuch Schweinereien zu machen. Die Frauen sind oft wenig solidarisch, weil Frauen, die in diesem System leben und dieses System stützen, würden das System und damit sich selbst ja verraten. Und so können sie auch gar nicht anders und immer im Interesse der Männer mitzuagieren, auch eben in ihrem eigenen Interesse. "


    Mariam ärgerte sich, dass sie die ganze Zeit so blind gewesen war, dass sie es nicht schon vorher bemerkt hatte - diese Verlogenheit, in der alle lebten, von der alle wussten, von der aber nicht gesprochen werden durfte.

    Güner Balcis literarische Erzählung wühlt den Leser auf. In einer einfachen Sprache versucht die Autorin, ihre nicht eindimensional gezeichneten Hauptfiguren aus ihrer Lebensgeschichte heraus zu charakterisieren und deren Handeln verständlich zu machen. Als klar wird, dass Mariam dazu gezwungen wird, einen Verwandten aus dem heimatlichen Dorf der Eltern zu heiraten, rechnet die Familie nicht damit, dass die Tochter aus dem Familiengefängnis fliehen wird. Das befreiende Ende jedoch ist im Gegensatz zum Schicksal der wahren Mariam erfunden:


    "Bei Mariam war mir einfach wichtig zu zeigen, was es bedeutet für einen jungen Menschen in Deutschland mitten unter uns zu sein, aber nicht profitieren zu können von dem Grundrecht auf eine individuelle Freiheit."

    Als sich Kelebek und Janosch kennenlernen, singt er Songs von Jusuf Islam. Da trägt Kelebek bereits ein Kopftuch. Ihre Mutter hat es ihr umgebunden und sie hat es aus Zuneigung geschehen lassen. Kelebek ist eine künstlerisch begabte 17-Jährige, die sich gern in verschiedenen Rollen sieht. Mal ist sie Kelebek, die Türkin, dann aber auch die verspielte, unbeschwerte Siri, die schwerfällige, gebeugte Daphne oder die moderne Aviva. Die deutsche Autorin Jana Frey erzählt routiniert auf mehreren Erzählebenen in ihrem Roman "Ich, die Andere" die unmögliche Liebesgeschichte zwischen Janosch, dem kreativen Jungen aus Polen und der deutsch-türkischen Kelebek.

    Ich atmete tief ein und aus. Das war es, was ich wollte. Tun, was ich wollte. Ich wollte Muslimin sein und Janosch trotzdem lieben dürfen.

    Doch der lange Arm der türkischen Verwandtschaft mit ihren konservativen Vorstellungen von Ehre und Moral reichen von Izmir bis in Kelebeks deutsche Stadt. Ihr gütiger Vater wagt nicht, die familiären Forderungen zu ignorieren und trifft drastische Entscheidungen. Und auch Sercan, Kelebeks älterer Bruder, spielt sich zum unerbittlichen Tugendwächter auf. Besorgt um die krebskranke Mutter verbringt er immer mehr Zeit in der Moschee und hört auf fanatische Gläubige. Als ihm zugetragen wird, dass man Janosch und Kelebek zusammen gesehen habe, beginnt Kelebeks Leidensweg.


    Was hat Halil gesagt? Sie ist eine Schlampe, Sercan. Eine Hure, nichts als eine Hure. Der Polacke hat sie gefickt, wir wissen es beide! Halils Gesicht war verzerrt gewesen vor Ekel und Abscheu. Aber er hatte Sercan dennoch nicht im Stich gelassen, stattdessen hatte er mit ihm gebetet. Und er hatte seinen Freund getröstet, als er zu heulen anfing wie ein Schlosshund. Halil war ein guter Freund.

    Einst vertrauten sich der empfindsame Bruder und die zarte Schwester, deren Name Schmetterling bedeutet. Und nun hat Kelebek keine Chance, mit dem blind wütenden Sercan überhaupt ein normales Gespräch zu führen. Jeglicher Zauber, den Kelebek mit ihren Urlauben in der Türkei verbunden hat, ist für immer verflogen. Aber sie ist nicht so isoliert, wie ihre Familie, die sie sofort mit dem verhassten Bülent zwangsverlobt, glaubt. Da ist die deutsche Freundin Ana und ihre starke Patchworkfamilie und natürlich Janosch, der sich nicht von Sercans gewalttätigen Angriffen einschüchtern lässt. Aus der Sicht von Kelebek erzählt Jana Frey von einer aufgeschlossenen deutsch-türkischen Familie, die sich von alten Traditionen vereinnahmen lässt. In der poetischen, wie dramatischen Geschichte gelingt Kelebek, was in der Realität nicht so häufig gelingen dürfte. Sie emanzipiert sich, vertraut ihren Gefühlen und lebt ihre Liebe trotz aller Konsequenzen mit Janosch aus. Und sie legt das Kopftuch ab.

    Rebelliert Güner Balci gegen die Einschränkungen der individuellen Rechte, die Mädchen wie Mariam, Fatme oder Kelebek akzeptieren sollen, so schaut Sineb El Masrar mit einem völlig anderen Blick auf das gegenwärtige Leben muslimischer Mädchen und Frauen. Die 29-jährige Autorin wurde in Hannover geboren. Ihre Eltern stammen aus Marokko. Nach mehreren Stationen in unterschiedlichen Berufen hat sie 2006 die Zeitschrift "Gazelle" gegründet, ein multikulturelles Frauenmagazin und vor kurzem das Sachbuch "Muslim Girls - Wer wie sind, wie wir leben" veröffentlicht.
    Sineb El Masrar:

    ""Der Anlass dieses Buch zu schreiben, war wie bei "Gazelle", bei meinem Frauenmagazin eigentlich derselbe Grund, nämlich den Frauen, die eigentlich in der Mehrheit ganz normal hier leben, eine Stimme zu geben und ihre Lebensgeschichten zu erzählen und ihre Erfolge darzustellen. Natürlich hat das auch ein bisschen mit einer gewissen Wut auch zu tun, weil die Debatte um Frauen mit muslimischer Prägung definitiv einseitig ist und das war sicherlich auch ein Mitgrund, warum ich gesagt habe, so kann man das nicht stehen lassen. Die Debatte, wenn man zum Beispiel an Ehrenmord, Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Kopftuchzwang, das ist alles was man mit der Lebensrealität muslimisch geprägter Frauen verbindet, alles andere wie Erfolg, Freude, Humor, Zielstrebigkeit, das sind alles Dinge, die mit muslimischen Frauen nichts zu tun haben. Glaubt man zumindest. ""

    Ohne das abgegriffene Bild von den zwei Welten zu bemühen, berichtet die Autorin unterhaltsam vom normalen Lebensalltag junger muslimischer Frauen. In ihre schwungvoll geschriebenen Texte fließen Gespräche und Erfahrungen von 90 Frauen ein, aber auch ihre persönliche Lebensgeschichte. Weiterhin beruft Sineb El Masrar sich auf repräsentative Umfragen und historisch belegte Fakten. Als scharfe Beobachterin schreibt sie polemisch gegen verbreitetes Halbwissen und Vorurteile an. Ein Thema natürlich - die Verhüllungen der muslimischen Frauen vom Ganzkörperschleier bis zum Kopftuch. Allerdings kommt sie zu dem Schluss, dass das Stück Stoff den Muslim Girls viel weniger bedeutet als viele Leute denken.

    71 Prozent der muslimischen Kopftuchträgerinnen ist es wichtig, etwas in ihrem Leben zu erreichen. Nur 35 Prozent der deutsch-deutschen Frauen haben diesen Anspruch, hat die Konrad-Adenauer-Stiftung ermittelt. Wer hätte das gedacht. Und wer weiß, vielleicht helfen die Tücher sogar, so manche Gedanken zusammenzuhalten? Muss nur noch rausgefunden werden, ob Baumwolle dabei effektiver ist als Seide. Also, lasst uns bitte selbst entscheiden, ob wir ein Tuch über unsere Bikini oder lieber um unsere Haare wickeln. Wenn wir uns unter einem langen schwarzen Gewand sicher fühlen, können wir gern über unsere Gründe reden, aber wir möchten keine Zwangsentkleidung!


    Um zu zeigen, dass junge muslimische Frauen in der Gesellschaft bereits angekommen sind, umkreist sie in verschiedenen Kapiteln locker leicht Themen wie Kosmetik, Internet, Mode oder Reisen. Nicht aufgesetzt, aber bei kritischen Passagen nicht durchhaltbar, ist ihr ironischer Erzählton.

    Sineb El Masrar:

    "Wenn es eben um muslimisch geprägte Frauen geht in dieser Diskussion, dann ist es immer ein sehr ernster Ton, ein sehr besserwisserischer Ton, es ein teilweise sehr hysterischer Ton und der gefällt mir nicht. Ich fand schon, dass man vieles, was uns täglich um die Ohren geworfen wird, nur mit Ironie begegnen kann, weil ernst nehmen kann man das teilweise auch nicht mehr. "

    Da sind wir also! Diese Horde von dahergelaufenen Terrorismus-Sympathisantinnen, die sich mit ihren muslimischen Männern wie die Karnickel vermehren, ein Kopftuchmädchen nach dem anderen produzieren und willenlos in der Küche des Hauses auf die Befehle ihrer Väter, Brüder und Ehemänner warten. Und dann noch schamlos das deutsche Sozialsystem wie eine reife Zitrone ausquetschen. Wenn Sie derlei oder ähnliche Bekenntnisse auf den kommenden Seiten erwarten, dann sollten Sie dringend weiterlesen - zwecks Horizonterweiterung!


    Immer wieder registriert Sineb El Masrar, wenn sie ihren Blick von der Vergangenheit, und das heißt von der Geschichte der Zuwanderer, in die Gegenwart schweifen lässt, dass die wahren Probleme der mittlerweile vierten Einwanderergeneration nicht das Kopftuch oder die angebliche Rückschrittlichkeit der Muslime sind. An vielen Beispielen und an ihrem eigenen demonstriert die Autorin wie muslimische Frauen trotz gesellschaftlicher Widerstände aus eigener Kraft zu einem selbstbestimmten Leben finden konnten. Als Sineb mit elf Jahren in Niedersachsen ihre Schulempfehlung bekam, war das für sie ein Schock. Ihre deutschen Freundinnen fanden, auch wenn ihre Leistungen nicht besser als Sinebs waren, spielend leicht den Weg zum Gymnasium.

    Mir war klar, dass ich den Weg zur Hauptschule unbedingt vermeiden wollte. Ich wusste, dass ich in der Lage war, mehr zu schaffen. So aber entschied ich mich für die goldenen Mitte - die Realschule. Also sagte ich meinem Vater, er soll die Empfehlung unberücksichtigt lassen und mich an der Realschule anmelden. Was er auch genau so machte. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich der Empfehlung gefolgt wäre?


    Sineb El Masrars Intention ist die Aufklärung, ohne belehren zu wollen. Und sie zeigt, wie wenig archaische Familientraditionen mit dem Koran zu tun haben.

    Frauen haben ausdrücklich das Recht, eine Heirat abzulehnen oder die Scheidung einzureichen oder von ihrem Partner vor dem Akt liebkost zu werden, statt dass er über sie wie ein Stück argentinisches Fleisch herfallen kann ( zugegeben, das mit dem Steak steht da nicht explizit, aber sinngemäß) - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir Muslim Girls lassen uns nicht in unserer Bewegungsfreiheit einschränken und sehen darin auch keinen Widerspruch zu unserem Glauben. Allein wohnen, ausgehen oder sich verlieben steht uns genauso zu wie allen anderen - und lässt sich für viele von uns problemlos mit dem Glauben vereinbaren.

    Hofft Sineb El Masrar zur Versachlichung der anhaltenden Integrationsdebatte beizutragen und zu zeigen, dass moderne muslimische Mädchen und Frauen ihre Lebensziele verwirklichen können, so ist Melda Akbas autobiografisches Buch
    "So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock " bereits ein Beweis dafür. Die selbstbewusste 19-jährige Deutsch-Türkin, die im Berliner Stadtbezirk Schöneberg lebt, erzählt mal in einem gut durchdachten und dann wieder sehr emotionalen Plauderton von ihrer lauten, wie diskutierfreudigen Familie und ihrem eigenen Entwicklungsweg.

    Ja, ich bin Türkin! Ganz gleich, ob ich einen deutschen Pass besitze oder nicht. Von mir aus nennt mich Migrantin oder auch Ausländerin - das seid ihr ja selbst, sobald ihr in einem anderen Land seid -, aber behandelt mich nicht, als sei ich blöd!

    Allerdings befindet sich die junge Autorin genauso wie alle anderen muslimischen Mädchen im Zwiespalt zwischen den überlieferten Wertevorstellungen der Herkunftskultur und den progressiv- emanzipatorischen Rollenangeboten des Einwanderungslandes.

    Ich mache noch das Abitur, und dann verschwinde ich sowieso. Das wissen meine Eltern nur noch nicht. Sie gehen davon aus, dass ich bei ihnen wohnen bleibe, zumindest bis ich heirate. Wegen der Traditionen, die ihnen so wichtig sind. Weil Töchter von muslimischen Familien erst das Elternhaus verlassen, wenn sie heiraten. Denken sie. Hoffen sie. Für mich kommt das überhaupt nicht in Frage. Ich liebe Anne und Baba, auch wenn wir oft aneinandergeraten. Sie haben mich liebevoll aufgezogen, und ich weiß, sie wollen auch jetzt nur mein Bestes. Nicht auszudenken, wie schrecklich es wäre, sie zu verlieren. Aber wir leben leider in unterschiedlichen Welten. Und ich merke jeden Tag mehr, wie sehr ich mich nach Freiheit sehne.

    Melda findet ihre Freiräume in ihrem unermüdlichen Engagement in der Schülervertretung, im Bezirksschülerausschuss oder anderen Gremien. Durch die ehrenamtlichen Tätigkeiten öffnen sich für die interessierte und wortgewandte, immer selbstständiger werdende Melda viele Türen. Bewusst wechselt sie ihr angesehenes Gymnasium und sucht sich eine Schule in Berlin-Kreuzberg. Hier trägt jedes zweite Mädchen ein Kopftuch und achtundneunzig Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war Meldas medienwirksames Projekt "let's organize something". In Workshops wollte sie Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund dazu motivieren, sich gesellschaftlich mehr zu engagieren. Enttäuscht musste sie feststellen, wie wenig Interesse diese Idee hervorrief. An ihrem neuen Gymnasium jedoch wird sie mit muslimischen Mitschülerinnen konfrontiert, deren Lebensauffassungen ungefiltert denen ihrer traditionsbewussten Eltern gleichen, für Melda unbegreiflich.

    Ich merke, wie ich selbst Vorurteile entwickle gegen Migranten, gegen meine eigenen Landsleute, gegen Mädchen, die in meinem Alter sind.
    Warum laufen sie mit Scheuklappen durch die Gegend? Warum lassen sie sich alles von ihren Eltern vorschreiben? Warum verstecken sie sich hinter ihrer Bequemlichkeit? Warum prägen sie keine eigene Persönlichkeit aus? Wenn ich nur daran denke, könnte ich explodieren. Dabei weiß ich nicht mal, was mich aggressiver macht: die Tatsache, dass wir so verschieden sind? Oder dass sie auf andere wirken könnten, wie sie auf mich wirken? Und dass die anderen dann daraus schließen, dass alle jungen Türkinnen so sind?


    Melda Akbas ehrliche Beschreibung ihres Alltags geht weit über das Private hinaus, denn sie verdeutlicht wie Sineb El Masrar und auch Güner Balci, wie wenig sich eigentlich muslimische und deutschstämmige Altersgenossinnen in ihrem Innersten trotz verschiedener Kulturen unterscheiden.
    Güner Balci

    "Ich wünsche mir, dass diese Mariams und Fadmes, die es in diesem Land gibt und die Alis und die Mohammeds, dass sie als Teil dieser Gesellschaft empfunden werden und wenn wir sie so sehen, als Teil dieser Gesellschaft, dann gehen wir auch kritischer ran an diese ganzen Punkte, die jetzt noch tabuisiert sind oder schwierig sind, weil man ja immer Angst hat, irgendwelche fremdenfeindlichen Ressentiments zu bedienen. Diese Ressentiments wird es immer geben, aber das darf uns nicht davon abhalten mit diesen Menschen genauso kritisch umzugehen, wie wir mit uns selbst umgehen oder wie wir mit unseren eigenen Kindern und wenn wir das schaffen, dann sind wir einen Schritt weiter."
    Sineb El Masrar:

    "Wenn ich jetzt mal Kinder habe und das wäre dann tatsächlich die dritte Generation in meinem Fall, bei anderen wäre es tatsächlich die vierte. Ich hoffe, dass sich diese Generation mit Deutschland mehr identifizieren kann, weil momentan leider Gottes immer noch eine Stimmung vorherrscht, die einem immer wieder zu verstehen gibt, dass wir hier irgendwie leben dürfen, dass wir ein Teil sind, aber wirklich dazugehören, wirklich ein gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft zu sein, das ist eben noch nicht gegeben. Und ich hoffe, dass dahin gehend, wir, meine Generation, noch etwas tun kann, um es für sie ein bisschen wohnlicher zu gestalten."

    Es gibt sie noch die Barrieren. Um diese zu überwinden kann ein offenes Interesse, Toleranz und vor allem mehr Wissen, vermittelt auch durch die Literatur, helfen.

    Güner Yasemin Balci: ArabQueen oder Der Geschmack der Freiheit, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2010, 313 Seiten, Euro14,95

    Sineb El Masrar: MuslimGirls, Wer wir sind, wie wir leben, Sachbuch, Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2010, 205 Seiten, Euro14,95

    Melda Akbas: So wie ich will, Mein Leben zwischen Moschee und Minirock, C.Bertelsmann Verlag, München 2010, 237 Seiten, Euro14,95

    Jana Frey: Ich, die Andere, TB Loewe Verlag, Bindlach 2010, Neuauflage, 347 Seiten, Euro7,95