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Muss mein Kind aufs Gymnasium? Entscheidungshilfen für Eltern

"Werfen Sie Ihre Vorurteile über Bord" - das Land Nordrhein-Westfalen gibt Eltern, die auf der Suche nach der richtigen weiterführenden Schule für ihr Kind sind, diesen banal klingenden, aber doch zentralen Hinweis. Was darüber hinaus an Details aus zahllosen Info-Papieren, Empfehlungen der Schulämter und Werbetexten der einzelnen Schulen auf die Familien der Drittklässler einströmt, lässt an Deutlichkeit dagegen oft zu wünschen übrig. Die sechszehn Bundesländer verfahren unterschiedlich, weder sind die Namen, noch die Konzepte der Schulen identisch, nicht einmal das Einstiegsalter. Während die Grundschule in Berlin und Brandenburg sechs Klassen umfasst und in Bremen und Niedersachsen die allgemeine Orientierungsstufe an die Grundschule anschließt, müssen Kinder aus den übrigen Ländern bereits nach der vierten Klasse entscheiden, welchen Weg sie einschlagen, ob sie aufs Gymnasium oder die Gesamtschule wechseln oder die Haupt- oder Realschule besuchen.

Von Jacqueline Boysen |
    In einigen Bundesländern sind die beiden letzteren zur Mittel-, Regel- oder Sekundarschule, zur Erweiterten, Integrierten oder Verbundenen Haupt- und Realschule zusammengefasst oder tragen den Namen Regionale Schule wie in Rheinland-Pfalz.

    Die Kultusminister der Länder betonen in ihrer Handreichung für Eltern ausdrücklich, dass auf schematische Übergangsverfahren zu verzichten sei, dass allein die individuelle Bildungsfähigkeit des Kindes über die Wahl der Schule zu entscheiden hat. Motivation und Leistungsbereitschaft, Konzentrationsfähigkeit, Sprachniveau und Belastbarkeit einer Zehn- oder eines Elfjährigen lassen sich nicht allein am Zeugnisdurchschnitt ablesen. Dennoch spielen mancherorts ausdrücklich auch die Noten bei der Schulwahl eine entscheidende Rolle: Die Leistungen in Mathematik und Deutsch gelten zum Beispiel in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen als Indikator dafür, ob ein Kind dem Gymnasium gewachsen sein wird oder ob eine andere Schule angemessener ist.

    Die Eltern sind in jeden Fall gehalten, zusammen mit den Grundschullehrern ausführlich über das Entwicklungsstadium und den weiteren Werdegang ihrer Sprösslinge zu beraten. In Sachsen können Mutter und Vater sogar noch bevor die Pädagogen sich äußern, schriftlich einen Wunsch fixieren, der dann in die so genannte Bildungsempfehlung der Schule einfließt. Derlei Entwicklungsberichte oder Laufbahnempfehlungen sollen den Eltern die Entscheidung erleichtern - zugleich ist niemand gezwungen, die Beurteilungen des Lehrerkollegiums auch zu akzeptieren. Das letzte Wort haben die Eltern. Die gymnasiale Ausbildung verlangt generell eine größere Selbständigkeit, wohingegen das Lernen in den praxisorientierten Haupt- oder Realschulen stärker strukturiert ist. Wie das im Einzelnen aussieht, sollten sich Eltern und Schüler ruhig selbst anschauen. Auch die Atmosphäre der künftigen Schule können die Neulinge bei Infoveranstaltungen, im Probeunterricht oder an Tagen der offenen Tür schon mal testen. Problematisch wird es, wenn die Schulen der Umgebung schlicht überlaufen sind und die Wahlfreiheit der Betroffenen aus administrativen Gründen eingeschränkt wird - lange Schulwege, ein neuer Freundeskreis, ein fremder Stadtteil - die Eltern sollten sich die Belastungen, die auf ihre Kinder zukommen, genau vor Augen führen. Sie sollten wissen, dass ihre Entscheidung korrigierbar und der Wechsel von einer in die andere Schulform möglich ist - den Kindern aber die Erfahrung des Scheiterns zu ersparen sein sollte.