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Musterland am Scheideweg

Die Wahlen in Ghana, bei denen sich die acht Jahre regierende "National Patriotic Party" und die sozialdemokratische "National Democratic Congres" gegenüberstehen, können knapp ausfallen.

Von Bettina Rühl | 06.12.2008
    Der Wahlkampf wird zusätzlich dadurch angeheizt, dass in Ghana enorme Ölreserven gefunden wurden. Experten befürchten, dass dem bisherigen Musterland Konflikte um Macht, Öl und Geld bevorstehen.

    Das Dorf Princes Town liegt im Westen von Ghana am Meer. Erreichbar ist es nur über eine ungeteerte Piste, die in der Regenzeit kaum passierbar ist. Heute ist hier alles ruhig, doch in der letzten Zeit knattern hin und wieder Hubschrauber über die Hütten, die Palmen und den Sandstrand hinweg. Denn vor der Küste von Ghana wurde Öl gefunden. Die ersten Bohrinseln sind bereits im Meeresgrund verankert. Bisher dienen die Bohrungen allerdings noch dazu, Menge und Qualität der Vorkommen genauer zu bestimmen.

    Jetzt, am frühen Abend, liegt Princes Town im Dunkeln: Die Stromversorgung ist am Vortag nach einem heftigen Gewitterregen zusammengebrochen.

    Petroleumlampen beleuchten die Waren, die die Frauen auf dem Platz im Zentrum des Dorfes anbieten: Krapfen, Trockenfisch, Klöße aus Maisbrei, gegrillte Kochbananen, hartgekochte Eier und andere Leckereien für die abendliche Mahlzeit. In der kleinen Versammlungshalle bemüht sich ein Parlamentskandidat, kurz vor den Wahlen am kommenden Sonntag noch ein paar Wähler für seine Partei zu gewinnen - doch nur wenige Zuhörer sitzen vor ihm auf den weißen Plastikstühlen.

    Der Redner gehört zur größten Oppositionspartei, dem sozialdemokratischen "National Democratic Congres", kurz NDC. Er verspricht Jobs und ein besseres Gesundheitssystem. Außerdem sei es höchste Zeit, die seit acht Jahren regierende NPP, die "National Patriotic Party", wieder abzuwählen.

    Drei lehmige Gassen weiter sitzt Paul Milleky vor seiner Hütte, guckt in die Dunkelheit und wartet auf Kunden. Er verkauft Trinkwasser, das in kleine Plastiktüten abgepackt ist, und hartgekochte Eier. Die Wahlpropaganda der Kandidaten lockt ihn nicht von seinem Laden weg, gleichgültig zu welcher Partei sie gehören.

    "Die diesjährigen Wahlen in Ghana? Wir beten zu Gott, dass sie kein böses Ende nehmen. Denn wenn ich an die Spannungen zwischen der NPP und dem NDC denke - wow! Wir haben immer wieder von Auseinandersetzungen gehört - erst heute Nachmittag hat mir jemand von Konflikten in der Volta-Region erzählt. Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin zutiefst beunruhigt."

    Dabei könnte man doch vermuten, dass Paul Milleky voller Hoffnungen wäre: Die neu entdeckten Ölfelder liegen nicht allzu weit von Princes Town entfernt. Der Verkauf von Eiern und Wasser macht ihn sicher nicht reich - da könnte die Aussicht auf die Förderung des Brennstoffs doch Erwartungen wecken.

    "Das Öl, das ist ein zusätzliches Problem. Wir haben von Nigeria gehört, wo sie wirklich viel produzieren - aber in den Fördergebieten kommt es immer wieder zu Kämpfen. Wir hier, wir können nur dafür beten, dass das Öl etwas Positives bewirkt, dass die Leute an der Küste etwas davon haben."

    Ab dem Jahr 2010 wird Ghana mit ziemlicher Sicherheit 240.000 Barrel täglich fördern - und damit genauso viel wie Gabun, aber nur ein Zehntel so viel wie Nigeria. Diejenigen, die bei den jetzigen Wahlen ins Amt des Präsidenten und ins Parlament gewählt werden, werden also in einer entscheidenden Zeit an der Macht sein: Sie werden bestimmen können, nach welchen politischen und wirtschaftlichen Regeln der künftige Reichtum gefördert und verteilt werden wird. Zwar hat die scheidende Regierung unter John Kufuor versucht, ein möglichst konkretes Konzept für den Umgang mit dem Erdöl zu hinterlassen, doch vieles ist noch offen. Kathrin Meissner arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Ghana.

    "Die Wahlen wurden schon sehr früh als "do or die affair" bezeichnet, und - auch wenn Ghana das Vorzeigeland und das Lieblingsland der Geber ist, gibt es auch hier viel Korruption. Und in Ghana, wie in vielen anderen Ländern auch, geht man davon aus: Wenn man an der Regierung sitzt, dass man an den Fressnäpfen sitzt. Und die werden umso attraktiver, wenn es um Ressourcen wie Gold oder eben auch Öl geht."

    "Do or die affair" - das heißt: Es geht um alles oder nichts: Wer die jetzigen Wahlen gewinnt, kann wichtige Weichen stellen - und einen Teil der Ölgelder im Zweifelsfall auch in die eigene Tasche umleiten. Denn Korruption ist allgegenwärtig. Dabei wird Ghana von westlichen Staaten - auch von Deutschland - als afrikanisches Musterland gefeiert: Das wirtschaftliche Wachstum liegt im Schnitt bei sechs Prozent, die Regierung gilt als reformfreudig, der Prozess der Demokratisierung als vorbildlich. 1992 führte der ehemalige Putschist und langjährige Präsident Jerry Rawlings eine demokratische Verfassung ein. Seitdem fanden die Wahlen regelmäßig statt und blieben weitgehend unblutig. Auch der jetzige Präsident John Kufuor hält sich an die verfassungsgemäße Begrenzung seiner Amtszeit und tritt nicht wieder an.

    Seine wirtschaftliberale NPP und die sozialdemokratische NDC sind eindeutige Favoriten. Noch einmal Kathrin Meissner:

    "Ich denke was man sagen kann ist, dass beide Parteien Kandidaten aufgestellt haben, die nicht auf ihrem Charisma alleine getragen werden, sondern die durchaus in der Lage sind eine Regierung zu führen im Sinne "guter Regierungsführung", und auch notwendiger Politikmaßnahmen und Reformen, diese zu entwickeln und auch durchzuführen, theoretisch."

    Für die jetzige Oppositionspartei NDC kandidiert John Evans Atta Mills. Der 64-Jährige ist Juraprofessor und war Vizepräsident unter Rawlings. Der Spitzenmann der Regierungspartei NPP heißt Nana Addo Dankwa Akufo-Addo. Auch er ist 64, ist Rechtsanwalt und ebenfalls ein erfahrener Politiker: Unter Kufuor war er zunächst Justizminister und in Personalunion auch Generalstaatsanwalt, dann wurde er Außenminister.

    Zwischen diesen beiden wird ein denkbar knappes Ergebnis erwartet. Das könnte Konflikte geben, betont Kathrin Meissner. Denn die Registrierung der Wähler verlief ganz offensichtlich nicht sauber. Registriert werden sollten diejenigen, die seit dem letzten Urnengang volljährig geworden sind. Aufgrund des Zensus und anderer Schätzungen erwartete die Wahlkommission 600.000 neue Wähler. Stattdessen ließen sich 1,8 Millionen Menschen zusätzlich registrieren.

    "Beide Parteien werfen sich gegenseitig vor, Minderjährige und auch Menschen aus den Nachbarländern zu den Registrierungsstationen zu bringen und sich registrieren zu lassen, um am Wahltag für die jeweiligen Parteien zu stimmen. Dazu muss man wissen, dass Ghana kein Identifikationsverfahren hat, also es gibt keine Personalausweise, das heißt, ob jemand Ghanaer ist oder nicht, ist schwer nachzuweisen, und genauso auch das Alter, weil eine Geburtsurkunde, also die Geburten werden nicht unbedingt angemeldet, insofern ist eine Geburtsurkunde auch nicht viel Wert, die man sehr leicht auch auf der Straße bekommen kann und insofern ist es sehr schwer nachzuweisen: Wie alt ist jemand, und in welchem Land residiert jemand."

    Die erstaunliche Vermehrung der Wähler hat das Vertrauen in die Wahlkommission und den Ablauf der Abstimmung schon im Vorfeld getrübt. Dass der Ausgang der Präsidentenwahl aller Voraussicht nach ausgesprochen knapp wird, macht die Sache nicht einfacher: Wer verliert, wird vermutlich von Betrug reden. Tatsächlich können in kleinen Wahlkreisen schon wenige gefälschte Stimmen das Ergebnis verändern, da Ghana nach dem Mehrheitswahlrecht wählt. Und da diesmal so viel auf dem Spiel steht, könnte die Enttäuschung über die Niederlage in Gewalt umschlagen. Das jedenfalls fürchtet Kwesi Aning. Er leitet die Forschungsabteilung des renommierten "Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre" in Accra.

    "Wenn man die vielen möglichen Konfliktursachen in Ghana bedenkt, dann ist es, glaube ich, nicht allzu weit hergeholt zu sagen: Wir sollten vorsichtig sein. Oder genauer gesagt: Dass wir damit anfangen müssen, uns vom Abgrund zurückzuziehen."

    In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Zusammenstöße, vor allem zwischen Anhängern der beiden größten Parteien NDC und NPP: Parteibüros, Geschäfte, Busse und Wohnhäuser wurden niedergebrannt, Menschen verletzt und einige sogar getötet. Aning und sein Team fuhren durch ihr Heimatland, um herauszufinden, an wie vielen Orten es während der Wahlen zu Gewalttaten kommen könnte. Ihr Ergebnis: In jedem zehnten Wahlkreis sind Konflikte möglich. Häufig sind Jugendliche und junge Männer in solche Auseinandersetzungen verwickelt. Sie sind oft arbeitslos und ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft. Doch das reicht Kwesi Aning nicht aus, um die Art der Gewaltausbrüche zu erklären, die er in Ghana in den letzten Wochen beobachtet hat.

    "Sie haben auch damit zu tun, dass diese jungen Leute von außen radikalisiert werden. Dahinter stecken skrupellose politische und wirtschaftliche Machthaber. Sie organisieren die Jugendlichen, um ihre eigenen wirtschaftlichen oder politischen Ziele zu erreichen - und womöglich haben sie noch andere Vorteile dadurch, dass sie die Gewalt schüren. Aber wenn sie ihre Ziele erreicht haben, wird es unmöglich sein, die jungen Leute wieder zu dem zu machen, was sie vorher waren. Man wird zu ihnen nicht sagen können: Bitte geht jetzt dahin zurück, wo ihr herkommt. Duldet die Arbeitslosigkeit, fügt euch in ein Leben ohne Beschäftigung. Sie werden das nicht tun - sie wissen ja jetzt, dass Gewalt sich auszahlt."

    In der Siedlung Princes Town haben die ersten Investoren Land gekauft - viel Land: Das Grundstück beginnt weit draußen vor dem Eingang des Ortes. Am Rande der Piste steht ein Schild: "Dieses Gelände wurde von Soroma Capital Limited erworben." Viel mehr wissen die Leute von Princes Town nicht - nicht einmal, wie viel Boden verkauft wurde. Doch es gibt Gerüchte: Ein Fünf-Sterne-Hotel soll gebaut werden, dazu ein Hubschrauber-Landeplatz. Seit fast einem Jahr steht das Schild nun da, doch geschehen ist bisher noch nichts. Die Bewohner des Dorfes haben immerhin davon gehört, dass es Streit gibt um den Verkauf des Geländes, die Sache liegt bei Gericht: Ein Kläger bezweifelt, dass die Verkäufer des Landes den Boden tatsächlich besaßen. Die Verkäufer sind - auch das delikat - die beiden traditionellen "Chiefs" oder Oberhäupter des Ortes. Dass derer zwei den Thron beanspruchen, ist ein eigener Streitfall; der gärt seit nun schon 26 Jahren. Im Herbst vergangenen Jahres eskalierte die alte Geschichte. Drei Menschen wurden getötet, 28 Häuser zerstört. Die Namen der Täter nennt niemand. Nur der Hintergrund ist klar: Es geht um den Thron des Ortes. Über die Einzelheiten spricht niemand.

    "Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum sich die beiden so erbittert bekämpfen."

    Roland Acquah ist immerhin bereit, überhaupt ein paar Worte zu dem Streitfall zu sagen. Der Händler hat eine quasi offizielle Funktion: Er wurde von den Bewohnern des Ortes zu ihrem Vertreter in der Distriktversammlung gewählt.

    " Vielleicht geht es ihnen um das Recht, das Land der Gemeinde zu verkaufen - schließlich gibt es jetzt die Aussicht auf Investoren aus der Ölindustrie. Davon abgesehen wüsste ich nicht, worum sie kämpfen könnten. Am Besten fragen Sie wohl die Chiefs - die wissen ja vielleicht, worum sie kämpfen."

    Einer der beiden ist Nana Ndama Kundumah IV.. Gerade ist noch ein Besucher gekommen und trägt ihm ein Anliegen vor. Der Chief wohnt in einem ganz gewöhnlichen Steinhaus in der Nähe der Schule und trägt schlichte, westliche Kleidung. Der Raum, in dem er seine Besucher empfängt, ist mit ein paar Sesseln und einem Beistelltischchen spärlich möbliert. Symbole seiner traditionellen Macht sind nirgendwo zu sehen. Stattdessen wirkt der Chief noch immer wie der Lehrer, der er früher einmal war. Dann geht der Besucher, und Nana Ndama Kundumah IV. fängt an zu erzählen: Er sei schon mal in Deutschland gewesen, genauer gesagt: in Berlin. Der Funkturm habe ihn besonders beeindruckt, eingeladen hatte ihn eine Hilfsorganisation aus Berlin. Damals war er mit seinem traditionellen Gewand auch im deutschen Fernsehen zu sehen - davon würde er jetzt am liebsten die ganze Zeit erzählen. Als das Gespräch stattdessen auf Soroma Capital kommt, wird er schweigsam.

    "Reden wir nicht über das Land, lassen Sie uns über etwas anders sprechen."

    Aber der Verkauf könnte doch für die Gemeinschaft durchaus Vorteile bringen, wirtschaftliche Entwicklung zum Beispiel durch die Investitionen? Nana Ndama Kundumah IV. rückt unruhig in seinem Sessel herum.

    "Ja, es könnte Entwicklung bringen. Aber die Sache ist verwickelt, deshalb sage ich: Lassen wir das! Kommen Sie mit einem andern Thema."

    Noch schweigsamer wird er bei der Frage, warum er sich mit seinem Konkurrenten für den Verkauf des Landes versöhnt habe - die beiden verfeindeten Chiefs haben am gleichen Tag zur gleichen Zeit unterzeichnet. Die Frage bleibt ohne Antwort. Selbst das nächste Thema lockt den Chief nicht wieder aus der Reserve:

    "Das Öl. Ich weiß nicht viel über das Problem mit dem Öl."

    Aber warum Problem - es könnte doch auch eine Chance sein?

    "Es ist eine Chance für das Dorf, aber wegen der Konflikte, die es hier sowieso schon gibt, will ich nicht darüber sprechen. Fragen Sie mich etwas anderes."

    Jemand, der auch ein kleines Stück Land an die Investoren verkauft hat und deshalb bei einigen Verhandlungen dabei war, nennt später Preise: Nach seinen Informationen bekam Nana Ndama Kundumah IV. 40.000 Dollar. Sein Gegenspieler habe sogar noch deutlich mehr bekommen: 110.000 Dollar. Das ist viel Geld in einem Land, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung noch immer unter der Armutsgrenze lebt: von weniger als einem Dollar täglich.

    Auch John Kwashi hat nicht viel mehr. Der 29-Jährige verdient hin und wieder ein paar ghanaische Cedi an den Touristen, die bisweilen in den Ort kommen. Doch das sei nicht einmal genug, um sich regelmäßig satt zu essen, sagt John. Letztlich lebt er noch immer von dem, was seine alte Mutter ihrem kleinen Stück Ackerland abringt: Kassava, Kochbananen, Tomaten. Seit vom Öl vor der Küste die Rede ist, hat John die jungen Männer des Ortes in einem Verein zusammengeschlossen und hinter sich versammelt:

    "Manchmal denke ich natürlich an das, was in Nigeria passiert. Es gibt dort viele Kämpfe um das Öl, und viele Menschen sterben. Aber wir glauben, dass es uns besser gehen wird, wenn das Öl in Ghana erst einmal sprudelt. Denn wir werden Arbeit bekommen. Dafür werde ich kämpfen. Das ist mein wichtigstes Ziel. Das Öl wurde in meiner Region gefunden. Deshalb habe ich das Recht auf einen Job und werde dafür kämpfen."

    Konflikte wie die in Princes Town sind kein Einzellfall. Dabei bemüht sich die Regierung durchaus, die künftigen Ölgelder möglichst segensreich zu verwenden: Nur ein Teil soll in den Staatshaushalt einfließen, der Rest auf zwei Fonds aufgeteilt werden. Der eine Fonds ist für künftige Generationen gedacht, der andere als eine Art Puffer, damit die ghanaische Wirtschaft durch die erhofften Mehreinnahmen von einer Milliarde Dollar jährlich nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Trotzdem bleibt Kwesi Aning vom "Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre" skeptisch:

    "Ich hoffe wirklich, dass es vielleicht doch keinen Ölfund gibt. Die Hoffnung auf den künftigen Reichtum hat schon jetzt zu einer neuen Verbissenheit im Kampf um politische Ämter geführt: Jeder versucht eine Position zu ergattern, die einen möglichst großen Anteil an den Einnahmen aus dem Öl garantiert. Deshalb hoffe ich wirklich, dass wir doch kein Öl haben - auch wenn das ziemlich unwahrscheinlich ist. Aber wir starren jetzt schon in die Fratze neuer Konflikte."