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Musterprozess in der Warteschleife

Das staatlich anerkannte DDR-Sport-Dopingopfer Cornelia Jeske wollte bereits Ende Dezember 2009 vor der 14. Kammer des Sozialgerichtes Magdeburg Klage einreichen. Angesichts rund 200 staatlich anerkannter deutscher Dopingopfern kommt diesem Verfahren das Vorbild eines Musterprozesses zu.

Von Bernd Friedmann | 07.08.2011
    Mitte Januar 2010 übernahm der Heidelberger Rechtsanwalt Michael Lehner das Mandant. Jeske hatte zuvor innerhalb von 36 Monaten mit diversen Behörden nicht weniger als 27 Schriftwechsel geführt. Lehner arbeitete sich monatelang ein. Heraus kam zunächst Anfang Februar 2011 die Klage gegen die Ablehnung eines Widerspruchsbescheids des wohl letztendlich zuständigen Magdeburger Versorgungsamtes.

    Das im Klageverfahren federführende Sozialgericht Magdeburg behandelt den "Fall Jeske" offenbar genauso wie tausende weitere anhängige Sozialgerichtsverfahren, insbesondere wie die Hartz-Vier-Prozesse. Rechtsanwalt Lehner rechnet im vierten Quartal diesen Jahres mit dem Beginn des eigentlichen Verfahrens.

    Nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz ist Cornelia Jeske als Dopingopfer anerkannt, ärztliche Gutachten belegen beträchtliche gesundheitliche Dauerschäden, die andauern und sich ständig verschlimmern. Als Ursache der Schäden gilt die langjährige Einnahme von Anabolika in ihrer Zeit als DDR-Ruderin.

    Das zunächst zuständige Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales hatte eine Anspruchsleistung sofort abgelehnt. Es dauerte dann beschämende zweieinhalb Jahre, bis die Behörde die Zurückweisung der Ansprüche begründete. Und zwar mit einem höchst umstrittenen Gutachten des westfälischen Uniklinikums Münster. Hier wird festgestellt, dass

    " ... . ein kausaler Zusammenhang zwischen der damaligen Zufuhr anaboler Steroide und den heute geltend gemachten Gesundheitsstörungen ausgeschlossen werden ... " könne."

    Cornelia Jeske ist seit Mai 2000 wegen ihrer schwer veränderten Wirbelsäule berufs- und erwerbsunfähig. Sie hat wegen früherer freiberuflicher Tätigkeiten keine sogenannten Vorerfüllungszeiten bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - und somit keinen Anspruch auf Renten-Gelder.

    2003 hatte sie aus dem Etat des Dopingopfer-Hilfegesetzes, so wie rund 200 andere Geschädigte, den Einmalbetrag von 10.439 Euro erhalten. Das Gesetz war im August 2002 nach jahrelangen Diskussionen über eine dringend notwendige finanzielle Hilfe für Doping-Opfer der DDR verabschiedet worden. Vom Deutschen Olympischen Sportbund und von Jenapharm, dem Ex-Produzenten des DDR-Anabolikums Oral-Turinabol, gab es zudem jeweils 9.250 Euro.

    Jeskes Klage gründet sich auf das Dopingopferhilfe-Entschädigungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland sowie auf das entsprechende Rundschreiben des damaligen Bundes-Gesundheitsministeriums. Seit dem 25. Oktober 2004 sind die gesetzlichen Ansprüche für missbrauchte DDR-Dopingsportler klar geregelt. Im letzten Satz dieses Rundschreibens steht nämlich:

    ""Dabei sind die nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz gewährten Leistungen nicht anzurechnen, da diese keinen Entschädigungscharakter haben, sondern aus humanitären Gründen gewährt werden."

    In dem Prozess vor dem Sozialgericht Magdeburg geht es nun auch darum, ob Jeske nachweislich Dopingmittel verabreicht worden und diese auch für die weiteren schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen verantwortlich sind.

    Die bisher aufgefundenen Akten, die das Ministerium für Staatssicherheit der DDR über Cornelia Jeske anlegte, geben fast nichts her. Seit Dezember 1995 versucht das Dopingopfer deshalb an das gesamte gesammelte Material heran zu kommen. Aber stets wird der Ex-Athletin "Fehlanzeige" mitgeteilt. Immerhin erhielt sie vor acht Jahren ihre bei Dynamo Berlin angelegte gynäkologische Akte. Enthalten sind Eintragungen mit "T" (für Testosteron) sowie verabreichte Dosen von "7 mal T pro m", also siebenmal Testosteron pro Monat. Die Aufzeichnungen erfolgten ab 1976. Cornelia Jeske war da ein Kind von 13.Jahren. Im Folgejahr wurde die Testosteron-Dosis auf "24x" erhöht.

    Jeske, die im Olympiakader für 1984 stand und in allen ihren Bootsklassen stets Schlagfrau war, verweist auf Doping-Zeugen wie den bekannten Ruder-Trainer Bernd Ahrend. Aber sie belastet auch Funktionäre wie die spätere Skull-Cheftrainerin Rita Schmidt, verheiratete Rita Bludau.

    Bei Dopingopfer Jeske machten sich bereits mit 15 Jahren gravierende Rückenprobleme bemerkbar. Seit 1980 hat sie Bandscheiben- und andere Wirbelverletzungen, 1983 kam eine Herzmuskelentzündung dazu. 1986 erfolgte die erste von bislang vier Venenentzündungen. Hinzu kommen eine Kälte-Allergie, Blasen- und Nierenentzündungen, chronische Gastritis. Aufgrund des gestörten Hormonhaushaltes blieb Jeskes Regelblutung oft aus. Die Arterien an der Halswirbelsäule sind geschädigt. Migräne-Anfälle sind an der Tagesordnung.

    Cornelia Jeskes Sohn kam mit einem Klumpfuß auf die Welt; er hat sich mehrerer Venen-Operationen unterziehen müssen. Der inzwischen 26-jährige war vom zuständigen Bundesverwaltungsamt in Köln als Dopingopfer der zweiten Generation abgelehnt worden. Laut Cornelia Jeske, die massiv ums wirtschaftliche Überleben kämpft, lautete die zynische Begründung, die Mutter sei "während der Schwangerschaft nicht gedopt gewesen."