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Mutter aller Enten

Paläontologie. - Unsere Kenntnis über die Entwicklung der Vögel nach dem Auftreten von Archaeopteryx ist sehr lückenhaft. Nur eins schein klar. Bis zum Ende der Dinosaurier dominierte eine andere Gruppe als die modernen Vögel das Vogelreich. Heute berichten amerikanische und chinesische Forscher im Fachblatt Science über 110 Millionen Jahre alte Fossilien von einem frühen Verwandten der modernen Vögel, ein ans Wasser angepasstes Tier.

Von Michael Stang | 16.06.2006
    Gansus yumenensis war ein Wasservogel. Mit der Gans hat Gansus yumenensis aber nichts zu tun. Gänse gab es vor 110 Millionen Jahren noch lange nicht. Der Name stammt von der chinesischen Provinz Gansu, in der jetzt Paläontologen fünf fossile Skelette des Vogels fanden. Jerry Harris ist von den Funden begeistert, da sie Einblicke in die Frühzeit der Vögel geben.

    "Das Erstaunliche ist, dass sie einen sehr modernen Knochenbau haben, obwohl die Fossilien 110 Millionen Jahre alt sind. Wenn man die Knochen mit einem heutigen Vogel- etwa einer Ente - vergleicht, kann man kaum Unterschiede feststellen. Alle Vögel, die wir vom Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren kennen, als die Dinosaurier ausstarben, zeigen nicht mehr diesen Knochenbau. Niemand hatte gedacht, dass es eine solch moderne Anatomie schon zu diesem frühen Zeitpunkt gab."

    Der Direktor der Paläontologie vom Dixie State College in South East im amerikanischen Bundesstaat Utah untersuchte mit seinen Kollegen die Fossilien, die nicht als flacher Abdruck im Gestein, sondern als dreidimensionale Überreste versteinert sind. Bis auf den Schädel und die Nackenpartie sind die Tiere vollständig erhalten.

    "Einige anatomische Eigenschaften deuten darauf hin, dass diese Vögel bestens an das Leben im Wasser angepasst waren. Wir konnten zu unserer Überraschung zum einen Schwimmhäute an den Füßen entdecken, mit denen sie anscheinend bestens paddeln konnten, zum anderen verfügen die Tiere über einen massiven Knochenbau, wie wir das nur von Vögeln kennen, die fliegen können und unter Wasser tauchen, um dort Fische zu fangen."

    Wo diese Vögel im Stammbaum stehen, wissen die Forscher noch nicht. Obwohl die Vertreter von Gansus den heutigen Enten recht ähnlich sind, kann Jerry Harris nicht zweifelsfrei klären, ob der Wasservogel in die Ahnenreihe heutiger Vögel gehört.

    "Eine direkte Verwandtschaft zu den heutigen Enten können wir nicht beweisen. Aber einiges spricht dafür, dass sie ein oder zwei Vorstufen der heutigen Vögel im Stammbaum einnehmen und damit nah dran sind, zu den direkten Vorfahren der modernen Vögel zu gehören."

    So kann es gewesen sein, muss es aber nicht, meint der Mainzer Paläontologe Michael Fastnacht von der Johannes Gutenberg-Universität. Der Ursprung der Vögel bekam vor kurzem durch einen weiteren Fund des Urvogels Archaeopteryx neuen Diskussionsstoff. Das 150 Millionen Jahre alte Fossil aus Süddeutschland, deutet an, dass die Geschichte der Vögel weitaus komplizierter ist, als bislang angenommen. Demnach könnten sich die Vögel zweimal unabhängig voneinander entwickelt haben, wobei eine dieser Linien zu den heutigen Vögeln führte, während die andere ausgestorben ist. Deshalb könnten die neuen Funde aus China auch zu der Linie gehören, die in eine so genannte evolutive Sackgasse liefen. Sicher belegen die neuen Fossilien nur: Die Tiere konnten bereits schwimmen und auch noch fliegen. Fastnacht:

    "Es ist eine Übergangsform, weil es eben noch einen vollständig entwickelten Flugapparat hat. Die anderen, die jetzt in der näheren Verwandtschaft sind, bei denen ist der Flugapparat wieder vollständig reduziert."

    Die wenigen Fossilien sind aber nur ein Teil der damaligen Vogelwelt. Landlebende Vögel sind nicht erhalten, deshalb können sie aber nicht in dem Stammbaum der Vögel ignoriert werden, sagt Michael Fastnacht:

    "Diese große Lücke, die wir eigentlich haben, das sind ja immerhin 15 Millionen Jahre aus der uns die Funde bisher fehlen, gerade in dieser Lücke müssten wir eigentlich noch mal gezielt nachforschen und gucken, ob man da nicht auch Vogelfossilien findet, um da die Lücke ein bisschen zu schließen."