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Mutter und Mozart

Mit 275 Minuten Musik, verteilt auf vier CDs, liefert die Geigerin Anne-Sophie Mutter einen richtigen Brocken ab als Schlussstein ihres dreiteiligen Mozart-Projektes. Erst waren die Violinkonzerte dran, dann Klaviertrios und jetzt als Krönung: 16 Violinsonaten. Damit feiert Anne-Sophie Mutter an erster Stelle den Jubilar Wolfgang Amadeus Mozart, nicht zuletzt aber auch sich selbst. Pünktlich zu ihrem 30jährigen Bühnenjubiläum ist der Vierer-CD-Pack mit den Mozart-Sonaten vor zwei Tagen erschienen.

Von Maja Ellmenreich | 20.08.2006
    Anne-Sophie Mutter spielt darauf gemeinsam mit ihrem langjährigen Klavierpartner Lambert Orkis.

    " Musikbeispiel: Rondeau. Allegro aus Sonate C-dur, KV 296 "

    "Es ist weder die Geige an erster Stelle noch das Klavier", behauptet Anne-Sophie Mutter in dem bilderreichen Booklet zu ihrer neuen CD. Und auf das eben gehörte Rondo aus der C-dur-Sonate, KV 296, trifft das auch zu: Mal steht die Geige im Vordergrund, mal das Klavier. Mal begleitet der eine, mal der andere.

    Bei allen 16 Sonaten, die Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis im Februar in München aufgenommen haben, bei allen kann man diese Beobachtung allerdings nicht machen. Und genau darin liegt der Reiz der Mozartschen - wie sie auf einer Ausgabe von 1781 genannt wurden "Klaviersonaten mit Violinbegleitung". Mozart selbst sprach von "Clavier duetti mit violin", das klingt schon paritätischer.

    Würde man die 16 Sonaten auf der neuen CD chronologisch ordnen, dann könnte man den Befreiungskampf der Violine mitverfolgen. Zwar hat Anne-Sophie Mutter auf die ganz frühen Sonaten verzichtet, als die Geige nicht mehr war als klangliches Beiwerk ohne nennenswerte Bedeutung. Doch auch bei den späteren, die sie ausgewählt hat, entstanden ab 1777 in Mannheim und Wien, auch an ihnen kann man den allmählichen Weg hin zur instrumentalen Gleichberechtigung nachverfolgen: Die Geige nimmt mehr und mehr Besitz vom musikalischen Material, plappert nicht nur nach, sondern bringt Eigenes zutage.

    Für die chronologische Reihenfolge haben sich etwa Szymon Goldberg und Radu Lupu Mitte der 70er entschieden - in ihrer klanglichen Präsenz, ihrer Musikalität sicher eine Referenz-Gesamtaufnahme; die Anordnung der Sonaten musikhistorisch korrekt, pädagogisch lobenswert - aber nicht gerade inspiriert.

    Anne-Sophie Mutter hat sich gegen das strikte Befolgen des Köchel-Verzeichnisses entschieden - sie legt mit ihrer Sonaten-Anordnung fast schon eine eigene Komposition vor - kulinarisch, intelligent, sinnlich zusammengestellt: Schwungvoll geht es jeweils los, die etwas reservierteren Sonaten hat sie regelrecht eingebettet - und zum Schluss hin steuert sie dann auf die wirklichen Herausforderungen zu: auf die große A-dur-Sonate, KV 526, oder auf ihre Lieblingssonate in B-dur, KV 454, die Mozart für die Geigenvirtuosin Regina Stranisacchi geschrieben hat.

    " Musikbeispiel: Ausschnitt aus Allegro aus Sonate B-dur, KV 454 "

    Nicht etwa "Mutter und Orkis", sondern "Mutter und Mozart" - diese beiden Namen stehen in gleich großen, geschwungenen Lettern auf dem reich verzierten Cover der neuen Vierfach-CD. Und natürlich ist es das makellose Konterfei der Geigerin, das das Booklet und das so genannte Digi-Pack ziert - die Verpackung, die mit ihren vier CDs übrigens fast so schwierig zusammenzufalten ist wie der Beipackzettel eines Hustensaftes.

    Allzu verständlich, dass die "Deutsche Grammophon" bei den wenigen Kammermusikveröffentlichungen, die sie auf den Markt bringt, auf ihr - mit Verlaub - "Zugpferd" setzt: Die vielfach preisgekrönte Grande Dame der deutschen Violinmusik, die als Wunderkind begann, gefördert wurde von Herbert von Karajan, sich mittlerweile selbst um den musikalischen Nachwuchs kümmert mit einer eigenen Stiftung und in Benefizkonzerten für wohltätige Einrichtungen spielt. Wie gesagt - kein Wunder und kein Vorwurf, dass sie im Mittelpunkt steht. Schade allerdings, dass diese Marketingstrategie sich in der Musik widerspiegelt.

    Seit vielen Jahren wird Anne-Sophie Mutter von Lambert Orkis am Klavier begleitet. Mehr als die Rolle des Begleiters füllt Lambert Orkis aber auch nicht aus: So sehr Anne-Sophie Mutter auf der Gleichberechtigung von Klavier und Violine beharrt, Orkis bleibt leicht gebeugt, dienend im Hintergrund. An nur ganz wenigen, viel zu wenigen Stellen traut er sich mit seinem Flügel ins Rampenlicht. Dabei würde ihm Anne-Sophie Mutter schon Platz machen im Scheinwerferkegel, sie weiß sich zurückzunehmen, doch der Platz, den sie für ihn freimacht? Lambert Orkis füllt ihn nicht aus.

    " Musikbeispiel: Ausschnitt aus Adagio aus Sonate G-dur, KV 379 "

    Was wäre ein CD-Booklet aus dem Jahr 2006 ohne Künstler-Interview? Auch Teil III von Anne-Sophie Mutters Mozart-Projekt kommt ohne die obligatorische Interpreten-Befragung nicht aus. Sie gibt sich charmant, wissend, wie immer lässt sich aus ihren Antworten ablesen, dass sie das, was sie uns im Konzertsaal und auf den CDs präsentiert, durch und durch reflektiert hat.

    "Die Phrasierung ist das große Problem und auch der Schlüssel zu Mozarts Musik", sagt sie dort über ihre Arbeit an den 16 Sonaten. Und diese Erkenntnis formuliert sie nicht nur, sie handelt auch danach. Bei ihr endet kein Gedanke im Nichts - Anne-Sophie Mutter weiß zwischen Hauptsachen und Nebensächlichkeiten zu unterschieden. Sie nimmt Verzierungen mit einer sympathischen Sorglosigkeit, verleiht bedeutsamen Themen aber auch das nötige Gewicht.

    Und all das mit ihrem unverwechselbaren Geigenklang, mit diesem in sich bewegten Ton, der stets ein bisschen flirrt und schwebt, zerbrechlich und kräftig zugleich klingt. Ganz eigen und im besten Sinne des Wortes fast ein bisschen "altmodisch". Vergleicht man den Mutterschen Mozart-Ton mit dem des legendären Arthur Grumiaux auf der einen Seite und auf der anderen mit dem Mozart-Geigenklang der aufstrebenden Hilary Hahn, die vor einem knappen Jahr bei der "Deutschen Grammophon" auch vier Mozart-Sonaten herausbrachte - dann ist die Verwandtschaft eindeutig: Dem über vierzig Jahre vor ihr geborenen Grumiaux ist Anne-Sophie Mutter in Phrasierung und Ausdruck viel näher als der 16 Jahre jüngeren Hilary Hahn mit ihrem klaren, sachlich-schlanken Geigenton.

    Allein für diesen Anachronismus gebührt Anne-Sophie Mutter Anerkennung.

    " Musikbeispiel: Ausschnitt aus Allegro aus Sonate F-dur, KV 377 "

    Die Geigerin Anne-Sophie Mutter und der Pianist Lambert Orkis, sie spielen Sonaten von Wolfgang Amadeus Mozart. Die 16 Kompositionen sind - verteilt auf vier CDs - ganz frisch am vergangenen Freitag bei der "Deutschen Grammophon" erschienen.

    Diskographie
    Titel: Wolfgang Amadeus Mozart: The Violin Sonatas
    Solisten: Anne-Sophie Mutter, Violine
    Lambert Orkis, Klavier
    Label: Deutsche Grammophon
    Labelcode: LC 0173
    Bestell-Nr.: 00289 477 5801