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Mutterliebe beeinflusst die Gene

Weihnachtszeit - Familienzeit. Unter dem Weihnachtsbaum werden Geschichten aus den Kindertagen erzählt und oft zeigt sich, schon die ersten Erlebnisse beeinflussen den späteren Lebensweg. Das lässt sich sogar wissenschaftlich belegen. Psychologen und Mediziner haben festgestellt, dass wichtige Weichen für die körperliche und geistige Gesundheit des Erwachsenen schon kurz nach der Geburt gestellt werden. Die ersten Erfahrungen hinterlassen also dauerhafte Spuren. Worin diese bestehen, dafür interessieren sich unter anderem Hirnforscher und Genetiker.

Von Volkart Wildermuth |
    Mutterliebe kennt viele Formen. Das allabendliche Vorlesen, das Gesundpusten eines aufgeschlagenen Knies, die Umarmung, das gemeinsame Lachen. Rattenmütter dagegen zeigen ihre Zuneigung mit der Zunge. Sie lecken ihrem Nachwuchs häufig das Fell und das, betont Professor Michael Meany von der amerikanischen McGill Universität, dient nicht nur der Hygiene:

    Bestimmte Formen der mütterlichen Pflege verändern bei den Jungen auf Dauer die Aktivität einzelner Gene. Besonders in den Hirnregionen, die die Reaktion auf Stress beeinflussen, die den Herzschlag, den Blutdruck und die Ausschüttung von Hormonen kontrollieren, die Verhaltensweisen und Gefühle regulieren. Diese dauerhaften Veränderungen bilden die Grundlage für die Reaktion des erwachsenen Tieres auf Stress und sorgen für individuelle Unterschiede in der Anfälligkeit für Krankheiten.

    Stört Michael Meany die enge Beziehung der Rattenmütter zu ihren Jungen, hat das zunächst keinen sichtbaren Einfluss. Erst wenn die Tiere herangewachsen sind, reagieren sie überängstlich, haben Probleme mit dem Gedächtnis und werden generell schneller krank. Das intensive Ablecken schützt die Jungen also für ihr ganzes späteres Leben.

    Doch wie kann etwas so flüchtiges wie Mutterliebe dauerhafte Folgen haben? Wenn junge Ratten abgeleckt oder gestreichelt werden, schüttet ihr Gehirn einen Botenstoff aus, der zumindest beim Menschen mit einem Gefühl der Beruhigung und der Sicherheit verknüpft ist. Dieser Botenstoff aktiviert eine ganze Batterien von Genen, die die positive Grundstimmung festigen, doch das sind alles vorübergehende Effekte. Die bleibende Spur liegt auf einer anderen Ebene, wie Michael Meany kürzlich herausgefunden hat. Diese andere Ebene ist die Verpackung der Erbsubstanz. Damit drei Meter DNA in einen winzigen Zellkern passen, müssen sie eng aufgewickelt sein. Ausgepackt werden nur die wenigen Gene, die eine Zelle wirklich benötigt. Kleine Signalmoleküle auf der DNA zeigen an, welche Abschnitte aufgewickelt bleiben können, und welche aktiv sein sollen.

    Die Mutter verändert tatsächlich die Chemie der DNA. Wenn sie die Jungen ableckt, werden die kleinen Signalmoleküle von der DNA abgespalten, die Gene liegen frei und können beginnen, aktiv zu werden und Eiweiße herzustellen. Wir konnten das für ein Gen nachweisen, das die Reaktion auf ein Stresshormon beeinflusst. Wenn es aktiv ist, dämpft es die Reaktion auf Stress ab.

    Wenn die Mutter sich sicher fühlt und ihre Jungen häufig leckt, führt das zu einer dauerhaften chemischen Veränderung in dieser Region der Erbsubstanz, das Regulationsgen wird ausgepackt und ist in ständiger Bereitschaft. Deshalb wird das Junge in seinem späteren Leben auf Gefahr zwar mit Stress reagieren, um schnell aktiv werden zu können. Es wird sich aber ebenso schnell wieder beruhigen. Man könnte fast sagen, es hat eine Art Grundvertrauen in die Welt mitbekommen. Ganz anders, wenn die Rattenmutter weniger umsorgend oder häufig gestört ist. Dann bleibt das Gen für immer verpackt und die Stressreaktion gerät schnell außer Kontrolle. Ein Knacken oder ein Schatten versetzt das Tier später in Panik und das schädigt auf lange Sicht seine Gesundheit. Es kommt also auch bei Ratten entscheidend auf die Mutterliebe an.

    Die wirkliche Frage lautet, was steht auf der Input Seite, was löst diese dauerhaften Veränderungen aus? Bei den Ratten sind Berührungen entscheidend. Das einfach auf menschliche Babys zu übertragen, ist gefährlich. Schließlich entwickeln sich Kinder in einer völlig anderen Umgebung.

    Umarmungen, Streicheln, Küsse sind sicher auch für Kinder von großer Bedeutung, aber zur Mutterliebe gehört mehr, als sich an Ratten oder auch Affen studieren lässt. Vielleicht auch das gemeinsame Feiern unter dem Weihnachtsbaum. Die Arbeit von Michael Meany zeigt aber, wo die dauerhaften Spuren liegen, die das Verhalten einer Mutter und eines Vaters in ihrem Kind hinterlassen. Ob es ein Grundvertrauen in die Welt mitbekommen hat, zeigt offenbar auch der Packungsgrad seiner Erbsubstanz.