Seit 40 Jahren regieren in Myanmar Generäle ohne demokratisches Mandat. Das Regime, das im Moment an der Macht ist, übernahm 1988. Zwei Jahre später lies das Militär Wahlen zu. Aber als Aung San Suu Kyis Partei 60 Prozent der Stimmen gewann, erkannte das Regime das Ergebnis nicht an. Die Junta regierte weiter und verhaftete Hunderte NLD-Mitglieder. Suu Kyi durfte ihr Haus mit Unterbrechungen fast sieben Jahre lang nicht verlassen. Zwischendurch war sie zweimal frei mit der Einschränkung, dass sie Hauptstadt Yangon nicht verlassen durfte.
Ihre jüngste Freilassung ist anders: Suu Kyi darf jetzt reisen und politisch arbeiten. Von einem neuen Kapitel sprechen die NLD und das Regime. Was Aung San Suu Kyi und ihre Partei wollen, bringt NLD-Sprecher U Lwin auf den Punkt:
U Lwin, Sprecher der "Nationalen Liga für Demokratie":
Unser Ziel ist es, in Myanmar unverzüglich Demokratie einzuführen".
Angeblich will auch das Regime Demokratie. Aber weil die Machthaber das seit Jahren sagen und nicht umsetzten, glaubt ihnen niemand mehr. Außenminister Win Aung beteuert, dass die Führung der Junta nur gute Absichten habe:
Win Aung, Außenminister Myanmar:
Unsere Führer sind einfache Leute, sie sind nicht machtgierig, sie machen sich nicht für immer zum König. Ich glaube ihnen. Ich bin davon überzeugt, dass sie Patrioten sind - keine engstirnigen Nationalisten, sondern Menschen, die ihr Land lieben. Sie wollen zusehen, dass sich Demokratie in ihrem Land entfaltet. Genau wie ich, ich bin Demokrat.
Der Außenministers eines Regimes, dass sich an die Macht schoss und seit 14 Jahren dort bleibt. Win Aung spricht über die Führung, über drei mächtige Generäle, denen Menschenrechtsorganisationen Mord, Folter und Zwangsarbeit vorgewerfen. Generäle, die die Presse zensieren, Telefone abhören, alle Faxgeräte im Land registrieren und verbieten, dass jemand ohne Genehmigung einen Ausländer in seinem Haus empfängt. Fast alle Menschen im Land haben Angst vor dem Regime, Hunderte politische Gefangene sitzen im Gefängnis, manche seit mehr als zehn Jahren.
Aung San Suu Kyi und die NLD-Parteimitglieder sind die wenigen Mutigen, die offen zeigen, dass sie gegen das Regime sind. Suu Kyi hat immer noch viele Anhänger, die sich nicht trauen, das zu zeigen. Sie ist die Tochter von Aung San, dem Helden, der das Land zur Unabhängigkeit führte. Er wurde kurz vor der Staatsgründung erschossen. Den Namen Aung San hat man im ehemaligen Birma nicht vergessen, egal wo Tochter Suu Kyi auftaucht – es kommen Hunderte, manchmal Tausende.
Der Alltag der ihrer Partei sieht anders aus. Nach 12 Repressionsjahren durch die Junta ist die NLD am Boden. Ihre Zentrale in Yangon sieht aus, wie der Treffpunkt einer armen Bürgerinitiative: ein Reihenhaus, eine Bruchbude mit einer blauen Plane auf dem undichten Dach. Auf der anderen Straßenseite sitzen Spitzel des Militärgeheimdienstes in einem Cafe. Sie fotografieren und machen Notizen.
An einem normalen Dienstag sitzen im NLD-Hauptquatier in Yangon 20 – 30 Parteimitglieder auf Plastikschemeln um große Tische herum. Frauen kochen oder knüpfen Bänder an rote NLD-Hüte, Männer diskutieren. Putz blättert von den Wänden, der Boden aus Beton sieht aus wie eine Straße, die frisch geteert werden müsste. In alten Vitrinen vergilben Bücher hinter dreckigem Glas. Oft fällt der Strom aus. Aber das nicht so schlimm, denn im NLD-Büro gibt es kaum elektrische Geräte, ein Faxgerät zum Beispiel hat die Junta nicht erlaubt. Die Partei hat auch keinen Computer, und selbst wenn sie einen hätte - einen Internetzugang dürften sie nicht einrichten, der ist in Myanmar nur wenigen vorbehalten, die vom Regime vorsichtig ausgewählt werden.
Eine einzige Telefonleitung wurde der NLD gelassen, natürlich wird sie abgehört. Die Junta habe die Partei fast zerstört, sagt NLD-Sprecher U Lwin. Aber ein geheimes Netzwerk sei intakt, bei Neuwahlen würden sie wieder gewinnen, glaubt er.
U Lwin, Sprecher der "Nationalen Liga für Demokratie":
Wir brauchen nur eine Chance. Wenn wir noch einmal so eine Möglichkeit wie damals erhielten, wäre das Ergebnis das gleiche. Vielleicht würden wir sogar noch mehr Stimmen erhalten. Die Menschen wissen, wie wir ihnen helfen können. Und sie wissen auch, dass die Regierung versagt hat.
Das Versagen der Regierung ist die Chance der Opposition. Dass niemand gerne in einem Spitzelstaat lebt, ist klar. Aber das alleine hat seit 14 Jahren niemanden mehr auf die Strasse getrieben, wo es lebensgefährlich ist. 1988 gab es die letzten Demonstrationen. Damals schossen Soldaten in die Menge und töteten Hunderte, das hat man nicht vergessen.
1988 wurde von den Demonstranten Demokratie auch gefordert, weil die wirtschaftliche Lage im Land katastrophal war. Der sozialistische Weg des damaligen Diktators Ne Win war gescheitert, viele beteiligten sich an den Protesten, weil es in der Hauptstadt Yangon nicht mehr genügend Lebensmittel gab. Die Junta, die den Diktator ablöste und Demokratie verhinderte, regiert jetzt seit 12 Jahren. Das Regime hat mit einer Mischung aus Staatskontrolle und Marktwirtschaft die wirtschaftliche Situation verbessert. Niemand verhungert, Myanmar kann sich heute durch die eigene Landwirtschaft ernähren. Aber es ist immer noch ein bettelarmes Entwicklungsland. Seit einigen Jahren geht es mit der Wirtschaft nicht mehr langsam bergauf, sondern schnell bergab. Bert Mendis, der Chef des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF in Myanmar, macht vor allem die hohe Inflationsrate Sorgen:
Bert Mendis, Chef von UNICEF in Myanmar:
Anders als in der Vergangenheit, als die Inflation stetig hoch und wieder runter ging, ist die Inflationsrate jetzt schon seit langem hoch. Inflation hat direkte Folgen für die Armen. Wir sprechen über die wichtigsten Grundstoffe: Öl zum Kochen und Reis. Wenn die Inflation weiter so hoch bleibt, haben die Armen eine immer kleinere Chance. Die Gefahr besteht, dass die Inflation katastrophale Folgen hat, wenn sie hoch bleiben sollte.
Exakte Zahlen gibt es in Myanmar nicht. Den offiziellen, einstelligen Angaben der Junta glaubt niemand. Experten schätzen, dass die Inflation in den 90er Jahren im Schnitt über 20 Prozent pro Jahr lag, im Moment soll die Teuerungsrate bei rund 40 Prozent liegen. Auslandsinvestitionen und der Kurs der Landeswährung nahmen in den vergangenen Monaten um knapp 70 Prozent ab. Den Effekt der katastrophalen Daten spürten viele Menschen schon seit langem, meint Bert Mendis von UNICEF.
Bert Mendis, Chef von UNICEF in Myanmar:
Es gibt Hinweise darauf, dass die Bauern nicht genug Reis produzieren können. Ohne Zweifel ist die Unterernährung bei Kindern ziemlich schlimm. Ein Drittel der Kinder unter fünf ist unterernährt. Ein unterernährtes Kind lernt nicht gut, also gibt es große Bildungsprobleme. Ein unterernährtes Kind wird öfter krank. Also braucht man Medizin und Geld, um zum Krankenhaus zu kommen.
Bildung und Gesundheit seien Bereiche, in denen das Regime besonders kläglich versagt habe, sagen Politiker der Opposition. Fakt ist, dass Myanmars Junta viel Geld für die Armee ausgibt und relativ wenig für alles andere. Gerade mal 1,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werde für Bildung und Gesundheit zur Verfügung gestellt, berichtet die Asiatische Entwicklungsbank.
Das Ergebnis der Gesundheitspolitik ist besonders deutlich im Bereich HIV/AIDS zu sehen. Dass es jahrelang kein Geld für medizinische Behandlungen gab, ist nur ein verheerender Aspekt. Dazu kommt die Verleumnungspolitik der Generäle. Das Thema HIV kehrten sie jahrelang unter den Teppich. Schlechte Nachrichten, zum Beispiel eine hohe Zahl HIV-Infizierter, sind nicht willkommen. AIDS tauchte in der zensierten Presse nie auf, Aufklärungskampagnen gab es nicht.
Nun gehört Myanmar zusammen mit Thailand und Kambodscha zu den drei Ländern in Asien, in denen mehr als ein Prozent der Bevölkerung HIV-Positiv ist. In Myanmar haben sich mindestens 500 000 Menschen angesteckt.
In einem Haus im Norden Yangons arbeitet die Schweizer Nichtregierungsorganisation "Association Francois-Xavier Bagnoud" mit HIV- und AIDS-Patienten. Chef ist Max Wey, der schon seit neuen Jahren in Myanmar arbeitet. 60 Frauen bekommen hier Medikamente, eine praktische Ausbildung oder Schulunterricht. 60 Frauen wird geholfen - von Hunderttausenden in Myanmar, die HIV positiv sind und Hilfe bräuchten.
Eine Frau erzählt, wie sie die Krankheit bekommen hat.
Nie habe ich Drogen genommen oder als Prostituierte gearbeitet, mein Mann hat mich angesteckt. Er starb vor sieben Jahren. Damals sprach der Arzt nur von der Todesursache, einer Lungenentzündung. Vielleicht wusste er, dass mein Mann, der Heroin gespritzt hatte, AIDS-krank war. Mir hat der Arzt nichts gesagt, damals redete man hier nicht über HIV. Erst viel später habe ich erfahren, dass ich HIV-positiv bin.
Die Epidemie ist längst ausgebrochen, in den Risikogruppen, also unter Prostituierten und Drogenabhängigen, liegt die Infektionsrate bei rund 35 Prozent. Aber erst seit einigen Monaten erkennt die Junta an, dass HIV/AIDS ein ernstes Problem in Myanmar ist. Die Generäle hätten keine Wahl mehr gehabt, meint Max Wey.
Max Wey, Chef von AXFB Myanmar:
Das AIDS-Problem ist zu groß hier. Es ist zu ersichtlich. Und es geht in alle Gesellschaftsschichten hinein. Wir sind jetzt damit konfrontiert, die ganze Gesellschaft. Ob wir Ausländer sind oder Burmesen, hat damit nichts zu tun. Wir haben ein soziales Problem, dass wir miteinander lösen müssen.
In Myanmar Probleme zu lösen - egal ob es um AIDS, um Bildung oder um Ernährung geht - ist schwierig. Die Regierung ist fast pleite. Das liegt an ihrer Inkompetenz, an der asiatischen Finanzkrise, an sensationeller Korruption und an Sanktionen des Westens. Die Opposition kann auch nur wenig tun, nach jahrelanger Unterdrückung ist sie mit sich selbst beschäftigt. Die internationale Staatengemeinschaft hilft aus politischen Gründen jährlich nur mit einem Dollar pro Einwohner, also kaum. Der Internationale Währungsfond, die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank geben schon lange keine Kredite mehr.
Vielleicht hat der Druck des Westens dazu beigetragen, das Aung San Suu Kyi freigelassen wurde. Aber die Leiter der UN-Programme in Myanmar wiesen schon vor einem Jahr darauf hin, dass das Land an der Schwelle zu einer humanitären Krise stehe. Die Situation erlaube es nicht, zu warten, bis sich an der politischen Konstellation etwas ändere. Humanitäre Hilfe sei moralische und ethische Notwendigkeit und eine Pflicht der Staatengemeinschaft. Ein Jahr nach dem Hilfeschrei habe sich nichts geändert, meint Bert Mendis von UNICEF.
Bert Mendis, Chef von UNICEF in Myanmar:
Die Probleme, auf die wir vor einem Jahr hingewiesen haben, haben sich nicht geändert, weil sie massiv sind. Es gab keine nennenswerte Investition, die einen Unterschied hätte machen können. Das Problem war groß, es ist weiterhin groß und weiterhin kümmert sich niemand in einem Maße darum, das einen Unterschied machen könnte.
Für Humanitäre Hilfe gibt es im Westen keinen politischen Willen, Myanmar wird vor allem von der EU und den USA isoliert. Dort erhalten Mitglieder der Junta keine Einreisevisa. US-Firmen dürfen nicht in Myanmar investieren. EU-Firmen ist das zwar erlaubt, als politisch korrekt gilt es nicht. Westliche Firmen, die in Myanmar aktiv sind, riskieren massive Proteste von Verbrauchergruppen in der Heimat.
Ein Thema ist der Vorwurf, dass Kinder- und Zwangsarbeit in Myanmar weit verbreitet seien. Vor ein paar Monaten machte der Unterwäsche-Hersteller Triumph seine Produktionsstätten dicht, in Australien und in England war gegen Triumph demonstriert worden. Auch fast alle deutschen Firmen sind längst abgezogen, offiziell in Myanmar vertreten sind nur noch Siemens, der Industrieausrüster Fritz Werner und ein halbes Dutzend Mittelständler.
Die Sanktionen des Westens machen das Regime in Yangon rasend. General Abel, ist Minister und zuständig für das Büro von Regimechef General Than Shwe. Er macht keinen Hehl daraus, dass man erwartet hatte, dass der Westen die Strafmassnahmen aufhebt, wenn Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen wird.
General Abel, für das Büro des Regimechefs zuständiger Minister:
Natürlich bin ich enttäuscht, sehr enttäuscht. Man politisiert uns nur. Wegen einer Person müssen 50 Millionen Menschen leiden. Der Westen nimmt uns auf die Hörner, das sollte nicht sein. Die wollen nur, dass wir machen, was sie wollen. Aber wir machen, was wir für richtig halten, was gut ist für unser Volk. Wir lassen uns von nirgendwo und von niemanden Befehle geben.
Abel versichert, dass das Regime den Übergang zur Demokratie wolle. Aber dazu sei es noch zu früh. Myanmar brauche erst eine Verfassung, die werde entworfen. Weil die Generäle das seit vielen Jahren sagen, glaubt ihnen niemand mehr. Deshalb hat Aung San Suu Kyi den Westen dazu aufgerufen, die Sanktionen trotz ihrer Freilassung nicht aufzuheben. Sie fordert Substanzgespräche mit der Junta. Bei Verhandlungen ist der Druck des Westens einer ihrer wenigen Trümpfe, der noch nicht aus der Hand gegeben werden kann. Das weiß auch Suu Kyis Parteisprecher U Lwin.
U Lwin, Sprecher der "Nationalen Liga für Demokratie":
Man sollte auf Fortschritte warten, erst dann kann reagiert werden, können Sanktionen aufgehoben werden oder nicht.
Fortschritte - damit meint die Opposition Ergebnisse, die bei einer neuen Gesprächsrunde mit dem Regime erzielt werden könnten. General Abel sagt, dass das Regime bereit sei, man werde mit Suu Kyi über Substanzielles sprechen.
General Abel, für das Büro des Regimechefs zuständiger Minister:
Über die Zukunft des Landes, darüber, welche Linie wir einschlagen sollen.
Dass es bei neuen Gesprächen um die Verfassung, um Neuwahlen und um einen Zeitplan für den Übergang zur Demokratie gehen soll, bestätigt auch der Sprecher des Regimes, Oberst Hla Min:
Oberst Hla Min, Regimesprecher
Zum richtigen Zeitpunkt wird es Bewegung in all diesen Fragen geben. Aber ich kann nicht sagen, wann, wo und wie. Das sind Angelegenheiten, die beide Seiten diskret behandeln werden. Die Ära der Konfrontation ist vorbei. Eine Ära der Kooperation kommt.
Ob den schönen Worten Taten folgen, ist völlig offen. Seit drei Monaten ist Aung San Suu Kyi frei. Die angekündigten Substanzgespräche haben immer noch nicht begonnen. Niemand weiss, warum nicht.
Ihre jüngste Freilassung ist anders: Suu Kyi darf jetzt reisen und politisch arbeiten. Von einem neuen Kapitel sprechen die NLD und das Regime. Was Aung San Suu Kyi und ihre Partei wollen, bringt NLD-Sprecher U Lwin auf den Punkt:
U Lwin, Sprecher der "Nationalen Liga für Demokratie":
Unser Ziel ist es, in Myanmar unverzüglich Demokratie einzuführen".
Angeblich will auch das Regime Demokratie. Aber weil die Machthaber das seit Jahren sagen und nicht umsetzten, glaubt ihnen niemand mehr. Außenminister Win Aung beteuert, dass die Führung der Junta nur gute Absichten habe:
Win Aung, Außenminister Myanmar:
Unsere Führer sind einfache Leute, sie sind nicht machtgierig, sie machen sich nicht für immer zum König. Ich glaube ihnen. Ich bin davon überzeugt, dass sie Patrioten sind - keine engstirnigen Nationalisten, sondern Menschen, die ihr Land lieben. Sie wollen zusehen, dass sich Demokratie in ihrem Land entfaltet. Genau wie ich, ich bin Demokrat.
Der Außenministers eines Regimes, dass sich an die Macht schoss und seit 14 Jahren dort bleibt. Win Aung spricht über die Führung, über drei mächtige Generäle, denen Menschenrechtsorganisationen Mord, Folter und Zwangsarbeit vorgewerfen. Generäle, die die Presse zensieren, Telefone abhören, alle Faxgeräte im Land registrieren und verbieten, dass jemand ohne Genehmigung einen Ausländer in seinem Haus empfängt. Fast alle Menschen im Land haben Angst vor dem Regime, Hunderte politische Gefangene sitzen im Gefängnis, manche seit mehr als zehn Jahren.
Aung San Suu Kyi und die NLD-Parteimitglieder sind die wenigen Mutigen, die offen zeigen, dass sie gegen das Regime sind. Suu Kyi hat immer noch viele Anhänger, die sich nicht trauen, das zu zeigen. Sie ist die Tochter von Aung San, dem Helden, der das Land zur Unabhängigkeit führte. Er wurde kurz vor der Staatsgründung erschossen. Den Namen Aung San hat man im ehemaligen Birma nicht vergessen, egal wo Tochter Suu Kyi auftaucht – es kommen Hunderte, manchmal Tausende.
Der Alltag der ihrer Partei sieht anders aus. Nach 12 Repressionsjahren durch die Junta ist die NLD am Boden. Ihre Zentrale in Yangon sieht aus, wie der Treffpunkt einer armen Bürgerinitiative: ein Reihenhaus, eine Bruchbude mit einer blauen Plane auf dem undichten Dach. Auf der anderen Straßenseite sitzen Spitzel des Militärgeheimdienstes in einem Cafe. Sie fotografieren und machen Notizen.
An einem normalen Dienstag sitzen im NLD-Hauptquatier in Yangon 20 – 30 Parteimitglieder auf Plastikschemeln um große Tische herum. Frauen kochen oder knüpfen Bänder an rote NLD-Hüte, Männer diskutieren. Putz blättert von den Wänden, der Boden aus Beton sieht aus wie eine Straße, die frisch geteert werden müsste. In alten Vitrinen vergilben Bücher hinter dreckigem Glas. Oft fällt der Strom aus. Aber das nicht so schlimm, denn im NLD-Büro gibt es kaum elektrische Geräte, ein Faxgerät zum Beispiel hat die Junta nicht erlaubt. Die Partei hat auch keinen Computer, und selbst wenn sie einen hätte - einen Internetzugang dürften sie nicht einrichten, der ist in Myanmar nur wenigen vorbehalten, die vom Regime vorsichtig ausgewählt werden.
Eine einzige Telefonleitung wurde der NLD gelassen, natürlich wird sie abgehört. Die Junta habe die Partei fast zerstört, sagt NLD-Sprecher U Lwin. Aber ein geheimes Netzwerk sei intakt, bei Neuwahlen würden sie wieder gewinnen, glaubt er.
U Lwin, Sprecher der "Nationalen Liga für Demokratie":
Wir brauchen nur eine Chance. Wenn wir noch einmal so eine Möglichkeit wie damals erhielten, wäre das Ergebnis das gleiche. Vielleicht würden wir sogar noch mehr Stimmen erhalten. Die Menschen wissen, wie wir ihnen helfen können. Und sie wissen auch, dass die Regierung versagt hat.
Das Versagen der Regierung ist die Chance der Opposition. Dass niemand gerne in einem Spitzelstaat lebt, ist klar. Aber das alleine hat seit 14 Jahren niemanden mehr auf die Strasse getrieben, wo es lebensgefährlich ist. 1988 gab es die letzten Demonstrationen. Damals schossen Soldaten in die Menge und töteten Hunderte, das hat man nicht vergessen.
1988 wurde von den Demonstranten Demokratie auch gefordert, weil die wirtschaftliche Lage im Land katastrophal war. Der sozialistische Weg des damaligen Diktators Ne Win war gescheitert, viele beteiligten sich an den Protesten, weil es in der Hauptstadt Yangon nicht mehr genügend Lebensmittel gab. Die Junta, die den Diktator ablöste und Demokratie verhinderte, regiert jetzt seit 12 Jahren. Das Regime hat mit einer Mischung aus Staatskontrolle und Marktwirtschaft die wirtschaftliche Situation verbessert. Niemand verhungert, Myanmar kann sich heute durch die eigene Landwirtschaft ernähren. Aber es ist immer noch ein bettelarmes Entwicklungsland. Seit einigen Jahren geht es mit der Wirtschaft nicht mehr langsam bergauf, sondern schnell bergab. Bert Mendis, der Chef des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF in Myanmar, macht vor allem die hohe Inflationsrate Sorgen:
Bert Mendis, Chef von UNICEF in Myanmar:
Anders als in der Vergangenheit, als die Inflation stetig hoch und wieder runter ging, ist die Inflationsrate jetzt schon seit langem hoch. Inflation hat direkte Folgen für die Armen. Wir sprechen über die wichtigsten Grundstoffe: Öl zum Kochen und Reis. Wenn die Inflation weiter so hoch bleibt, haben die Armen eine immer kleinere Chance. Die Gefahr besteht, dass die Inflation katastrophale Folgen hat, wenn sie hoch bleiben sollte.
Exakte Zahlen gibt es in Myanmar nicht. Den offiziellen, einstelligen Angaben der Junta glaubt niemand. Experten schätzen, dass die Inflation in den 90er Jahren im Schnitt über 20 Prozent pro Jahr lag, im Moment soll die Teuerungsrate bei rund 40 Prozent liegen. Auslandsinvestitionen und der Kurs der Landeswährung nahmen in den vergangenen Monaten um knapp 70 Prozent ab. Den Effekt der katastrophalen Daten spürten viele Menschen schon seit langem, meint Bert Mendis von UNICEF.
Bert Mendis, Chef von UNICEF in Myanmar:
Es gibt Hinweise darauf, dass die Bauern nicht genug Reis produzieren können. Ohne Zweifel ist die Unterernährung bei Kindern ziemlich schlimm. Ein Drittel der Kinder unter fünf ist unterernährt. Ein unterernährtes Kind lernt nicht gut, also gibt es große Bildungsprobleme. Ein unterernährtes Kind wird öfter krank. Also braucht man Medizin und Geld, um zum Krankenhaus zu kommen.
Bildung und Gesundheit seien Bereiche, in denen das Regime besonders kläglich versagt habe, sagen Politiker der Opposition. Fakt ist, dass Myanmars Junta viel Geld für die Armee ausgibt und relativ wenig für alles andere. Gerade mal 1,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werde für Bildung und Gesundheit zur Verfügung gestellt, berichtet die Asiatische Entwicklungsbank.
Das Ergebnis der Gesundheitspolitik ist besonders deutlich im Bereich HIV/AIDS zu sehen. Dass es jahrelang kein Geld für medizinische Behandlungen gab, ist nur ein verheerender Aspekt. Dazu kommt die Verleumnungspolitik der Generäle. Das Thema HIV kehrten sie jahrelang unter den Teppich. Schlechte Nachrichten, zum Beispiel eine hohe Zahl HIV-Infizierter, sind nicht willkommen. AIDS tauchte in der zensierten Presse nie auf, Aufklärungskampagnen gab es nicht.
Nun gehört Myanmar zusammen mit Thailand und Kambodscha zu den drei Ländern in Asien, in denen mehr als ein Prozent der Bevölkerung HIV-Positiv ist. In Myanmar haben sich mindestens 500 000 Menschen angesteckt.
In einem Haus im Norden Yangons arbeitet die Schweizer Nichtregierungsorganisation "Association Francois-Xavier Bagnoud" mit HIV- und AIDS-Patienten. Chef ist Max Wey, der schon seit neuen Jahren in Myanmar arbeitet. 60 Frauen bekommen hier Medikamente, eine praktische Ausbildung oder Schulunterricht. 60 Frauen wird geholfen - von Hunderttausenden in Myanmar, die HIV positiv sind und Hilfe bräuchten.
Eine Frau erzählt, wie sie die Krankheit bekommen hat.
Nie habe ich Drogen genommen oder als Prostituierte gearbeitet, mein Mann hat mich angesteckt. Er starb vor sieben Jahren. Damals sprach der Arzt nur von der Todesursache, einer Lungenentzündung. Vielleicht wusste er, dass mein Mann, der Heroin gespritzt hatte, AIDS-krank war. Mir hat der Arzt nichts gesagt, damals redete man hier nicht über HIV. Erst viel später habe ich erfahren, dass ich HIV-positiv bin.
Die Epidemie ist längst ausgebrochen, in den Risikogruppen, also unter Prostituierten und Drogenabhängigen, liegt die Infektionsrate bei rund 35 Prozent. Aber erst seit einigen Monaten erkennt die Junta an, dass HIV/AIDS ein ernstes Problem in Myanmar ist. Die Generäle hätten keine Wahl mehr gehabt, meint Max Wey.
Max Wey, Chef von AXFB Myanmar:
Das AIDS-Problem ist zu groß hier. Es ist zu ersichtlich. Und es geht in alle Gesellschaftsschichten hinein. Wir sind jetzt damit konfrontiert, die ganze Gesellschaft. Ob wir Ausländer sind oder Burmesen, hat damit nichts zu tun. Wir haben ein soziales Problem, dass wir miteinander lösen müssen.
In Myanmar Probleme zu lösen - egal ob es um AIDS, um Bildung oder um Ernährung geht - ist schwierig. Die Regierung ist fast pleite. Das liegt an ihrer Inkompetenz, an der asiatischen Finanzkrise, an sensationeller Korruption und an Sanktionen des Westens. Die Opposition kann auch nur wenig tun, nach jahrelanger Unterdrückung ist sie mit sich selbst beschäftigt. Die internationale Staatengemeinschaft hilft aus politischen Gründen jährlich nur mit einem Dollar pro Einwohner, also kaum. Der Internationale Währungsfond, die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank geben schon lange keine Kredite mehr.
Vielleicht hat der Druck des Westens dazu beigetragen, das Aung San Suu Kyi freigelassen wurde. Aber die Leiter der UN-Programme in Myanmar wiesen schon vor einem Jahr darauf hin, dass das Land an der Schwelle zu einer humanitären Krise stehe. Die Situation erlaube es nicht, zu warten, bis sich an der politischen Konstellation etwas ändere. Humanitäre Hilfe sei moralische und ethische Notwendigkeit und eine Pflicht der Staatengemeinschaft. Ein Jahr nach dem Hilfeschrei habe sich nichts geändert, meint Bert Mendis von UNICEF.
Bert Mendis, Chef von UNICEF in Myanmar:
Die Probleme, auf die wir vor einem Jahr hingewiesen haben, haben sich nicht geändert, weil sie massiv sind. Es gab keine nennenswerte Investition, die einen Unterschied hätte machen können. Das Problem war groß, es ist weiterhin groß und weiterhin kümmert sich niemand in einem Maße darum, das einen Unterschied machen könnte.
Für Humanitäre Hilfe gibt es im Westen keinen politischen Willen, Myanmar wird vor allem von der EU und den USA isoliert. Dort erhalten Mitglieder der Junta keine Einreisevisa. US-Firmen dürfen nicht in Myanmar investieren. EU-Firmen ist das zwar erlaubt, als politisch korrekt gilt es nicht. Westliche Firmen, die in Myanmar aktiv sind, riskieren massive Proteste von Verbrauchergruppen in der Heimat.
Ein Thema ist der Vorwurf, dass Kinder- und Zwangsarbeit in Myanmar weit verbreitet seien. Vor ein paar Monaten machte der Unterwäsche-Hersteller Triumph seine Produktionsstätten dicht, in Australien und in England war gegen Triumph demonstriert worden. Auch fast alle deutschen Firmen sind längst abgezogen, offiziell in Myanmar vertreten sind nur noch Siemens, der Industrieausrüster Fritz Werner und ein halbes Dutzend Mittelständler.
Die Sanktionen des Westens machen das Regime in Yangon rasend. General Abel, ist Minister und zuständig für das Büro von Regimechef General Than Shwe. Er macht keinen Hehl daraus, dass man erwartet hatte, dass der Westen die Strafmassnahmen aufhebt, wenn Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen wird.
General Abel, für das Büro des Regimechefs zuständiger Minister:
Natürlich bin ich enttäuscht, sehr enttäuscht. Man politisiert uns nur. Wegen einer Person müssen 50 Millionen Menschen leiden. Der Westen nimmt uns auf die Hörner, das sollte nicht sein. Die wollen nur, dass wir machen, was sie wollen. Aber wir machen, was wir für richtig halten, was gut ist für unser Volk. Wir lassen uns von nirgendwo und von niemanden Befehle geben.
Abel versichert, dass das Regime den Übergang zur Demokratie wolle. Aber dazu sei es noch zu früh. Myanmar brauche erst eine Verfassung, die werde entworfen. Weil die Generäle das seit vielen Jahren sagen, glaubt ihnen niemand mehr. Deshalb hat Aung San Suu Kyi den Westen dazu aufgerufen, die Sanktionen trotz ihrer Freilassung nicht aufzuheben. Sie fordert Substanzgespräche mit der Junta. Bei Verhandlungen ist der Druck des Westens einer ihrer wenigen Trümpfe, der noch nicht aus der Hand gegeben werden kann. Das weiß auch Suu Kyis Parteisprecher U Lwin.
U Lwin, Sprecher der "Nationalen Liga für Demokratie":
Man sollte auf Fortschritte warten, erst dann kann reagiert werden, können Sanktionen aufgehoben werden oder nicht.
Fortschritte - damit meint die Opposition Ergebnisse, die bei einer neuen Gesprächsrunde mit dem Regime erzielt werden könnten. General Abel sagt, dass das Regime bereit sei, man werde mit Suu Kyi über Substanzielles sprechen.
General Abel, für das Büro des Regimechefs zuständiger Minister:
Über die Zukunft des Landes, darüber, welche Linie wir einschlagen sollen.
Dass es bei neuen Gesprächen um die Verfassung, um Neuwahlen und um einen Zeitplan für den Übergang zur Demokratie gehen soll, bestätigt auch der Sprecher des Regimes, Oberst Hla Min:
Oberst Hla Min, Regimesprecher
Zum richtigen Zeitpunkt wird es Bewegung in all diesen Fragen geben. Aber ich kann nicht sagen, wann, wo und wie. Das sind Angelegenheiten, die beide Seiten diskret behandeln werden. Die Ära der Konfrontation ist vorbei. Eine Ära der Kooperation kommt.
Ob den schönen Worten Taten folgen, ist völlig offen. Seit drei Monaten ist Aung San Suu Kyi frei. Die angekündigten Substanzgespräche haben immer noch nicht begonnen. Niemand weiss, warum nicht.