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Mysteriöse Krankheit

Tiermedizin. - In Deutschland sterben verbluten Kälber, ohne dass sie auch nur verletzt erscheinen. Die ersten Fälle dieses mysteriösen "Blutschwitzens" sind im Frühling 2007 aufgetreten. Um weitere Todesfälle zu vermeiden, suchen Tiermediziner fieberhaft nach dem Auslöser für die Krankheit.

Von Anne Kleinknecht | 05.03.2009
    Es ist neun Uhr morgens. Der Landwirt Martin Obergaulinger geht durch den Kuhstall. Seine Rinder und Kälber sind schon seit Stunden gemolken und liegen gemütlich im Stroh. Der Bauer aus dem oberbayerischen Neumarkt Sankt Veit genießt die Ruhe. Denn in den vergangenen Monaten ist es nicht immer so idyllisch zugegangen: Eine mysteriöse Kälberkrankheit hat sechs seiner Tiere dahingerafft.

    "Es ist wahnsinnig schnell gegangen. Die Kälber sind fit gewesen, haben morgens ganz gut gesoffen, ganz normal gewesen. Mittags war’s dann so, dass Blutperlen überall waren und dann hat man schon gesehen: Das Kalb ist total matt. Man hat ihm angesehen: Da stimmt was net."

    Ganz ohne Verletzung haben die Kälber angefangen zu bluten. Ein paar Stunden darauf waren sie tot. So etwas hatte der Landwirt noch nie gesehen. Deshalb brachte er die Tiere zu Experten.

    "Dann sind wir mit der Rinderklinik in Kontakt getreten und dann hat sich herausgestellt, dass das eine Krankheit ist, von der man bis jetzt nichts weiß."

    Die Klinik für Wiederkäuer in Oberschleißheim gehört zur Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Die Tiermediziner dort stehen vor einem Rätsel. Seit Frühjahr 2007 bringen ihnen Bauern Kälber, die aus unerfindlichen Gründen Blut schwitzen. Tierärzte schicken ihnen Blutproben aus ganz Deutschland. Allein im Freistaat sind im vergangenen Jahr mehr als 100 Tiere an der Krankheit gestorben. In den europäischen Nachbarländern hat man dagegen noch nichts von den rätselhaften Symptomen gehört. Dr. Günter Rademacher.

    "Diese Kälber werden gesund geboren. Auch die Muttertiere sind in der Regel gesund zum Zeitpunkt der Kalbung. Und frühestens zu Beginn der zweiten Lebenswoche bis Ende der dritten Lebenswoche beginnen sie krank zu werden. In der Regel fallen sie auf, weil sie spontan aus der Haut bluten, ohne dass Verletzungen der Haut vorhanden sein müssen. Deshalb bezeichnet man sie als ,Blutschwitzer‘. Wenn man die Kälber genauer untersucht, haben sie Blutungen auf den sichtbaren Schleimhäuten, auf der Maulschleimhaut, auf dem Flotzmaul, den Lidrändern beispielsweise."

    Viele Tiere haben auch innere Blutungen und bekommen nach einiger Zeit schwere Begleiterkrankungen, wie Lungenentzündungen oder starken Durchfall. Die Ärzte versuchen sie mit Bluttransfusionen am Leben zu halten. Doch die meisten sterben spätestens nach ein paar Tagen. Die Veterinäre schließen eine genetische Erkrankung aus, denn es sind Kälber von drei verschiedenen Rassen betroffen. Auch ein Virus oder Bakterium kommen als Ursache nicht in Frage. Hinweise darauf, dass sich die Kälber gegenseitig oder gar Menschen anstecken, gibt es auch nicht. Einziger Anhaltspunkt ist die niedrige Zahl der Blutplättchen und weißen Blutkörperchen bei den Tieren. Rademacher:

    "Und ein wesentlicher Befund ist, dass das Knochenmark dieser Kälber verändert ist im Sinne von wenig Zellen darin und insbesondere wenig bis keine Vorläufer-Zellen der Blutplättchen, die wesentliche Bedeutung haben für die Blutgerinnung."

    Doch was löst die Veränderungen im Knochenmark der Kälber aus? Diese Frage erforschen Günter Rademacher und seine zwei Kollegen:

    "Entweder es kommt zu einer Knochenmarkschädigung in der Mutter oder eben kurz nach der Geburt und dann würde das im Zusammenhang mit der Kolostrum-Aufnahme, mit der ersten Milch von der Mutter, stehen können. Weil es eben beim Rind aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Gebärmutter so ist, dass die maternalen Antikörper, vom Muttertier auf den Säugling erst mit der Milch übertragen werden. Und man könnte sich vorstellen, dass bestimmte Antikörper oder ähnliche Strukturen mit übertragen werden, die dann mit den Zellen des Knochenmarks in einer Art reagieren, wo sie geschädigt werden."

    Die erste Muttermilch, die mit ihren Vitaminen und Antikörpern überlebenswichtig ist, könnte den Kälbern also zum Verhängnis werden. Doch belegt ist diese Hypothese noch nicht. Hunderte von Blut- und Milchproben müssten untersucht werden, um der Krankheitsursache auf den Grund zu gehen. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit wird die Tierärzte der LMU voraussichtlich ab April unterstützen können. Dann könnte die Tierklinik Milch- und Blutproben an das LGL schicken, die die Experten auf Viren und andere Krankheitsauslöser untersuchen wollen.