Freitag, 19. April 2024

Archiv


Mythen der Aborigines

Regisseur Rolf de Heer, der als holländischer Einwanderer früh nach Australien kam, hat in seinem neuen Werk aus der Perspektive der Ureinwohner Australiens Aborigines-Mythen filmisch erzählt. Eine wilde Flusslandschaft im Norden Australiens. Dazu die kräftige Stimme eines Aborigines, der eine tausend Jahre alte Geschichte erzählt. Und konkurrierende Männer. Das ist grob gesagt der Film "10 Kanus, 150 Speere und drei Frauen".

Von Josef Schnelle | 09.08.2007
    "In einem fernen Land vor langer langer Zeit."

    So fangen Märchen an, auch und ganz Besonders im Kino. Dies ist die Geschichte von 10 Kanus aus Baumrinde, die für die Gänseeierjagd in den Sümpfen Nordaustraliens gebraucht werden. Von 100 Speeren, die im Blutrachekrieg zwischen zwei Aborigines-Stämmen gebraucht werden und von drei Frauen, die die Sinne der Männer verwirren und sämtliche Ereignisse überhaupt auslösen. Regisseur Rolf de Heer hat diesen Film in der Sprache der Ureinwohner und auch mit deren spärlichen Bekleidungssitten zusammen mit David Gulpili entwickelt, der in Filmen von Nicholas Roeg, Peter Weir und Phillip Noyce zum Kinogesicht der Ureinwohner Australiens geworden ist. Gulpili spricht in der Originalversion den englischen Kommentar zu den Dialogen im Dialekt der Ramingining-Aborigines.

    Überhaupt hat sich de Heer, der als Achtjähriger nach Australien kam und einer der profiliertesten Autorenfilmer des Landes geworden ist, zwischen zwei Großprojekten von den Ureinwohnern und ihrem Humor und ihren Mythen sehr direkt inspirieren lassen. Das Casting, die Auswahl der Laienschauspieler, erfolgte nach den Regeln des Stammes. Wer im Film beispielsweise miteinander verheiratet ist, ist es auch im wirklichen Leben.

    Und um Tabus und Regeln, die das Leben der Aborigines bestimmen geht es auch in Geschichte des Films. Ein junger Mann begehrt die jüngste Frau seines älteren Bruders, denn der hat eben drei, also irgendwie eine zuviel. Auf der Suche nach der Borke für die Kanus wird ihm darum eine Geschichte aus noch älterer Zeit erzählt. Auch in der geht es um Liebe, die Tabugrenzen bricht und die schrecklichen Folgen die sie hat. "10 Kanus" - kürzen wir den Filmtitel mal so ab - ist darum auch ein Film über die schlichte Schönheit des Geschichten-Erzählens. Die Moral versteckt sich hinter dem Scherz. Die Abschweifung erläutert das Lebensgefühl. Die Poesie ist menschlich-allzu-menschlich.

    "So war es immer in meinem Volk."

    Teile des Films - die ganze Rahmenhandlung der Borkensuche auf die immer wieder zurück gegangen wird - sind in Schwarz-Weiß gefilmt - nach Fotos, die der Anthropologe Donald Thompson in den 30er Jahren gemacht hat. Die Legende aus längst vergangenen Zeiten, die den größten Teil des Films ausmacht, ist prall farbig mit wunderschönen Breitwandaufnahmen aus dem Leben "vor langer Zeit" also vor mindestens 1000 Jahren.

    Fürs Ethnografische hatte das Kino ja schon immer einen Faible. Robert Flaherty erlag dem Charme der Inuit schon 1921. Für sein Stummfilmmeisterwerk "Nanook" diskutierte er mit den Eskimos der Hudson Bay die Jagd auf ein Walross ähnlich wie Rolf de Heer seine Entenjagd. Schon damals kam die Frage auf: Idealisiert er nicht den einfachen Eskimo zum Ideologieverdächtigen "Naturmenschen"? Das wurde auch Friedrich Wilhelm Murnau vorgeworfen, als er 1931 mit Flaherty zusammen das Paradies der Südseemenschen in seinem romantischen Tonfilm "Tabu" hochleben ließ.

    Der Franzose Jean Rouch erhob den ethnographischen Film in den 50er Jahren gar zu einem eigenen Genre. 2001 landete der kanadische Inuit Zacharias Kunuk mit "The Fast Runner" auch bei uns einen Programmkinohit. Gemeinsam ist diesen Filmen die Faszination des Authentischen, dem das Kino ja immer auf der Spur ist. Wie wurde gelebt? Können wir es sehen, verstehen und dessen Einzigartigkeit begreifen. Das Kino lebt von der Entdeckung. Heute leben die Aborigines in Arnhem Land mit Internet und Sportfernsehen nicht anders als die anderen Australier. Aber als Rolf de Heer seinen Film an einem nassen Abend in der Regenzeit zum ersten Mal öffentlich vorgeführte, war der kleine Ort leergefegt. "Die Geschichte geht weiter. Es ist die Geschichte unseres Volkes und damit auch unserer Erde." sagt David Galpili. Und irgendwie und irgendwann erwischt jeden in diesem Film ein seltenes Gefühl, tatsächlich dabei gewesen zu sein, damals vor langer Zeit.