Stefan Koldehoff: Frage an Andreas Kilcher: Was ist denn für Sie als Wissenschaftler Esoterik - wahrscheinlich ja nicht Salzkristallampen und Kartenlegen?
Andreas Kilcher: Für uns, sagen wir mal, für die wissenschaftlichen Erforscher dieses Gebietes, ist es ein, ja, ein Konstrukt auch in gewissem Sinne, ein Sammelbegriff für alles, was zu tun hat mit nicht offiziellem Wissen seit im Grunde der frühen Neuzeit. Also, sprich, auch alles, was unter den Begriffen von Alchimie, Kaballa, Magie, Spiritismus, Theosophie, Okkultismus, und so weiter zu tun hat und die Filiationen bis in Anthroposophie und andere Formen auch moderner Esoterik.
Koldehoff: Nun sind Sie Philologe. Sie arbeiten am Deutschen Seminar der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Wo sind da die Bezugspunkte?
Kilcher: Na ja, also erstens, wenn ich jetzt von "wir" spreche nochmals, sind das Wissenschaftler, die als Historiker und Theoretiker aus der Sicht von Religion, Geschichtswissenschaft, aber eben auch Literaturwissenschaft zu diesem Feld gelangen. In der Tat ist es so, dass die Esoterik, jetzt in diesem breiten Sinn verstanden, gerade in der Literatur eine große Rolle spielt. Also beispielsweise in spezifischen Konzepten von Sprache oder, ja, bis hin zu Rezeptionen in der "Fantastischen Literatur", nur ein Stichwort, E.T.A. Hoffmann, Gustav Meyring und so weiter.
Koldehoff: Sie sprechen von der Konstruktion von Tradition, die ganz wichtig sei für diese geheimen Wissenschaften, mit denen Sie sich da auseinandersetzen, und geheimen Lehren. Was heißt "Konstruktion von Tradition"? Wer konstruiert da was?
Kilcher: Ja, konstruieren tun im Grunde die esoterischen Wissensformationen. Also, alles was mit, beispielsweise die Kaballa konstruiert für sich ein Mythos der Herkunft, eine Geschichte ihrer Überlieferung. Es wird beispielsweise gesagt, dass dieses Wissen, was als Kaballa überliefert wird, von Moses direkt empfangen wurde in einer mündlichen Tradition am Berg Sinai und überliefert wird über eine mündliche, eben geheime Traditionskette. Etwas, was nicht aufgeschrieben wird. Das beispielsweise ist eine esoterische Form der Überlieferung. Es gibt alternativ dazu aber auch, ja, mystifizierte Bücher, Zauberbücher, die beispielsweise von Adam geschrieben wurden und in Höhlen versteckt, und dann überliefert gefunden werden und auch in Bruchstücken überliefert. Das sind typische esoterische Erfindungen von Tradition.
Koldehoff: Wie wichtig sind solche Mythen? Wenn ich denke an die Gesetzestafeln bei Moses, wenn ich denke an die goldenen Tafeln, die die Mormonen haben, wenn ich denke an die Scientology-Sekte, die behauptet, auch ihr Gründer Ron Hubbard habe irgend ein Geheimwissen besessen, Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, steht im Moment in der Kritik, weil er sich angeblich auch hier und dort bedient haben soll und dann hinterher zur Begründung nur behauptete "das ist eben so, das wurde mir eingegeben". Wie wichtig sind für bestimmte Glaubens-, für bestimmte Wissensformen solche Mythen?
Kilcher: Es ist ganz klar, dass die natürlich eine Legitimationsfunktion haben. Sie begründen eigentlich erst eine Tradition. Und zwar von einer Lehre, die relativ spät auftaucht. Die Esoterik, würde ich sogar behaupten, ist im Grunde ein Phänomen der Verspätung. Wenn die Theosophie, also die Anthroposophie, sich selbst begründet, dann muss sie natürlich ein Alter herstellen auch durch eben fiktive Konstrukte, oder mythische Konstrukte. Das heißt, es geht wirklich darum, sich selbst zu legitimieren.
Koldehoff: Als Sie diese Tagung überlegt und vorgeschlagen haben bei sich in der Universität, stieß das direkt auf einhellige Begeisterung oder ist da auch mal erst die Nase gerümpft worden?
Kilcher: Na ja, es gibt schon den ein oder anderen, der quasi, ich will so mal sagen, vom Aberglaube behaftet ist, dass einen der Anruch des Gegenstands überspringt auf den, der sich damit beschäftigt. Das wäre, wie wenn ich mich mit Krankheiten beschäftige und etwas auf mich überspringt als Arzt.
Koldehoff: Also, um es noch mal ganz klar zu formulieren: Sie sind kein Anhänger esoterischer Glaubensformen?
Kilcher: Nein, aber ich denke, wir müssen das menschliche Denken und das menschliche Wissen in seiner ganzen Breite erforschen. Wir können uns nicht nur mit der Kritik der reinen Vernunft beschäftigen.
Koldehoff: Professor Andreas Kilcher war das über die Tagung "die Konstruktion von Tradition, Praktiken und Mythen der Überlieferung in der europäischen Esoterik", die heute Abend in Tübingen an der Uni beginnt.
Andreas Kilcher: Für uns, sagen wir mal, für die wissenschaftlichen Erforscher dieses Gebietes, ist es ein, ja, ein Konstrukt auch in gewissem Sinne, ein Sammelbegriff für alles, was zu tun hat mit nicht offiziellem Wissen seit im Grunde der frühen Neuzeit. Also, sprich, auch alles, was unter den Begriffen von Alchimie, Kaballa, Magie, Spiritismus, Theosophie, Okkultismus, und so weiter zu tun hat und die Filiationen bis in Anthroposophie und andere Formen auch moderner Esoterik.
Koldehoff: Nun sind Sie Philologe. Sie arbeiten am Deutschen Seminar der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Wo sind da die Bezugspunkte?
Kilcher: Na ja, also erstens, wenn ich jetzt von "wir" spreche nochmals, sind das Wissenschaftler, die als Historiker und Theoretiker aus der Sicht von Religion, Geschichtswissenschaft, aber eben auch Literaturwissenschaft zu diesem Feld gelangen. In der Tat ist es so, dass die Esoterik, jetzt in diesem breiten Sinn verstanden, gerade in der Literatur eine große Rolle spielt. Also beispielsweise in spezifischen Konzepten von Sprache oder, ja, bis hin zu Rezeptionen in der "Fantastischen Literatur", nur ein Stichwort, E.T.A. Hoffmann, Gustav Meyring und so weiter.
Koldehoff: Sie sprechen von der Konstruktion von Tradition, die ganz wichtig sei für diese geheimen Wissenschaften, mit denen Sie sich da auseinandersetzen, und geheimen Lehren. Was heißt "Konstruktion von Tradition"? Wer konstruiert da was?
Kilcher: Ja, konstruieren tun im Grunde die esoterischen Wissensformationen. Also, alles was mit, beispielsweise die Kaballa konstruiert für sich ein Mythos der Herkunft, eine Geschichte ihrer Überlieferung. Es wird beispielsweise gesagt, dass dieses Wissen, was als Kaballa überliefert wird, von Moses direkt empfangen wurde in einer mündlichen Tradition am Berg Sinai und überliefert wird über eine mündliche, eben geheime Traditionskette. Etwas, was nicht aufgeschrieben wird. Das beispielsweise ist eine esoterische Form der Überlieferung. Es gibt alternativ dazu aber auch, ja, mystifizierte Bücher, Zauberbücher, die beispielsweise von Adam geschrieben wurden und in Höhlen versteckt, und dann überliefert gefunden werden und auch in Bruchstücken überliefert. Das sind typische esoterische Erfindungen von Tradition.
Koldehoff: Wie wichtig sind solche Mythen? Wenn ich denke an die Gesetzestafeln bei Moses, wenn ich denke an die goldenen Tafeln, die die Mormonen haben, wenn ich denke an die Scientology-Sekte, die behauptet, auch ihr Gründer Ron Hubbard habe irgend ein Geheimwissen besessen, Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, steht im Moment in der Kritik, weil er sich angeblich auch hier und dort bedient haben soll und dann hinterher zur Begründung nur behauptete "das ist eben so, das wurde mir eingegeben". Wie wichtig sind für bestimmte Glaubens-, für bestimmte Wissensformen solche Mythen?
Kilcher: Es ist ganz klar, dass die natürlich eine Legitimationsfunktion haben. Sie begründen eigentlich erst eine Tradition. Und zwar von einer Lehre, die relativ spät auftaucht. Die Esoterik, würde ich sogar behaupten, ist im Grunde ein Phänomen der Verspätung. Wenn die Theosophie, also die Anthroposophie, sich selbst begründet, dann muss sie natürlich ein Alter herstellen auch durch eben fiktive Konstrukte, oder mythische Konstrukte. Das heißt, es geht wirklich darum, sich selbst zu legitimieren.
Koldehoff: Als Sie diese Tagung überlegt und vorgeschlagen haben bei sich in der Universität, stieß das direkt auf einhellige Begeisterung oder ist da auch mal erst die Nase gerümpft worden?
Kilcher: Na ja, es gibt schon den ein oder anderen, der quasi, ich will so mal sagen, vom Aberglaube behaftet ist, dass einen der Anruch des Gegenstands überspringt auf den, der sich damit beschäftigt. Das wäre, wie wenn ich mich mit Krankheiten beschäftige und etwas auf mich überspringt als Arzt.
Koldehoff: Also, um es noch mal ganz klar zu formulieren: Sie sind kein Anhänger esoterischer Glaubensformen?
Kilcher: Nein, aber ich denke, wir müssen das menschliche Denken und das menschliche Wissen in seiner ganzen Breite erforschen. Wir können uns nicht nur mit der Kritik der reinen Vernunft beschäftigen.
Koldehoff: Professor Andreas Kilcher war das über die Tagung "die Konstruktion von Tradition, Praktiken und Mythen der Überlieferung in der europäischen Esoterik", die heute Abend in Tübingen an der Uni beginnt.