Dienstag, 16. April 2024

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Mythos des Frontsoldaten

Der erste Weltkrieg erst habe Hitler möglich gemacht, das war in der historischen Forschung nach dem zweiten Weltkrieg lange eine Binsenweisheit, bis plötzlich andere Fragen in den Mittelpunkt rückten.

Von Kay Müllges | 12.03.2009
    "Gibt es noch Worte, die unsere Gefühle beschreiben können? Können Herzen und Augen den Jubel fassen und die Freude, die uns durchdringt, dass der Führer nach so langer Abwesenheit wieder einmal bei uns ist, in unserer Reichshauptstadt.? Standarten und Fahnen werden dem Führer entgegengestreckt, näher brandet der Jubel, auch hier erreicht er uns jetzt in der Wilhelmstraße, Ecke Zimmerstraße."

    6. Juli 1940. Nach dem Sieg über Frankreich zieht Adolf Hitler triumphal in Berlin ein. Und nicht nur der Reporter des Reichsrundfunks ist schier aus dem Häuschen. In jenen Wochen ist Hitler, sind die Nazis auf dem Höhepunkt ihrer Popularität in Deutschland. Endlich, so scheint es damals vielen, ist die sogenannte Schmach von Versailles getilgt, ist die Revanche für die Niederlage im ersten Weltkrieg gelungen. Und nicht zufällig kapitulieren die französischen Militärs 1940 in genau dem Eisenbahnwaggon in der Nähe von Paris, der 1918 Schauplatz der deutschen Kapitulation war. Der erste Weltkrieg erst habe Hitler möglich gemacht, das war in der historischen Forschung nach dem zweiten Weltkrieg lange eine Binsenweisheit, bis in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts plötzlich andere Fragen in den Mittelpunkt rückten, meint Gerd Krumeich, Geschichtsprofessor an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf:

    "Man muss sich das so vorstellen. Die Generation derer, die um 1960 die Lehrstühle hatten, haben gesagt, die ganze Generation hat gesagt: Hitler ist durch Versailles gekommen. Die Generation drauf, Hans Mommsen, Wolfgang Mommsen, Heinrich August Winkler und wie sie heißen, konnten diesen Diskurs nicht mehr haben. Sie wollten tiefer greifen, sie wollten viel mehr wissen, sie wollten nicht einfach die Schuld auf die anderen abladen und haben dann versucht und das haben sie auch sehr gut geschafft, Hitler aus der deutschen Gesellschaft heraus zu erklären und das Phänomen des Nationalsozialismus."

    Dieser an sich richtige und verdienstvolle Forschungsansatz habe aber dazu geführt, meint Krumeich, das regelrechte Denkverbote entstanden seien. Niemand habe mehr gefragt, welchen Einfluss das Trauma der Niederlage im ersten Weltkrieg auf weite Kreise der deutschen Bevölkerung gehabt habe. Und kaum jemand wisse, wie die Nazis damit umgegangen seien, wie sie den ersten Weltkrieg in ihrer Propaganda genutzt hätten.

    "Die Geschichte der Weimarer Republik, die Geschichte der zwanziger Jahre müsste endlich mal vom ersten Weltkrieg und vom traumatischen Eindruck dieses verlorenen Krieges her geschrieben werden. Aber schauen sie selber hin. Die Geschichte Weimars ist bisher vollständig besetzt von den großen Historikern, die alle vom Nationalsozialismus her auf Weimar zurückblicken. Und da sind wir jetzt dabei das ein bisschen umzudrehen. Verstehend, nicht mehr volkserziehend, nicht mehr politisch-pädagogisch, guckend wie konnte es zum Nationalsozialismus kommen, sondern versuchen die Menschen um 1920 zu verstehen in ihrem Zorn, in ihrer Wut, in ihrer absoluten Frustration."

    Nur dann, so Krumeich, könne man begreifen, worin ab einem bestimmten Zeitpunkt die Attraktivität Hitlers und der Nazis sowohl für viele Wähler als auch für die politischen Eliten im damaligen Deutschland bestanden habe.

    "Hitlers Charisma, und er hatte Charisma, war nicht sein Extremismus. Haben viele gutmeinende Konservative und im mittleren Spektrum angesiedelte Leute gesagt, das kann man ihm noch austreiben, wenn er in die Verantwortung kommt. Das wird man ihm noch austreiben. Hat er selber dran gearbeitet. Ab 1928 nimmt er den antisemitischen Diskurs zurück. Schlau war er. Aber das was ihm wirklich Credits geschaffen hat, war die permanente Betonung, immer wieder, noch viel stärker als alle andere rechten Gruppen, der erste Weltkrieg war eine Sauerei und ich erklär euch auch wie es gekommen ist."

    Im Laufe der Jahre lernten die Nazis virtuos auf der Klaviatur der Frustration zu spielen. In ihrer Kampagne gegen den Young-Plan von 1929, der eine Reduzierung der deutschen Reparationsleistungen vorsah, wandten die Nazis sich nicht gegen Einzelheiten des Plans, sondern lehnten überhaupt jede Kriegsschuld ab und stilisierten sich so als die einzig standhaften Wahrer der deutschen Ehre. Ganz gezielt bastelten sie in ihrer Propaganda am Mythos des Frontsoldaten. Die Gemeinschaft der Soldaten im Schützengraben wurde zum Vorbild für die von ihnen propagierte Volksgemeinschaft. Natürlich wurde da ein Idealbild erzeugt:

    "Ja, wat heeßt da Kameradschaft. Da war net vil Kameradschaft. Jeder war sich da selbst der Nächste, nit."

    Erinnerte sich 1976 ein Frontsoldat des ersten Weltkrieges im Deutschlandfunk. Eine spezielle Zielgruppe der Nazi-Propaganda waren die Invaliden des ersten Weltkrieges. In seiner Doktorarbeit hat sich Nils Löffelbein von der Heinrich Heine Universität mit dieser Gruppe und den Bemühungen der Nazi-Propaganda befasst:

    "Ausgangsthese ist die, dass, obwohl die Weimarer Republik das fortschrittlichste Versorgungssystem seiner Zeit hatte, also besser als England oder Frankreich, blieben die Kriegsinvaliden und ihre Familien in Deutschland also eine permanente Protestgruppe, die gesamten zwanziger Jahre über."

    Die Kriegsinvaliden erhielten zwar eine vergleichsweise hohe Versehrtenrente, sie konnten öffentliche Verkehrsmittel umsonst benutzen, hatten freien Eintritt in Museen und so weiter, aber diese Sozialleistungen gingen in den Augen vieler am Kern des Problems vorbei, weil die Weimarer Republik andererseits unfähig war das Opfer der Invaliden moralisch zu würdigen. Nils Löffelbein:

    "Es wurden keine Denkmäler oder irgendwelche symbolischen Zeichen geschaffen, die irgendwie an die neue Staatsform gebunden hätten. Und genau darein haben die Nationalsozialisten ihre Propaganda manövriert. In einem typischen Statement eines NS-Pamphletes heißt es beispielsweise, was die deutschen Kriegsopfer wollen ist nicht nur die Rente, sondern Achtung und Ehre."

    Die Nazis machten sich also die symbolpolitische Lücke der Republik zunutze, indem sie den Invaliden die ihnen zustehende Anerkennung versprachen. Einmal an der Macht, verhielten sie sich in dieser Frage dann durchaus konsequent: die Sozialleistungen für Kriegsversehrte wurden gekürzt - dafür hatten sie aber bei den olympischen Spielen in Berlin freien Eintritt und Plätze in der ersten Reihe.