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Mythos Jackson Pollock

Von Amerika aus krempelte der Abstrakte Expressionismus in den 40er und 50er Jahren die Welt der modernen Malerei um. Ihr prominentester Vertreter Jackson Pollock ist eine Art Mythos geworden. Jetzt zeigt das Jewish Museum in New York in der Ausstellung "Action/Abstraction" 50 hochkarätige Werke von 31 Künstlern. Allein schon deren Beschaffung war eine Kunst.

Von Sacha Verna |
    Ein Sonnenuntergang, davor die dunkle Silhouette von Jackson Pollock alias Ed Harris, der sich leicht wankend, also vermutlich betrunken und sicher melancholisch über sanft im Wind wogendes Gras beugt, um dann den Lettern "Pollock - The Movie” Platz zu machen. Muss noch irgend jemand über den Mythos Jackson Pollock aufgeklärt werden? Nein, gewiss nicht. Erst recht nicht von Ed Harris, der für seine Rolle als charismatischster Vertreter dessen, was als Abstrakter Expressionismus in die Kunstgeschichte eingegangen ist, vor acht Jahren sogar für einen Oscar nominiert wurde.

    Doch: Lohnt sich eine neuerliche Betrachtung des Abstrakten Expressionismus, jener künstlerischen Bewegung, die vom New York der späten 1940er und 1950er Jahre aus die moderne Malerei Amerikas und der Welt revolutionierte? Ja, durchaus. Besonders wenn dabei, wie im Jewish Museum, statt Heldengeschichten, Rezeptions- und Zeitgeschichte im Vordergrund stehen. Und, natürlich, die Kunst an sich.

    Tatsächlich bilden die 50 hochkarätigen Werke von 31 Künstlern, die für "Action/Abstraction - Pollock, de Kooning and American Art 1940-1976” zusammengetragen wurden, das beeindruckendste Element der Ausstellung. Der Kurator Norman Kleeblatt untertreibt, als er sagt:

    "Takes a lot of negotiating (haha) to organize important loans."

    Es seien viele Verhandlungen nötig gewesen, um die wichtigen Leihgaben zu organisieren. Leihgaben wie Jackson Pollocks monumentale Leinwand "Convergence” und Willem de Koonings "Woman”, Werke von Vätern des Abstrakten Expressionismus wie Arshile Gorky und Hans Hofmann, Bildern von Lee Krasner, Barnett Newman, Clyfford Still, Ad Reinhardt und Mark Rothko. Zum letzten Mal waren Werke wie diese in den Vereinigten Staaten vor 20 Jahren neben einander zu sehen.

    Zum ersten Mal kommen in dieser an Dokumenten, Fotos und Filmausschnitten reichen Schau darüber hinaus zwei Figuren zu Wort, die den künstlerischen Diskurs im Amerika der Nachkriegszeit prägten, wie niemand vor und nach ihnen: die Kritiker und Erzrivalen Clement Greenberg und Harold Rosenberg. Norman Kleeblatt.

    "Wir befanden uns damals in der ungewöhnlichen Situation, dass diese beiden Stimmen die Kunstwelt, die Art, wie Kunst betrachtet und interpretiert werden soll, was gut und was schlecht war, vollständig dominierten. Man musste entweder zum einen oder zum anderen Lager gehören."

    Greenberg war ein Verfechter der Reinheit der Form und der Abstraktion und der Ansicht, Kunst müsse sich aus ihren Mitteln definieren, aus Leinwand, Farbe, Fläche. Für Rosenberg war hingegen der Akt der Schöpfung entscheidend, der Kampf des Künstlers, seinem Innersten Ausdruck zu verleihen. Der Formalist Greenberg erkor Pollock zu seinem Ideal, der Romantiker Rosenberg Willem de Kooning. Und obgleich die beiden Kritiker oft für dieselben Künstler eintraten, taten sie dies immer aus unterschiedlichen Gründen. Ihre kunsttheoretischen Fehden trugen sie in einflussreichen Publikationen wie The Nation, Partisan Review, ARTnews und The New Yorker aus.

    Damit lenkt "Action/Abstraction” die Aufmerksamkeit auf die Massenmedien, die in eben jener Zeit eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen begannen. 1956 verlieh das Time Magazine Jackson Pollock den Titel "Jack the Dripper”, nachdem das Life Magazine sieben Jahre zuvor spekuliert hatte, dass es sich bei eben diesem Jack um den grössten lebenden Künstler der USA handle.

    Heute widmen Hochglanzzeitschriften den grössten, originellsten, innovativsten, jüngsten und/oder teuersten Künstlern der USA, und überhaupt. mindestens alle zwei Wochen üppige Fotostrecken. Im Internet bloggen sich Möchtegern-Greenbergs und -Rosenbergs im Minutentakt ihre irrelevanten Meinungen über die kreativen Purzelbäume von Stars und Sternchen der Kunstszene von der Seele. Nein, früher war nicht alles besser. Aber es ging, das wird in dieser sehenswerten Ausstellung deutlich, wenigstens in der Kunstwelt um einiges stil- und gehaltvoller zu als heute.