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Mythos Marke Eigenbau

Die Kruppsche Familiendynastie schmiedete in zwei Jahrhunderten nicht nur Stahl und Waffen, sondern auch fleißig am eigenen Mythos. Der ist nun in einer Sonderausstellung im Essener Ruhrmuseum Zollverein zu besichtigen.

Von Michael Köhler |
    Der Gründer Friedrich, der im November 1811 die Gussstahlfabrik gründete war ein Hasardeur und Bankrotteur, erst sein Sohn Alfred, der im April 1812 geboren wurde, begründete den Erfolg und Ruhm. Von Anfang an prägte der Wechsel von Idealisierung und Dämonisierung das Unternehmensbild. Das sagt Ruhrmuseumschef Theo Grütter:

    "Der Mythos ist von Krupp selbst gepflegt und produziert worden. Also, der "Kanonenkönig" und die Waffenschmiede sind Mythen, die Krupp brauchte, um ihre Waffen, ihre Produkte zu verkaufen. Am Ende sind sie ihrem Mythos selbst erlegen, weil sie mit Gefängnisstrafen und Haft dafür gebüßt haben."

    Nicht so fanatisch wie sein Vater, aber abstandslos genug hatte Alfried Krupp von Bohlen und Halbach die Nähe zum NS-Regime gesucht. Reichsmarschall Göring erhielt 1940 ein Geschenk von Krupp, ein Schwert mit der Inschrift: dem Schmied des Vierjahresplanes. Gefolgschafts- und Dankadressen zwischen Albert Speer und Krupp wechselten sich ab.

    "Wir zeigen natürlich auch die Geschichte der Firma im NS mit wichtigen Dokumenten, auch mit wichtigen Filmausschnitten, die auch die Besuche Adolf Hitlers hier in Essen bei Krupp zeigen und auch seien berühmte Rede mit dem Zitat "Hart wie Kruppstahl", also wir verschweigen nichts."

    Der Ruhm des Stahl- und Waffenproduzenten war schon im Ersten Weltkrieg und davor begründet worden. Auf die "Tante aus Essen" mit 42 cm Halsweite war man stolz. Auf Postkarten wurde die "dicke Bertha", das war ein Mörser, stolz beschrieben. Grüße aus der "Kanonenstadt Essen" trugen 1914 solche Aufschriften:

    "Kein Feuer, keine Kohle, kann brennen so heiß / wie Kruppsche Mörser, von denen niemand was weiß!"

    Bevor die Allianz aus Kaiserreich und Drittem Reich mit dem Industrieunternehmen erfolgte, sie gewissermaßen freundschaftlich in nationaler Einheit verschmolzen, war Krupp seit Mitte des 19. Jahrhunderts für Kanonen und zivile Güter berühmt: Eisenbahnräder, Schiffschrauben, Tiegelstahl.
    Der Rhythmus des Industriezeitalters schlug an der Ruhr. Theo Grütter:

    "Der Mythos hat mehrere Aspekte. Wichtig sind vielleicht. Einmal das Material der Krupps, der Stahl. Das ist eben der mythische Stoff der Industrialisierung. Dann ist es diese sagenhafte und legendenumwobene Familiengeschichte, also das ist eine der großen deutschen Familiensagen und der dritte Aspekt des Mythos ist sicherlich der, der "Kruppianer". Das sind die Mitarbeiter von Krupp, die Werksgemeinschaft, die es in anderen Firmen auch gibt. Aber in dieser Intensität wie bei Krupp sicherlich nirgendwo, also diese Versorgung von der Wiege bis zur Bahre, die ist bei Krupp sicherlich einmalig und die spielt heute noch in den Familien, in der Traditionspflege der Familien ne wichtige Rolle."

    Natürlich zeigt die Ausstellung die berühmte Kruppsche Konsum-Anstalt und die Margarethenhöhe, eine vorbildliche Jugendstil-Gartenstadt-Siedlung, das Privilegiensystem für verdiente Mitarbeiter der Stammbelegschaft, Fotos und Lebensläufe aller Familienmitglieder. Erstmals werden die Krupp-Ehefrauen angemessen gewürdigt. Gelegentlich scheut man sich vor Populärem. In den Sechzigern und Siebzigern war der letzte Nachkomme, Arndt von Bohlen und Halbach, ein Lieblingsobjekt der bunten Blätter, weil er offen seine Homosexualität lebte und ein Jet Set-Leben führte. Das befeuerte aber nur den Mythos von der abgründigen Familie voll eigenwilliger und charismatischer Persönlichkeiten. Noch Berthold Beitz, der bestimmende Generalbevollmächtigte nach dem Krieg, sagte, er sei zu Alfried Krupp von Bohlen und Halbach gekommen, nicht zu Krupp.

    Zwangsarbeiter und Kriegsindustrie, Bezwingung des Feuers und Rüstungsproduktion, all das zeigt die Ausstellung gründlich und nüchtern. Neu sind Zeugnisse über die frühe Verwendung von Fotografie und Film zur Selbstvermarktung. Krupp hatte eigene kinematografische Abteilungen und nutzte Fotografie auf den Weltausstellungen in London, Wien, Philadelphia, Chicago, um davon zu berichten.

    "Ja, die Familie Krupp war kulturaffin, stärker als man bisher gemeint hat. es sind wichtige Sammlungen angelegt worden, naturkundliche Sammlungen durch Friedrich Alfred, aber auch eine bedeutende Kunstsammlung, die wir hier in einem kleinen Auszug zeigen. Es gibt diese berühmte Schallplattensammlung von Alfred Krupp und es gibt auch weiter persönliche Sammlungen und ganz wichtig ist das Mäzenatentum."

    Aus der Privatsammlung sind Liebermanns, Feuerbachs, Joos van Cleve und andere Werke zu sehen. Die kunsthistorische Bibliothek umfasste 22.000 Bände und wurde zum Grundstock der Bochumer Unibibliothek. Ein Tonarchiv der Welt wollte Alfried von 1953-1967 anlegen und sammelte jede Schallplatte, egal ob Jürgen von Manger oder "Tristan und Isolde." Und über alles wurde genauestens Buch geführt, Karteikarten angelegt.

    Auch die Villa Hügel, das größte Wohnhaus Europas, sollte Macht zeigen. Die Krupps waren also so etwas wie Selbstproduzenten ihres Mythos durch Weltausstellungen, Fotografie und groß angelegtes Mäzenatentum. Philharmonie und Folkwang Museum, aber auch Deutsches Museum München wären ohne sie nicht entstanden. Bis heute wird der Mythos durch "Kruppianer" gepflegt, eine einzigartige Firmenbindung der Mitarbeiter. So wundert es nicht, dass die reichhaltige, gelungene Ausstellung nicht ganz der Versuchung widerstehen kann, selbst ein Teil der Mythenproduktion zu sein. Denkmalpolitik zählte auch früh zu Krupps Stärken.