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Mythos wegen des beseelten Vortrags

Gerade sieben Jahre hat die Weltkarriere der britischen Altistin Kathleen Ferrier angedauert. Eine Karriere, die vor allem im Bereich des Liedgesangs stattgefunden hat. Am 22. April 1912 wurde sie geboren.

Von Stefan Zednik | 22.04.2012
    "Wir hörten diese Stimme, eine Stimme von natürlicher Wärme und Lieblichkeit, von Jahr zu Jahr herrlicher werden, bis sie schließlich eine vergeistigte Schönheit und überirdischen Adel erlangte und sich mit allumfassender Menschlichkeit in unsere Seelen einbrannte."

    So erinnert sich Gerald Moore, einer der bedeutendsten Liedbegleiter des vergangenen Jahrhunderts, an die englische Altistin Kathleen Ferrier. Die am 22. April 1912 in der Nähe von Blackburn geborene Sängerin entstammt einer musikalisch interessierten Familie, der Vater ist Dorfschullehrer, die Mutter als Laienschauspielerin aktiv. Doch wichtiger als musikalische Ambitionen, die bei Kathleen, dem jüngsten von drei Kindern, schon früh offenbar werden, ist den Eltern die Sorge um soziale Sicherheit. So muss das Mädchen gegen den Rat ihrer Lehrer mit 14 Jahren die Schule verlassen, um im örtlichen Postamt Telefonverbindungen zu schalten.

    Doch die junge Frau weiß genau, was sie wirklich will: Musik machen. So verbringt sie ihre freie Zeit meist am Klavier und nimmt erfolgreich an lokalen Wettbewerben teil. 1937 gewinnt sie einen doppelten ersten Preis: als Sängerin und als sich selbst begleitende Pianistin. Wenig später schlägt sie – mit 27 Jahren extrem spät – jene Laufbahn ein, die sie berühmt machen wird. Kathleen Ferrier beginnt, professionell an ihrer Stimme zu arbeiten. Im Bereich der Kirchenmusik wird sie bald eine gefragte Solistin.

    Unweigerlich führt der Weg der selbstbewussten Frau nach London. Obwohl sich Großbritannien im Krieg befindet und die Bevölkerung von häufigen Bombenangriffen betroffen ist, finden weiter Konzerte in der englischen Metropole statt. 1943 singt Kathleen Ferrier in der Westminster Abbey Händels "Messias". Unter den Zuhörern ist auch Benjamin Britten. Ihm scheint sie die ideale Besetzung für seine geplante Oper "The rape of Lucretia" zu sein. Und so engagiert er die Altistin für die Uraufführung 1946 in Glyndeborne. Für Ferrier, die über keinerlei szenische Erfahrung verfügt, ist dieser erste Auftritt auf einer Opernbühne – und dies in einer Hauptpartie - eine enorme Herausforderung. Eine noch größere Rolle in ihrer Karriere aber sollte ein deutscher Dirigent spielen.

    "Mein größtes Glück war, mit Dr. Bruno Walter an den Werken von Schubert, Schumann, Brahms und Mahler arbeiten zu können. Man hat das Gefühl, Wissen und Inspiration direkt vom Komponisten zu erhalten. Die Proben mit ihm sind unvergesslich, sehr aufregend und manchmal beinahe unerträglich bewegend."

    Mit Walter, dem ehemaligen Assistenten Gustav Mahlers, als musikalischem Mentor beginnt für Ferrier 1947 eine Karriere, die sie in kürzester Zeit mit den bedeutendsten Orchestern zusammenführt. Doch man diagnostiziert eine Krebserkrankung bei ihr, und trotz Operationen und Nachbehandlungen ist die Krankheit nicht zu stoppen. Mittlerweile weltberühmt, nimmt sie 1952 das "Lied von der Erde" auf, Mahlers im Angesicht seines eigenen Todes komponiertes Vermächtnis. Ein letzter Kraftakt führt die Konzertsängerin zu ihrer zweiten Opernproduktion "Orfeo ed Euridice" von Gluck im Opernhaus Covent Garden. Das Publikum erlebt eine fulminante Premiere, doch während der zweiten Aufführung im Februar 1953 erleidet die vom Krebs geschwächte Altistin einen Unfall. Sie bringt die Vorstellung zu Ende, doch es ist ihre letzte. Am 8. Oktober 1953 stirbt im Alter von 41 Jahren eine Sängerin, die trotz ihrer nur sieben Jahre andauernden Weltkarriere wegen ihrer Erscheinung, ihrer Stimme, vor allem aber wegen ihres beseelten Vortrags zu einem sängerischen Mythos wurde.