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Nach 46 Jahren ist Schluss
Atom-Forschungsreaktor in Berlin-Wannsee wird abgeschaltet

1973 wurde er in Betrieb genommen, der Forschungsreaktor BER II. Eine Uran-Abspaltung mitten in der Stadt, damals fanden viele das unproblematisch. Nun wird der Reaktor abgeschaltet, nicht etwa wegen der anhaltenden Proteste oder einer Material-Alterung. Der Grund ist die Finanzierung.

Von Daniela Siebert | 11.12.2019
Blick in die Leitwarte des Forschungsreaktors BER II. Am 11. Dezember läutet Berlin das Ende seines Atomzeitalters ein. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums wollen dann ihren Forschungsreaktor in Wannsee endgültig abschalten.
Blick in die Leitwarte des Forschungsreaktors BER II, der nun Geschichte wird (Bernhard Ludewig/HZB/dpa)
Er liegt im äußersten Südwesten der Stadt, kurz vor der Landesgrenze, näher an Potsdam als am Roten Rathaus: Der Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums Berlin. Die Anwohner verbinden höchst unterschiedliche Gefühle mit ihm. Die einen sind gelassen – der Reaktor ist ihnen so egal wie seine Abschaltung.
"Wir sind vor fünf Jahren hier nach Wannsee gezogen und wussten, dass der Reaktor da ist, ich habe da völliges Vertrauen, wenn sowas hier in so einem Ballungsraum betrieben wird, dass das auch sicher ist."
"Also ich denke auch, dass es sicher ist. Viel fragwürdiger finde ich, es wird zwar abgeschaltet, aber der radioaktive medizinische Müll wird ja da trotzdem gelagert."
"Es gibt aktuelle Broschüren "Verhalten im Störfall" – den ich übrigens in den vergangenen 25 Jahren oder so noch nicht erlebt habe – also wir fühlen uns hier sehr sicher."
Bilder von Tschernobyl und Terrorismus im Kopf
Anderen Anwohnern sehen in dem kleinen Atomreaktor um die Ecke ein unkalkulierbares Risiko. Sie freuen sich über die Abschaltung heute Nachmittag.
"Ja, ich finde das prima, ist ja ein gewisses Risiko, dieser Reaktor, zwar nicht groß, aber dennoch ist es gut, dass er weg kommt."
"Für unsere Gesundheit ist es schon besser, wenn der hier wegkommt. Ich habe also Tschernobyl noch sehr im Kopf, und ich habe Terrorismus im Kopf, und so gesehen ist es also nicht ungefährlich.
"Wir freuen uns über die Abschaltung. Das Risko ist relativ klein, das ist ja kein großer Apparat, aber immerhin, wenn man die Warnungen hört, ja, man sollte Jod einnehmen, wenn da was passiert, ich meine: hilft ja auch nichts."
Der Betreiber stellt ein gutes Arbeitszeugnis aus
Seit 46 Jahren spaltet der kleine Reaktor in ihrer Nachbarschaft inzwischen Uran - zu wissenschaftlichen Zwecken. Denn BER II, so der offizielle Name, wird für Materialuntersuchungen eingesetzt. Dank der Neutronen, die die 10-Mega-Watt-Anlage produziert, lassen sich Strukturen sichtbar machen, ohne dass die Untersuchungsobjekte geöffnet werden müssten, ähnlich wie beim Röntgenverfahren. Genutzt werde das etwa für die Untersuchung von Batterien, Solarzellen, einem Dinosaurierschädel oder auch Kunstwerken, erklärt Ina Helms, die Pressesprecherin des Helmholtz-Zentrums. Insgesamt resümiert sie die Lebensbilanz des Reaktors so:
"Der BER II in Berlin, der hat wahnsinnig zuverlässig gearbeitet. Es gab ungefähr 150 Publikationen pro Jahr, die am Reaktor angefertigt wurden. Der Nachteil sind die Kosten: es ist nicht billig, so ein Gerät zu betreiben. Es gibt keine nennenswerten Störfälle, es gab in der gesamten Betriebszeit nur meldepflichtige Ereignisse auf der internationalen Skala von Null."
Dass der Reaktor jetzt abgeschaltet werde, habe finanzielle Gründe, so Helms. Die anstehenden Investitionen für einen zeitgemäßen Betrieb seien zu groß.
Gegner sind erschöpft, aber glücklich
Die kleine Bürgerinitiative "Atomreaktor-Wannsee-dichtmachen" fordert schon seit Jahren die Abschaltung des Reaktors. Entsprechend reagiert jetzt Delphine Scheel, eine der Mitstreiterinnen:
"Er wird um 14 Uhr geschlossen und wir feiern um 18 Uhr im Kellermanns in Potsdam und sind sehr glücklich und auch, ehrlich gesagt, sehr erschöpft."
Der Reaktor sei nicht mehr sicher gewesen, sagt sie, die Angst vor Unfällen und der Freisetzung radioaktiven Materials sei stetig gewachsen. Delphine Scheel beruft sich auf diverse Quellen, auch eigene Recherchen der Bürgerinitiative zum Reaktor.
"Er hatte seit 1972 mehrere Störfälle, acht bis zehn Stück, das waren interne Störfälle, die das Helmholtz-Zentrum nicht veröffentlicht hat."
Auch radioaktive Emissionen und Verbindungen zum US-amerikanischen Atomwaffenlabor Los Alamos wirft sie den Betreibern des Reaktors vor.
Solche Anschuldigungen entkräftet Ina Helms weitgehend.
"Militärforschung gab es da nie. Wir haben den Hochfeldmagneten, der wurde vom Hochfeldmagnetlabor in Tallahassee gebaut, und Tallahassee hat Verbindungen zu Los Alamos, aber das wäre genauso wenn Sie sagen: Siemens macht das und macht jenes."
Der Abriss wird Jahre dauern
Gewisse Emissionen räumt sie jedoch ein:
"Bei so einer Anlage kann man nie sagen: Die Emission ist Null. Was an radioaktivem Inventar dort rausgegangen ist, lag immer weit, weit unter der natürlichen Radioaktivität, die überall auf der Welt existiert."
Jod - und Argon – Isotope gehörten zu den Emissionen der Anlage, außerdem Tritium, das aber unterhalb der Messbarkeit.
Die heutige Abschaltung des Reaktors wird ein Meilenstein auf einem längeren Weg. Die Brennelemente werden noch etwa drei Jahre vor Ort im Abklingbecken bleiben, der Rückbau wird viele Jahre dauern und schätzungsweise 240 Millionen Euro kosten, vorwiegend vom Bund finanziert.
Kleines Kuriosum zum Schluß: der Vorgänger-Reaktor BER I aus dem Jahr 1958 steht noch immer, eingehaust, neben dem BER II. Bis heute hätten sich das Land Berlin und der Bund nicht auf eine Finanzierung des Rückbaus einigen können, erklärt Ina Helms. Trotz der Abschaltung heute bleibt eine kleine Ecke Berlins also auch noch in Zukunft lange strahlend.