"Der zweite Teil beginnt mit dem Satz: "Das Glück mag es nicht, wenn man ihm ins Angesicht sieht. Das Problem ist, wie kann man es schaffen, dass die Liebe bleibt. Darum wird auch die Geschichte der Eltern erzählt."
Die Ehe der Eltern ist gescheitert. Doja Hacker erzählt die Familiengeschichte in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden auf die Frage, warum die eigenen Beziehungen immer wieder zerbrechen. Das großbürgerliche Elternhaus in Kiel, das fast buddenbrook'sche Milieu, der Vater, ein nüchtern denkender Rechtsanwalt die anthroposophisch angehauchte Mutter, die ihren Beruf für die Erziehung der beiden Töchter aufgegeben hat - das alles wird skizziert. Die Eltern, die sich immer weiter auseinander entwickelten, trennten sich schließlich. "Wir Kinder schleppen die Unverträglichkeit der Eltern mit uns herum", sagt die Hauptfigur des Buches, die älteste Tochter, nachdem sie zur jüngeren Schwester in die Berliner Altbauwohnung gezogen ist.
In ständigem Konkurrenzkampf um Partner, Job und Elterngunst liefern sie sich ironische und selbstironische Verbalschlachten. Beide finden es - wie es im Roman heißt -"normal, dass die Liebe schiefgeht". Beide haben sie ihr Glück weit entfernt vom Alltag gesucht. Die Schwester, Buchhändlerin, liebt einen verheirateten Mann, Vater von zwei kleinen Kindern. Die Hauptfigur sieht ihren polnischen Geliebten nur an den Wochenenden. Was bedeutet Polen für die Schriftstellerin und SPIEGEL-Journalistin Doja Hacker?
"Keine Zäune, Erdbeeren, die nach Erdbeeren schmecken, große Offenheit, Familiensinn, die Fähigkeit zu improvisieren, Fröhlichkeit, Betrunkenheit, Hilfsbereitschaft, Armut, eigentlich die Möglichkeit, alles machen zu können, was man bei uns nicht machen kann, wo man 7 Wochen nachdenken würde, das macht man in Polen in 10 Minuten, nach 10 Minuten hat man entschieden, dass das geht. Alles ist machbar."
Die Hauptfigur des Romans kauft sich ein Haus in der Nähe des Geliebten. Unter der Woche Arbeit im Berliner Kulturleben, am Wochenende, nach 12-stündiger Zugfahrt: Reiten, mit dem Hund durch die Wälder streifen, lesen, den Geliebten Jan treffen. Im Herbst wird ein großes Fest gefeiert mit Verwandten und Freunden aus Deutschland. An einer langen Tafel draußen unter Apfelbäumen wird gegessen und getrunken, polnische Musiker in feiner Garderobe spielen klassische Musik. Das Glück ist vollkommen. Man denkt an Adam Mickiewicz und an Filme von Andrzej Wajda.
Das Fest ist der Höhepunkt des Romans. Danach kippt die Stimmung. Unglücksfälle häufen sich. Die Geliebte nimmt wahr, was sie vorher nicht gesehen hat. Was vorher faszinierend war, ist jetzt schäbig- das ständige Improvisierenmüssen, die Heimlichtuerei Jan's vor der Nachbarin, die nicht wissen darf, dass er eine Geliebte hat, seine Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den "reichen Deutschen", gepaart mit dem Stolz eines Menschen aus einem freiheitsliebenden, unbeugsamen Volk. Die Kluft zwischen West- und Osteuropa wird sichtbar, im Verhalten, in der Kleidung, in den Wertvorstellungen.
Aber auch das ist nicht der Grund für das Ende der Beziehung, über das sich die Hauptfigur plötzlich, nach einem Autounfall, klar wird. "Die Liebe ist mit einem Schlag vorbei", heißt es im Roman, "zerschellt an diesem Baum vor wenigen Minuten".
Langsam, nach 140 Seiten, ahnen wir, dass die Erklärungen der Hauptfigur uns in die Irre geführt haben. Weder die Famillengeschichte noch die äußeren Umstände führen zum Scheitern dieser Beziehung. Der Romantext teilt uns etwas ganz anderes mit: Der Geliebte, Jan, ist von allen Hauptpersonen des Romans der, der am wenigsten charakterisiert wird. So, als ob es gar nicht um ihn ginge. Und das legt nahe, dass diese Beziehung wenig mit Liebe, aber viel Verliebtheit zu tun hat.
"Nach Ansicht meiner Schwester" von Doja Hacker ist ein wunderbar erzähltes modernes Gleichnis, eine Geschichte über einen Menschen, der die Liebe sucht, aber über die Verliebtheit nicht hinauskommt. Polen, die polnische Spontanität und Urwüchsigkeit, wird dabei zur Projektionsfläche für dieses Gefühl, das die Sehnsucht beflügelt und die Fantasie - und die Literatur.
»Glück ist das, wonach ich suche. Aber in unserer Familie ist es genausowenig zu Hause, wie anderswo - nur meine Schwester scheint fest daran zu glauben.« Doja Hacker erzählt in ihrem autobiographischen Debütroman bissig und pointiert nach:
"Nach der Trennung von Peter bin ich fürs erste bei Lill eingezogen. Sie wohnt ganz allein in ihrer Berliner Dreizimmerwohnung. Und vielleicht wird's ja lustig, dachte ich mir. Jill ist meine kleine Schwester, und schon früher hat mich der Gedanke beruhigt, daß sie das, was ich konnte, immer ein bißchen weniger können würde. Aber die Dinge haben sich geändert. Wir sind nicht mehr die behüteten Töchter eines Kieler Anwalts, die ihren großbürgerlichen Sommer auf Fanö in der Sonne verbringen. Jill ist Buchhändlerin, und ich bin Journalistin mit Hang zu Mittagsschlaf und älteren Männern. Unsere harmonischen Milchkaffee-Samstage waren endgültig vorbei, als sie Bube kennenlernte und ich wegen Jan ein Haus in Polen kaufte, mit Linden und Obstbäumen und einem alten Bienenstock."
Durchzogen von ganz eigenwilliger Melancholie ist Doja Hackers lakonisch-spöttisches Debüt das Porträt zweier Schwestern, deren Lebenswege sich mit Ende zwanzig noch einmal kreuzen. Doja Hacker wurde 1960 in Hamburg geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Kiel und ging 1979 nach Berlin, um zu malen. Nach einer halben Ausbildung zur Kostümbildnerin studierte sie einige Jahre Litemturwissenschaft und schrieb Kritiken verschiedene Tageszeitungen. Seit 1995 schreibt sie für das Kulturressort beim »Spiegel« in Hamburg. Die Autorin:
"Das Schreiben selbst war wie ein Sich-Frei-Schreiben von Zwängen, denen wir als Journalisten unterworfen sind, weil wir da für ein Publikum, für einen Chefredakteur oder für einen Ressortleiter schreiben. Aber ich wollte eigentlich die Reinheit, die Schönheit, den Spaß oder die Qual, auch die Schwierigkeit des Schreibens mal mit mir selber ausfechten. Das kann man nur in der Literatur finden. Das werden Sie fast nicht finden, wenn Sie noch so gute Reportagen lesen."
Eine leise Erzählung ist dieser Roman von Doja Hacker geworden, wenig Handlung und alle Dialoge so eingeflochten wie bei einem langen Selbstgespräch. Der Grundton ist melancholisch, aber auch witzig und selbstironisch. Sprachlich vergleichbar vielleicht mit Autorinnen wie Judith Hermann oder Birgit Vanderbeke. Doja Hackers Debüt ist einer der wenigen Nachwende-Romane, die sich mit osteuropäischen Mentalitäten und Maßstäben auseinandersetzen. Dadurch stellt sich für die Autorin die Frage nach dem Glück, nach Geborgenheit und Liebe ganz neu.
Die Ehe der Eltern ist gescheitert. Doja Hacker erzählt die Familiengeschichte in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden auf die Frage, warum die eigenen Beziehungen immer wieder zerbrechen. Das großbürgerliche Elternhaus in Kiel, das fast buddenbrook'sche Milieu, der Vater, ein nüchtern denkender Rechtsanwalt die anthroposophisch angehauchte Mutter, die ihren Beruf für die Erziehung der beiden Töchter aufgegeben hat - das alles wird skizziert. Die Eltern, die sich immer weiter auseinander entwickelten, trennten sich schließlich. "Wir Kinder schleppen die Unverträglichkeit der Eltern mit uns herum", sagt die Hauptfigur des Buches, die älteste Tochter, nachdem sie zur jüngeren Schwester in die Berliner Altbauwohnung gezogen ist.
In ständigem Konkurrenzkampf um Partner, Job und Elterngunst liefern sie sich ironische und selbstironische Verbalschlachten. Beide finden es - wie es im Roman heißt -"normal, dass die Liebe schiefgeht". Beide haben sie ihr Glück weit entfernt vom Alltag gesucht. Die Schwester, Buchhändlerin, liebt einen verheirateten Mann, Vater von zwei kleinen Kindern. Die Hauptfigur sieht ihren polnischen Geliebten nur an den Wochenenden. Was bedeutet Polen für die Schriftstellerin und SPIEGEL-Journalistin Doja Hacker?
"Keine Zäune, Erdbeeren, die nach Erdbeeren schmecken, große Offenheit, Familiensinn, die Fähigkeit zu improvisieren, Fröhlichkeit, Betrunkenheit, Hilfsbereitschaft, Armut, eigentlich die Möglichkeit, alles machen zu können, was man bei uns nicht machen kann, wo man 7 Wochen nachdenken würde, das macht man in Polen in 10 Minuten, nach 10 Minuten hat man entschieden, dass das geht. Alles ist machbar."
Die Hauptfigur des Romans kauft sich ein Haus in der Nähe des Geliebten. Unter der Woche Arbeit im Berliner Kulturleben, am Wochenende, nach 12-stündiger Zugfahrt: Reiten, mit dem Hund durch die Wälder streifen, lesen, den Geliebten Jan treffen. Im Herbst wird ein großes Fest gefeiert mit Verwandten und Freunden aus Deutschland. An einer langen Tafel draußen unter Apfelbäumen wird gegessen und getrunken, polnische Musiker in feiner Garderobe spielen klassische Musik. Das Glück ist vollkommen. Man denkt an Adam Mickiewicz und an Filme von Andrzej Wajda.
Das Fest ist der Höhepunkt des Romans. Danach kippt die Stimmung. Unglücksfälle häufen sich. Die Geliebte nimmt wahr, was sie vorher nicht gesehen hat. Was vorher faszinierend war, ist jetzt schäbig- das ständige Improvisierenmüssen, die Heimlichtuerei Jan's vor der Nachbarin, die nicht wissen darf, dass er eine Geliebte hat, seine Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den "reichen Deutschen", gepaart mit dem Stolz eines Menschen aus einem freiheitsliebenden, unbeugsamen Volk. Die Kluft zwischen West- und Osteuropa wird sichtbar, im Verhalten, in der Kleidung, in den Wertvorstellungen.
Aber auch das ist nicht der Grund für das Ende der Beziehung, über das sich die Hauptfigur plötzlich, nach einem Autounfall, klar wird. "Die Liebe ist mit einem Schlag vorbei", heißt es im Roman, "zerschellt an diesem Baum vor wenigen Minuten".
Langsam, nach 140 Seiten, ahnen wir, dass die Erklärungen der Hauptfigur uns in die Irre geführt haben. Weder die Famillengeschichte noch die äußeren Umstände führen zum Scheitern dieser Beziehung. Der Romantext teilt uns etwas ganz anderes mit: Der Geliebte, Jan, ist von allen Hauptpersonen des Romans der, der am wenigsten charakterisiert wird. So, als ob es gar nicht um ihn ginge. Und das legt nahe, dass diese Beziehung wenig mit Liebe, aber viel Verliebtheit zu tun hat.
"Nach Ansicht meiner Schwester" von Doja Hacker ist ein wunderbar erzähltes modernes Gleichnis, eine Geschichte über einen Menschen, der die Liebe sucht, aber über die Verliebtheit nicht hinauskommt. Polen, die polnische Spontanität und Urwüchsigkeit, wird dabei zur Projektionsfläche für dieses Gefühl, das die Sehnsucht beflügelt und die Fantasie - und die Literatur.
»Glück ist das, wonach ich suche. Aber in unserer Familie ist es genausowenig zu Hause, wie anderswo - nur meine Schwester scheint fest daran zu glauben.« Doja Hacker erzählt in ihrem autobiographischen Debütroman bissig und pointiert nach:
"Nach der Trennung von Peter bin ich fürs erste bei Lill eingezogen. Sie wohnt ganz allein in ihrer Berliner Dreizimmerwohnung. Und vielleicht wird's ja lustig, dachte ich mir. Jill ist meine kleine Schwester, und schon früher hat mich der Gedanke beruhigt, daß sie das, was ich konnte, immer ein bißchen weniger können würde. Aber die Dinge haben sich geändert. Wir sind nicht mehr die behüteten Töchter eines Kieler Anwalts, die ihren großbürgerlichen Sommer auf Fanö in der Sonne verbringen. Jill ist Buchhändlerin, und ich bin Journalistin mit Hang zu Mittagsschlaf und älteren Männern. Unsere harmonischen Milchkaffee-Samstage waren endgültig vorbei, als sie Bube kennenlernte und ich wegen Jan ein Haus in Polen kaufte, mit Linden und Obstbäumen und einem alten Bienenstock."
Durchzogen von ganz eigenwilliger Melancholie ist Doja Hackers lakonisch-spöttisches Debüt das Porträt zweier Schwestern, deren Lebenswege sich mit Ende zwanzig noch einmal kreuzen. Doja Hacker wurde 1960 in Hamburg geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Kiel und ging 1979 nach Berlin, um zu malen. Nach einer halben Ausbildung zur Kostümbildnerin studierte sie einige Jahre Litemturwissenschaft und schrieb Kritiken verschiedene Tageszeitungen. Seit 1995 schreibt sie für das Kulturressort beim »Spiegel« in Hamburg. Die Autorin:
"Das Schreiben selbst war wie ein Sich-Frei-Schreiben von Zwängen, denen wir als Journalisten unterworfen sind, weil wir da für ein Publikum, für einen Chefredakteur oder für einen Ressortleiter schreiben. Aber ich wollte eigentlich die Reinheit, die Schönheit, den Spaß oder die Qual, auch die Schwierigkeit des Schreibens mal mit mir selber ausfechten. Das kann man nur in der Literatur finden. Das werden Sie fast nicht finden, wenn Sie noch so gute Reportagen lesen."
Eine leise Erzählung ist dieser Roman von Doja Hacker geworden, wenig Handlung und alle Dialoge so eingeflochten wie bei einem langen Selbstgespräch. Der Grundton ist melancholisch, aber auch witzig und selbstironisch. Sprachlich vergleichbar vielleicht mit Autorinnen wie Judith Hermann oder Birgit Vanderbeke. Doja Hackers Debüt ist einer der wenigen Nachwende-Romane, die sich mit osteuropäischen Mentalitäten und Maßstäben auseinandersetzen. Dadurch stellt sich für die Autorin die Frage nach dem Glück, nach Geborgenheit und Liebe ganz neu.