Dienstag, 19. März 2024

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Nach dem Aderlass-Dopingprozess
Ein historisches Urteil, aber...

Der Sportarzt Mark Schmidt ist im Rahmen der "Operation Aderlass" zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Die Ermittlungen sind durch eine Doku des Investigativteams um Hajo Seppelt ausgelöst worden. Der sieht zwar ein historisches Urteil, vermisst aber weitere Erfolge.

Hajo Seppelt im Gespräch mit Astrid Rawohl | 16.01.2021
Beim Eigenblutdoping werden dem Sportler oder der Sportlerin Blut abgenommen. Die roten Blutkörperchen werden extrahiert und dem Athleten oder der Athletin kurz vor dem Wettkampf per Transfusion wieder zugeführt. Die erhöhte Konzentration von roten Blutkörperchen sorgt für einen verbesserten Sauerstofftransport.
Beim Eigenblutdoping werden dem Sportler oder der Sportlerin vor einem Wettkampf zusätzliche eigene rote Blutkörperchen zugeführt. (imago images / Roland Mühlanger)
Im Prozess zur sogenannten "Operation Aderlass" ist der Sportmediziner Mark Schmidt, der im Zentrum des Doping-Netzwerkes stand, zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Dazu bekommt er ein dreijähriges Berufsverbot und eine Geldstrafe von 158.000 Euro.
Mark S. beim Verlassen seiner Praxis
Dopingprozess zur Operation Aderlass - Fast fünf Jahre Haft für Sportmediziner Mark Schmidt
2019 wurden bei der Ski-WM in Seefeld österreichische Langläufer beim Blutdoping erwischt. Im Rahmen der "Operation Aderlass" deckten die Behörden ein ganzes Doping-Netzwerk auf. Im Zentrum: Sportmediziner Mark Schmidt. Er und seine Helfer sind nun verurteilt worden. Es ist ein historisches Urteil.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Schmidt gegen das Anti-Doping-Gesetz verstoßen hat, indem er in 24 Fällen Dopingmethoden – vor allem Blutdoping über Transfusionen – angewendet und zwei Mal unerlaubt Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat.

Offenbar keine weiteren Doping-Ermittlungen

ARD-Investigativjournalist Hajo Seppelt sieht zwar ein "historisches Urteil", weil es das erste Urteil gegen einen Arzt oder Betreuer auf Grundlage des Anti-Doping-Gesetzes ist. Aber das belege auch, "dass es nach wie vor sehr schwierig ist, in der Szene des Spitzensports im dortigen Dopingmilieu auf Straftäter zu stoßen."
Er habe keine Hinweise darauf, dass mit dem Aderlass-Prozess ein Stein ins Rollen gekommen sei, so Seppelt. Weitere Ermittlungen wegen Dopings im Spitzensport seien ihm nicht bekannt: "Das lässt bei mir den Schluss zu, dass es nicht weit her ist mit den Erfolgen auf Grundlage dieses Gesetzes."

Mögliche Whistleblower scheuen das Risiko

Mehrere beteiligte Sportler sind in Österreich bereits vor dem Urteil gegen Schmidt zu Bewährungsstrafen verurteilt worden – darunter auch Johannes Dürr, der die Ermittlungen mit seinen Aussagen in einer Doku der ARD-Dopingredaktion ausgelöst hatte.
Seppelt weist darauf hin, dass es schwierig sei, Whistleblower in der Sportszene zu finden: "Das habe ich selbst über die Jahre hinweg erlebt." Viele würden das Risiko scheuen, "weil sie Angst haben, dass sie isoliert oder ausgegrenzt werden im Sportmilieu oder sogar Rache gegen sie ausgeübt wird."

Verbände beim Thema Doping nicht konsequent

Der Aufklärungswille bei Dopingstraftaten gehe in Deutschland von Behörden wie Staatsanwaltschaften und der Polizei aus. ARD-Dopingexperte Seppelt sieht auch die Verbände in der Pflicht. Zwar sei insbesondere der Deutsche Leichtathletik-Verband beim Thema Doping sensibler geworden: "Aber es gibt andere Verbände in Deutschland, bei denen ich die Sensibilität für dieses Thema nach wie vor vermisse." Es sei längst an der Zeit, öffentlich offensiver damit umzugehen: "Aber da habe ich schon das Gefühl, dass da nicht viel passiert."
"Die Mär vom sogenannten Einzeltäter ist längst ad absurdum geführt." Das würden auch die internationalen Sportverbände so feststellen. Aber: Die Verbände würden einerseits das Urteil im Aderlass-Prozess begrüßen. Andererseits hätten sich das Internationale Olympische Komitee IOC und der Weltsportgerichtshof CAS im Umgang mit dem Dopingskandal Russlands "wachsweich" gezeigt. Der CAS hatte die Sperre gegen das Land auf zwei Jahre halbiert. (Russische Mannschaften sind damit für die Olympischen Spiele 2021 und 2022 und die Fußball-WM 2022 gesperrt.)
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.