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Nach dem Hochwasser
Der Wiederaufbau in Malawi wird lange dauern

Mehr als 170 Menschen sind Anfang des Jahres beim Hochwasser im ostafrikanischen Malawi ums Leben gekommen, 120.000 sind obdachlos. Die malawische Regierung hat mehr als ein Drittel des Landes zum Katastrophengebiet erklärt und um internationale Hilfe gebeten.

Von Jan-Philippe Schlüter | 07.02.2015
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    Obdachlose Menschen stehen in Malawi auf den überfluteten Straßen: 120.000 Bewohner haben nach den Überschwemmungen kein Zuhause mehr. (picture alliance / dpa / Erico Waga)
    Gregory Senzi hat ja schon viel gesehen. Der hagere Mann mit dem grünen Schlapphut und den grauen Bartstoppeln im zerfurchten Gesicht erinnert sich an das Hochwasser von 1952. Und an das von 1999. Aber so viele Tote, ein solches Ausmaß an Zerstörung, das hat der 80-Jährige noch nicht erlebt.
    "Das Wasser ist mitten in der Nacht gekommen und schnell gestiegen. Wir mussten sofort aus dem Haus und fliehen. Ich hatte Glück und bin von einem Helfer im Boot gerettet worden. Aber ich habe noch gesehen, wie einige meiner Nachbarn von den Fluten davon gerissen worden sind."
    Die Menschen sind verzweifelt und gereizt
    Das Dorf Nsanje im Süden Malawis. Es ist unerträglich heiß und feucht. Auf einem verlassenen Industriegelände hat die Regierung ein Flüchtlingslager eingerichtet. Mehr als 2.000 Menschen hausen hier in heruntergekommenen Baracken, schlafen auf dem nackten Steinboden oder auf dünnen Strohmatten. Hilfsorganisationen zimmern hastig provisorische Hütten zusammen, bauen Latrinen und Wasserstellen auf. Bei der Verteilung von Lebensmitteln und Decken kommt es immer wieder zu leichten Tumulten. Die Menschen hier sind zunehmend verzweifelt, so wie Marita.
    "Die Stimmung ist ziemlich gereizt, weil die Versorgung nicht ausreicht. Das größte Problem ist das Essen. Ich habe fünf Kinder und einen Mann. Aber wir bekommen nur zwei Tassen Maismehl. Manchmal müssen wir drei, vier Tage auf unsere Ration warten. Die Kinder gehen häufig hungrig ins Bett. Wasser haben wir auch nicht genug. Wir müssen oft weit laufen, um noch einen Brunnen in der Gegend zu finden."
    Malawier packen an
    Aber die Malawier warten nicht tatenlos und verbittert auf Hilfe - sie packen an, um möglichst schnell in ihren Alltag zurückzukehren. Viele haben angefangen, wieder Gemüse anzubauen. Die Fluten hatten ihre Äcker überschwemmt und die Ernte zerstört. Auch jetzt erschweren immer wieder heftige Regenfälle den Anbau.
    "Es ist mühsam, weil das Wasser so viel zerstört hat. Und viele Felder sind immer noch überschwemmt. Wir wollen Reis, Bohnen und Mais anbauen. Und wir wollen wieder Vieh haben. Aber das wird noch eine Weile dauern."
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    Die Nordseite einer Insel im Malawi See. Am Ufer bereiten Einheimische gefangene Fische zum Räuchern vor. (undatierte Aufnahme) (picture alliance / dpa / Jacobsen)
    Nur wenige hundert Meter vom Flüchtlingslager entfernt sitzt District Commissioner Harry Phiri in seinem kargen Büro auf einem abgewetzten Sessel. Er ist der Regierungsgesandte für den Bezirk Nsanje, der am schwersten vom Hochwasser betroffenen Gegend Malawis. Phiri koordiniert die Hilfseinsätze - und ist durchaus selbstkritisch, was die Arbeit der letzten Wochen angeht.
    "Von der Regierungsseite her denke ich, dass wir eine solche Katastrophe nicht erwartet haben. Wir waren nicht ausreichend vorbereitet und unsere Rettungseinsätze waren nicht schnell genug. Auch die Hilfsorganisationen waren recht spät hier. Bei einem solchen Desaster muss man schnell reagieren. Wir müssen unser Katastrophenmanagement deutlich verbessern."
    Zuflucht in 25 Camps
    Immerhin scheint es, als sei die Hilfe mittlerweile in allen Teilen des Katastrophengebiets angekommen. Am Westufer des Shira-Flusses haben rund 65.000 Menschen in gut 25 Camps Zuflucht gefunden.
    Schwieriger sieht es am Ostufer aus: Das flache Shira-River-Tal ist immer noch teilweise überflutet. In der Region Makhanga sind viele Tausend Flutopfer vom Rest des Landes abgeschnitten.
    Von hier oben sieht man deutlich, welche Schäden das Wasser angerichtet hat. Wie eine langsame Tsunami-Welle haben sich die reißenden schlammbraunen Wassermassen vorgearbeitet und dabei komplette Straßen, Dämme und Brücken weggespült. Weite Teile des Landes sind noch überflutet. Und die Regensaison ist noch nicht vorüber.
    Internationale Helfer
    Keine zehn Minuten dauert der Flug, dann landen die internationalen Helfer in Makhanga. Das örtliche Schulgebäude ist zum Auffanglager umfunktioniert worden. Über den Hof sind Wäscheleinen gespannt. In den Klassenzimmern schlafen die Flüchtlinge zu Dutzenden auf dem nackten Steinboden. Manche übernachten sogar im Freien im staubigen braunen Sand.
    Alfred Lumenda ist eines der Flutopfer. Als das Hochwasser gekommen ist, ist er mit vielen aus seinem Dorf auf einen Hügel geflohen.
    "Das war nicht hoch genug. Also sind wir auf Bäume geklettert. Ich auch - einen ganzen Tag musste ich dort ausharren. Am Anfang waren wir auf uns selbst gestellt und haben uns gegenseitig geholfen. Erst nach vier Tagen sind die ersten Hubschrauber mit Lebensmitteln gekommen. Das Leben hier ist sehr schwierig. Brunnen funktionieren nicht mehr, unsere Klinik und die Schule auch nicht. Und es gibt zu wenig Lebensmittel. Viele hier haben Hunger."
    Keine Schule, keine Klinik
    Auch die Bewohner dieser temporären Inseln versuchen, sich selbst zu helfen. So haben einige Dorfbewohner ein Kanu organisiert, mit dem sie Lebensmittel hertransportieren. Trotzdem warten die rund 5.000 Menschen hier im Lager sehnsüchtig auf die Hubschrauber.
    Während Mitarbeiter des Welternährungsprogramms Energiekekse verteilen, hat das Team von "Ärzte ohne Grenzen" in einem Klassenzimmer eine provisorische Klinik eingerichtet. Vor allem auf eine Krankheit haben es die Krankenschwestern wie Dongo Mkandawire abgesehen:
    "Wir testen hier auf Malaria. Wenn jemand positiv ist, bekommt er Anti-Malaria-Medikamente. Die Fälle nehmen zu, denn hier gibt es viele Moskitos. Nicht alle in den Camps haben Moskitonetze. Aber selbst wenn sie welche haben, werden sie gestochen, weil die Moskitos überall sind. Andere typische Krankheiten sind Durchfall, vor allem bei Kindern, Entzündungen der Augen und der Atemwege und Hautreizungen."
    Mühsamer Wiederaufbau im bitterarmen Malawi
    Mindestens bis zum Ende der Regensaison in zwei, drei Monaten werden noch Zehntausende Menschen in den Camps bleiben. So lange haben auch die Hilfsorganisationen ihre Einsätze geplant. Danach beginnt für das bitterarme Malawi der Wiederaufbau, der nicht ohne Hilfe aus dem Ausland funktionieren wird, sagt Distriktchef Harry Phiri.
    "Wir brauchen mindestens drei bis vier Monate bis die Einrichtungen und die Krankenhäuser usw. wieder funktionieren. Und dann haben viele Menschen ihr Land verloren. Wir müssen zusehen, dass wir ihnen neue Ländereien zuteilen können. Und wenn nun die Menschen wieder in ihre Dörfer gehen brauchen sie unsere Hilfe um ihre Häuser wieder aufzubauen, zum Beispiel Baumaterial und Werkzeug. Ich glaube, wir brauchen einen Drei-Jahres-Wiederaufbauplan mithilfe der internationalen Geber. Wir müssen alle Lebensbereiche abdecken damit sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt."