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Nach dem Referendum
Wie geht es weiter in der Türkei?

Das knappe Ja der Türken zur Verfassungsänderung ist ein hauchdünner Sieg für Präsident Recep Tayyip Erdogan. Zwar kann er nun das Präsidialsystem einführen und seine eigene Macht ausbauen. Allerdings zeigt der Wahlausgang auch die Spaltung der türkischen Gesellschaft. Wie wird sich das Land weiter entwickeln?

Diskussionsleitung: Dirk-Oliver Heckmann |
    Erdogan-Anhänger feiern ihren Sieg am 16. April 2017.
    Erdogan-Anhänger feiern ihren Sieg am 16. April 2017. (imago/Depo Photos)
    Die Politikwissenschaftlerin Gülistan Gürbey sagte im Deutschlandfunk, durch das Referendum und die geplante Verfassungsänderung in der Türkei werde die Gewaltenteilung geschwächt. Sie beobachte seit der Niederschlagung der Gezi-Proteste massive "Einschränkungen von Grundfreiheiten" und einen "zunehmenden Autoritarismus" in der Türkei. Die Kriterien für einen EU-Beitritt der Türkei seien bei Weitem nicht erfüllt. Die kurdischstämmige Politikwissenschaftlerin Gürbey forscht an der Freien Universität Berlin unter anderem zu "defekten Demokratien".
    Der Bonner Kommunalpolitiker Haluk Yildiz hingegen begrüßt den Ausgang des türkischen Verfassungsreferendums. Yildiz ist Vorsitzender der Partei "Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit" (BIG); einer von Muslimen gegründeten Kleinpartei. Yildiz sagte im Deutschlandfunk, die Verfassungsänderung in der Türkei werde die demokratischen Institutionen des Landes stärken und für mehr Stabilität sorgen. Einen möglichen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche sieht Yildiz gelassen: "Ankara will nicht um jeden Preis in die EU."
    Luise Sammann, die seit mehreren Jahren als Korrespondentin aus der Türkei berichtet, schilderte die Stimmung drei Tage nach dem Referendum. Viele Erdogan-Gegner hätten das Gefühl, betrogen worden zu sein: "Die Diskussion über einen möglichen Wahlbetrug hält weiter an", so Luise Sammann im Deutschlandfunk. Die Wahlkampagne sei vollständig auf Erdogan zugeschnitten gewesen, es sei eine Abstimmung über die Person Erdogan gewesen. Viele Wähler seien sich nicht im Klaren darüber gewesen, was die Verfassungsänderung tatsächlich bedeutet.
    Dem widersprach Haluk Yildiz: "Man soll nicht den Menschen unterstellen, sie wüssten nicht, worüber sie abstimmen."
    Es diskutierten:
    · Gülistan Gürbey, Politikwissenschaftlerin, Freie Universität Berlin
    · Luise Sammann, Freie Korrespondentin in Istanbul
    · Haluk Yildiz, Vorsitzender der BIG Partei, Stadtverordneter in Bonn